Priorin Irene Gassmann und die Frauenrechte

Am 8. März ist internationaler Frauentag und auch die katholischen Frauen setzen sich einmal mehr für die Gleichberechtigung in der Kirche ein. Was geplant ist, wo die Kirchenfrauen zurzeit stehen und was das nachsynodale Papstschreiben für die geforderten Reformen bedeutet, darüber spricht eine ihrer bekanntesten Vertreterinnen – Priorin Irene Gassmann vom Kloster Fahr.

Voices of Faith, das Gebet am Donnerstag, eine Kirche mit den Frauen. Sie machen sich seit längerem auf vielfältige Weise für ein Stimmrecht von Frauen in der katholischen Kirche stark. Warum ist Ihnen dieses Anliegen so wichtig?

Durch die Mitarbeit im Kernteam des Projektes Kirche mit den Frauen, für die ich 2014 angefragt wurde, entwickelte sich bei mir das Bewusstsein, dass noch viel zu tun ist. Heute bin ich davon überzeugt, dass unsere Kirche nicht gesund werden kann, solange Frauen und Männer nicht in allen Diensten und Ämtern gleichberechtigt sind. Das wurde mir vor allem durch den Film «Gottes missbrauchte Dienerinnen», der vor gut einem Jahr auf dem TV-Sender Arte lief, schmerzlich bewusst. Dieser thematisiert sexualisierte Gewalt an Nonnen durch hierarchisch über ihnen stehende Kleriker und die Versuche der katholischen Kirche, diese Taten zu vertuschen. Das hat mich sehr schockiert, berührt und sprachlos gemacht. Dadurch ist mir das Gefälle und die Abhängigkeit erst so richtig bewusst geworden, weil wir Ordensfrauen auf die Priester a gewiesen sind, wenn wir Sakramente empfangen wollen. So lange dieses Machtverhältnis besteht, krankt das Kirchensystem daran.

War Gleichberechtigung in Ihrer Kindheit und Erziehung ein Thema?

Als das Frauenstimmrecht eingeführt wurde, war ich sechs Jahre alt. Ich bin also in dem Bewusstsein gross geworden. In meiner Familie ging es nicht patriarchalisch zu, ich musste nichts erkämpfen. Meine Grossmutter und meine Mutter waren starke Frauen, mein Vater war sehr offen. Mir wurde schon früh Verantwortung übertragen. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und habe dort genauso mitgearbeitet wie meine Brüder. Auch in der Kirche und im Kloster habe ich das Ungleichgewicht lange Zeit nicht so gespürt. Erst in den letzten Jahren habe ich angefangen, mich intensiver damit auseinanderzusetzen.

Wie sehen Sie die Entwicklung bei den Ordensfrauen? Sind diese in den letzten Jahren mutiger geworden?

Ich mache in meinem Umfeld die Erfahrung, dass viele Ordensfrauen sich nicht gross mit diesem Thema auseinandersetzen. Das liegt vor allem daran, dass viele Gemeinschaften sehr mit sich beschäftigt sind. Meine «Sparringpartnerinnen» sind deshalb nur vereinzelt Ordensfrauen.

Wie beurteilen Sie die heutige gesellschaftliche Stellung der Frau?

Ich stehe zu wenig im gesellschaftlichen Leben, um diese Situation genau beurteilen zu können. Ich höre zwar, dass es auch dort noch Luft nach oben gibt. Doch heute können Frauen jeden Beruf erlernen, alles studieren und haben die Möglichkeit, in der Wirtschaft und der Politik in die höchsten Ämter zu kommen. Auch wenn es also noch Verbesserungspotenzial gibt, ist das alles grundsätzlich möglich – in der Kirche jedoch nicht. Hier sind viele Ämter an eine Priesterweihe gebunden und diese ist nach wie vor den Männern vorbehalten. 

Sich für Frauenrechte in der katholischen Kirche einzusetzen, stösst nicht nur auf Zustimmung. Wie sieht der kirchliche Rückhalt aus und wie gehen Sie mit Kritik um?

