Eine Brücke der Begegnung

Wenn Michaela Njuguna über ihre Arbeit spricht, leuchten ihre Augen. Acht Jahre lang war sie bei der Fachstelle Jugend der katholischen Landeskirche Thurgau als engagierte Projektleiterin, Wegbegleiterin und Impulsgeberin für junge Menschen tätig. Nun schlägt sie ein neues Kapitel in ihrem Leben auf. Zusammen mit ihrem Ehemann baut sie ein neues Leben mit sozialen Projekten in Kenia auf.

Michaela Njuguna ist Sozialarbeiterin aus Leidenschaft. Von Beginn ihres Berufslebens an suchte sie nicht einfach einen Job. Sie wollte einer Tätigkeit nachgehen, die Sinn stiftet und Menschen berührt. Für die 32-Jährige war es immer entscheidend, dass ihr Beruf mehr als nur eine Aufgabe ist. Er sollte eine Plattform sein, um Jugendliche zu begleiten und ihnen Perspektiven zu eröffnen.

Ein Neuanfang in Kenia
Die Leidenschaft für diakonische Projekte und der Wunsch, den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zu weiten, führten Michaela Njuguna im Jahr 2013 mit der Schweizer Jugendarbeit nach Kenia, wo sie ihr soziales Engagement vertiefen wollte. Von da an zog es die Thurgauerin immer wieder auf den afrikanischen Kontinent. Als 2020 wegen der Pandemie die Grenzen geschlossen wurden, traf sie eine entscheidende Wahl: Sie blieb in Kenia, um die unerlässliche Hilfe für Familien sicherzustellen. In dieser Zeit festigte sie nicht nur ihre Liebe zum Land, sondern sie lernte auch ihren Lebenspartner kennen.

Nun haben sich die beiden entschieden, ihren Lebensweg zusammen in Kenia weiterzuführen. Dabei ziehen sie nicht einfach um. Für sie ist es ein strategischer Schritt, um ihre soziale Arbeit zu intensivieren und neue Projekte vor Ort zu entwickeln.

In Kenia engagiert sich Michaela Njuguna mit dem Verein Holistic Families, den sie gemeinsam mit kenianischen Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen gegründet hat. Die von ihr präsidierte Organisation engagiert sich für die Wahrung der Kinderrechte. Unter anderem begleitet und unterstützt sie Familien mit dem Ziel, diese zusammenzuhalten und Eltern durch Coaching sowie kleine Einkommensprojekte zu stärken. Parallel zu ihrer sozialen Arbeit wird die Auswandererin in einem Gästehaus tätig sein. Dieser Ort soll Begegnungen zwischen verschiedenen Kulturen ermöglichen als ein Raum des Austauschs, der Ruhe und der Spiritualität. Die Motivation für diese neue berufliche Herausforderung ist tief in Michaela Njugunas sozialem Verständnis verwurzelt: «Ich möchte Menschen andere Wege aufzeigen. Man muss nicht immer alles durchplanen, um sich auf andere Beziehungen einzulassen.»

Berufung mit Tiefe
Neben der Vielfalt der Projekte, wie beispielsweise Swiss for Greece, an denen sie während ihrer Tätigkeit bei der Fachstelle Jugend beteiligt war, fand die Sozialarbeiterin einen Aspekt in ihrer Arbeit immer am faszinierendsten: die starke Ausrichtung auf die Begegnung mit Jugendlichen. Mica, wie sie von ihren Freunden genannt wird, betont, dass ihre Arbeit eine grosse Tiefe besitzt: «Wir diskutieren über die grossen Lebensfragen.» Für sie geht die Tätigkeit mit Jugendlichen über das blosse Berufliche hinaus. Es ist eine Berufung, die ihr ermöglicht, einen geschützten Raum zu schaffen, um mit den Jugendlichen über das Leben, den Glauben und vor allem über den Umgang mit Problemen ins Gespräch zu kommen. «Das erzeugt eine ganz andere Dynamik. Die Jugendlichen wollen sich mit Themen auseinandersetzen. Das schafft Vertrauen», erklärt sie dazu.

Herausforderung Zeitmanagement
Der hohe Anspruch der Arbeit, die intensive Begleitung und die vielen Projekte erforderten eine aussergewöhnliche zeitliche Verfügbarkeit, insbesondere an den Wochenenden. Für Michaela Njuguna war die Lösung die konsequente Zusammenführung von Beruf und Privatleben. «Für mich bedeutet es nicht nur Work-Life-Balance. Für mich war mein Job bei der Fachstelle Jugend in den vergangenen acht Jahren Work-Life-Blending», verrät Michaela Njuguna und erklärt damit, wie sie ihre Berufung in ihren Alltag integrierte. Also nicht, zwei Dinge einander gegenüberzustellen, sondern sie zu einem Ganzen zu vermischen. Sie nutzte die Flexibilität, welche ihr die Stelle bot, um ihren Alltag zu integrieren, auch wenn ihr Mann geregelte Arbeitszeiten hatte und Planung nötig war.

Glaube als Quelle der Stärke
Michaela Njugunas Engagement für Jugendliche nährt sich aus einer tiefen persönlichen Überzeugung. «Ich habe gemerkt, wie wichtig der Glaube sein kann und wie viel Halt er geben kann.» In einer Zeit, in der viele Jugendliche mit psychischen Belastungen kämpfen, sieht sie Spiritualität als entscheidende Ressource: ein Raum, um Zweifel auszusprechen, Fragen zu stellen und Orientierung zu finden. «Glaube und Spiritualität können Halt geben. Gerade heute, wo psychische Probleme so stark zunehmen. Leider wird das Thema Spiritualität im Alltag oft unter den Teppich gekehrt.»