Die Initiative Gebet am Donnerstag «Schritt für Schritt», die vor gut einem Jahr im Kloster Fahr ins Leben gerufen wurde, stösst auf viel positive Resonanz. Das Gebetsnetz ist inzwischen in der ganzen Schweiz und über die Landesgrenzen hinausgewachsen. Mir ist es sehr wichtig, dass ich hierbei den Rückhalt meiner Schwestern spüre und die Gemeinschaft sowie der Abt mein Ansinnen mittragen. Mit Menschen, die eine andere Auffassung haben, versuche ich zu reden. Wenn ich mit jemanden in den Dialog komme, finde ich das immer spannend.

Und wenn diese Meinungen sehr konservativ sind?

Dann kann ich nicht viel diskutieren, also lasse ich es lieber. Es mag vielleicht für manche so wirken, dass man «uns Frauen schon so viel machen lässt», aber das reicht noch nicht. Zudem ist diese Argumentation nicht wirklich neu, man wiederholt nur, was man schon immer gesagt hat. Auffallend ist zudem, dass konservative schriftliche Rückmeldungen meistens anonym sind. Da gibt es gar keine Möglichkeit für einen Austausch. 

Medial und in der öffentlichen Wahrnehmung scheint es um Bewegungen wie Maria 2.0 oder den Frauenkirchenstreik gerade ein wenig still geworden zu sein. Wo stehen die Frauen zurzeit?

Inzwischen haben sich die verschiedenen Initiativen und Frauenverbände sowie einzelne Ordensfrauen sehr gut vernetzt und zum Catholic Women's Council vereint. Letzten November wurde das Netzwerk im deutschsprachigen Raum gegründet und im Januar dieses Jahres wurde daraus eine globale Vereinigung, die sich im Herbst 2021 zu einem internationalen Frauentreffen in Rom einfinden will. Der 8. März ist der Startschuss, an dem das Netzwerk erstmals in Erscheinung tritt.

Wie bewerten Sie das Papstschreiben zur Amazonas-Synode in Bezug auf die Frauenordination und das Zölibat?

Ich bin erleichtert, dass der Papst «viri probati» nicht ausgerufen hat, denn wenn jeder Mann geweiht werden könnte, würden wir Frauen erst recht nicht berücksichtigt. Mich macht das vom Papst etwas zahm beschriebene Frauenbild zwar ein wenig stutzig, aber in diesem Schreiben stehen noch ganz viele andere Dinge mit grosser Sprengkraft. Aus den Sätzen beispielsweise, die der Papst sehr offen formuliert, können Visionen entwickelt werden. Wir sollen mutig sein, der Kraft in der Geistkraft Gottes trauen, Neues wagen und Neues zulassen. Unter diesen Voraussetzungen können wir uns zusammen auf den Weg machen.

Sie sehen es also durchaus positiv, dass der Papst sich nicht konkret zu bestimmten Aspekten geäussert hat?

Ja, das lässt Möglichkeiten zu. Der Papst sagt nicht strikt Nein zu allen Dingen und gibt auch nicht von oben herab Vorgaben. Sicherlich hat er ein klares, männliches Priesterbild skizziert und die Förderung eines weiblichen Klerikalismus als nicht notwendig erachtet. Für mich heisst das aber, dass wir Frauen nicht in die gleichen Fussstapfen wie die Männer treten müssen, sondern kreativ sein und neue Formen für uns finden können.

Wie geht es nun weiter in Bezug auf die geforderten Reformen?

In der Schweiz ist die Junia-Initiative (forumKirche 20/2019) ein möglicher Weg, um neu zu denken und neue Formen und Gefässe zu finden. Diese Initiative soll sich dafür einsetzen, dass bewährte und berufene Frauen und Männer ohne Weihe in den sakramentalen Dienst der Kirche treten können.
Das widerspricht sich nicht mit dem Amazonas-Papier. Die Junia-Initiative fordert keine direkte Priesterinnenweihe, sondern überlegt vielmehr, wie einzelne sakramentale Dienste den Frauen in der Kirche übertragen werden können. Beispielsweise könnte so eine Spitalseelsorgerin eine Krankensalbung spenden oder eine Ordensschwester einen Menschen auf dessen spirituell-geistlichen Weg begleiten. Da der Gedenktag der Apostolin Junia der 17. Mai ist, wollen wir dieses Jahr an diesem Datum das Junia-Jahr ausrufen. Gemeinsam mit Pfarreien und Gemeinden möchten wir uns auf den Weg machen und die Menschen für die Initiative sensibilisieren. Es ist wichtig, dass die Vorstellung und damit auch das Bedürfnis, dass eine Frau ein Sakrament spenden kann, aus den Gemeinden heraus
wächst.

Inwiefern kann die Schweiz wegweisend sein für die Gleichstellungsanliegen der Frauen in der katholischen Kirche?

Die Schweiz trägt eine Verantwortung, weil bei uns, vor allem auch im Bistum Basel, schon einiges möglich ist. Viele Frauen, die in den Gemeinden in der Seelsorge tätig sind, haben vom Bischof eine ausserordentliche Tauferlaubnis erteilt bekommen. Zudem gibt es in unserem Bistum ganz viele Nichtgeweihte, die predigen. Die Erfahrungen, die wir damit machen, können wir mit anderen teilen. Es kann wegweisend sein, dass wir dieses Licht nicht unter den Scheffel, sondern gut sichtbar auf den Tisch stellen.

Was sehen Sie für Bilder, wenn Sie sich eine neue Kirche wünschen könnten?

Ich sehe vor allem viele Farben, einen Garten, der spriesst, lebt und blüht. So wie der Papst das sehr inspirierend in «Querida Amazonia» beschrieben hat. Damit das Evangelium und seine Kraft auch wirksam, heilend und stärkend auf seine einzelnen Mitglieder ausstrahlt und Gott in dieser Welt und in uns Menschen wirken kann. Ich träume davon, dass man neue Formen von liturgischen und sakramentalen Feiern entwickelt und dass man auf der kirchlichen Leitungsebene Frauen, die kompetent und bereit sind, in die Gremien miteinbezieht.

Könnten Sie sich eine Priesterin oder eine Päpstin vorstellen?

Als Priorin bin ich gemäss der Benediktsregel in der Klostergemeinschaft die durch meine Schwestern gewählte Klostervorsteherin, also Stellvertreterin Christi. Ich kann mir als Konsequenz daraus deshalb vorstellen, dass bei einer päpstlichen Wahl
auch eine Frau gewählt werden kann.

Wieviel Zeit benötigt so eine Veränderung?

Das lässt sich schwer abschätzen. Dass sich katholische Frauen auf der ganzen Welt miteinander vernetzt haben, gab es bisher nicht. Wir stehen an einer Zeitenwende, überall gibt es Aufbrüche. Viele Bischöfe haben das inzwischen erkannt, denn der Personalstand bricht immer mehr ein und der Mangel an Nachwuchs ist ein Zeichen der Zeit – auch in den Klostergemeinschaften, die in den nächsten Jahren einen grossen Wandel durchleben werden. Die Veränderung passiert nun Schritt für Schritt, doch sie passiert und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Interview: Sarah Stutte (3.3.2020)

 

Links zu den einzelnen Projekten:

www.juniainitiative.com
www.gebet-am-donnerstag.ch
www.kirchemitdenfrauen.ch

  Veranstaltungen am 8. März   (Update: beide Veranstaltungen wurden wegen der Ansteckungsgefahr durch den Corona-Virus abgesagt!)

• Das erste Mal feiern die katholischen Frauen weltweit zusammen unter dem Motto «We are the Change» (Wir sind die Veränderung) mit verschiedenen Aktionen den Internationalen Frauentag. In der Deutschschweiz veranstaltet der Catholic Women's Council zusammen mit dem Schweizerischen Katholischen Frauenbund SKF von vier Orten aus einen Sternmarsch bis zur Kirche St. Felix und Regula in Zürich, mit anschl. gemeinsamen Gottesdienst. Infos: www.frauenbund.ch

• Zwinglikirche Schaffhausen: multikulturelles Fest von Frauen für Frauen, mit Tanz und Thema: Zehn Jahre Wasser als Menschenrecht. Infos: www.schaffhauser-menschenrechtstage.ch 

 

Priorin Irene Gassmann im Kloster Fahr…

 Bild: Sarah Stutte
 

…und gemeinsam mit ihren Mitschwestern
auf dem Petersplatz in Rom.

Bild: zVg

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