Karla Ramírez, 10.11.2025


«Mein Job ist mein Leben»

Michaela Njuguna teilt ihre Erfahrungen in der Fachstelle Jugend

Nach Jahren der Jugendarbeit in der Schweiz beginnt Michaela Njuguna ein neues Kapitel in Kenia. Im Interview erzählt sie von ihrem Glauben und einem Projekt, das über Grenzen hinausblickt.

Michaela Njuguna, was motiviert Sie zu einem so intensiven Einsatz für Jugendliche?
In diesen tollen Projekten habe ich auch für mich die Möglichkeit, wirklich etwas für die Jugendlichen zu bewirken. Unser Job ist sehr wertorientiert. Wir diskutieren über grosse Fragen des Lebens und gehen gemeinsam auf die Suche nach Antworten. Das finde ich besonders spannend. Es geht nicht nur um oberflächliche Dinge, sondern um echte Lebensfragen und Erfahrungen, die eine wichtige Rolle spielen.

Was hat Ihnen an Ihrer Arbeit am meisten Freude bereitet?
Am meisten Freude bereitet mir der Austausch mit den jungen Menschen. Besonders intensive Gespräche, manchmal in unerwarteten Situationen, machen den Job spannend. Ein Beispiel: Auf Skyros mussten die Jugendlichen einen Hügel hochlaufen. Ich wartete oben, und als sie ankamen, kamen wir spontan auf das Thema Beziehungen. Daraus entwickelte sich eine Stunde voller intensiver Gespräche darüber, wie man gesunde Beziehungen lebt und wie man ungesunde erkennt. Geplant war ein ganz anderes Programm. Solche spontanen Momente machen für mich die Arbeit mit den Jugendlichen aus.

Welche Rolle spielt Ihr Glaube bei Ihrer Arbeit mit Jugendlichen?
Meine Arbeit war nicht immer direkt vom Glauben geprägt, aber durch persönliche Erfahrungen habe ich gemerkt, wie wichtig Glaube sein kann und wie viel Halt er geben kann. Das ist eine Motivation für mich, meinen Job zu gestalten und ihn auch in Zukunft – wenn auch nicht unbedingt im bezahlten Bereich – weiterzuführen.

Wie schwer ist Ihnen der Entscheid gefallen, bei der Fachstelle Jugend zu kündigen?
Wenn ich mich nicht gemeinsam mit meinem Mann entschieden hätte, nach Kenia zu gehen und dort unser Leben weiter aufzubauen, hätte ich meinen Job nicht gekündigt. Momentan kann ich mir nicht vorstellen, in einem anderen sozialarbeiterischen Bereich tätig zu sein. Deshalb blicke ich mit einem freudigen Auge auf die neuen Herausforderungen, die vor mir liegen, aber auch mit einem weinenden Auge auf viele tolle Menschen und spannende Projekte, die ich zurücklasse.

Mögen Sie uns etwas über Ihre Verbindung zu Kenia erzählen?
Meine Geschichte geht weit zurück. Ich war 2013 das erste Mal in Kenia als Volontärin in einem Kinderheim. Seither bin ich immer wieder zurückgekehrt. Meinen Mann habe ich schon früh kennengelernt, aber wir hatten zunächst kein romantisches Interesse. Während der Corona-Pandemie habe ich mein zweites Ausbildungspraktikum in Kenia gemacht. Damals gab es den ersten Corona-Fall im Land, und alle Flüge wurden gestrichen. Die Schweiz forderte, dass alle zurückkommen, aber ich entschied, die Kinder nicht allein zu lassen. Während dieser Zeit haben mein Mann und ich uns öfter gesehen. Wir merkten, dass wir viele gemeinsame Interessen und Ansichten teilen. Inzwischen sind wir verheiratet.

Was erwarten Sie vom Leben in Kenia?
Was ich erwarte, ist vor allem, dass wir unser eigenes Business als Touristenführer aufbauen und damit genug Menschen erreichen, die sich für unser Land interessieren. Ich möchte junge Menschen begleiten und ihnen die Welt eröffnen – sei es im Spirituellen oder in der Wahrnehmung anderer Kulturen. Zudem werde ich in Kenia weiterhin meine Sozialprojekte fortführen.

Worum geht es in Ihrem Projekt in Kenia?
Ich habe einen Verein namens Holistic Families gegründet, zusammen mit kenianischen Freundinnen, Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen. Das war vor vier Jahren. Unsere Arbeit besteht darin, bei den Eltern «auf den Tisch zu klopfen» und aufzuzeigen, wo Veränderungen nötig sind. Gleichzeitig coachen wir Eltern, wie sie ihre Kinder so erziehen können, dass deren Rechte respektiert werden.

Haben Ihre Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag auch Einfluss auf Ihren persönlichen Glauben und Ihre Spiritualität?
Ja, sehr. Ich habe durch jahrelange Beobachtung gesehen, wie der Glaube den Kenianern in schwierigen Situationen Halt gibt. Nicht einfach konservativ oder formal, sondern tief verwurzelt im Alltag. Das war für mich sehr bereichernd. Ich habe gelernt, dass Spiritualität nicht separiert vom Alltag existieren muss, sondern integriert gelebt werden kann.

Interview: Karla Ramírez, 10.11.2025

Michaela Njuguna
Quelle: Privatarchiv
Michaela Njuguna im Austausch mit kenianischen Kindern

 

Michaela Njuguna auf Hausbesuch
Quelle: Privatarchiv
Auf Hausbesuch bei einer alleinerziehenden Mutter und ihren fünf Kindern aus dem Holistic-Programm

Kommentare

+

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.