Im Gespräch mit Pater Anselm Grün

Am 22. November wird der Benediktinerpater Anselm Grün in der Kartause Ittingen meditative Gedanken zum Thema «Bilder der Seele» vortragen. Begleitet wird die Meditation durch die Musik von Hans-Jürgen Hufeisen. In einem Interview erzählt Pater Anselm, welch heilende Kraft von den Bildern des Kirchenjahres ausgeht und wie uns das Christkönigsfest aufrichten kann.

Welche Bilder schlummern in unserer Seele?

In unserer Seele sind Bilder von Heil, Geborgenheit und Schutz, auch Bilder von Verwandlung und von unserem wahren Selbst. Sie sind unbewusst in unserer Seele. Wir leben oft nur im Äusseren und haben zu wenig Zugang zu unseren inneren Bildern. Platon meint, dass in uns das ursprüngliche Bild ist, das Gott sich von uns gemacht hat.

Wir kommen mit diesen Bildern in Berührung, indem wir äussere Bilder anschauen, z. B. Bilder der Kunst oder des Kirchenjahres. Der Psychologe C. G. Jung spricht von archetypischen Bildern, die die Aufgabe haben, uns zu zentrieren, uns zu unserm wahren Selbst zu führen.

Wie können diese Bilder eine heilsame Wirkung in uns entfalten?

Indem sie uns mit dem eigenen Selbst in Berührung bringen und gleichsam Wege der Verwandlung zeigen, z. B. die Adventszeit. Sie ist die Zeit der Sehnsucht. Es hat etwas Heilendes, Sucht in Sehnsucht zu verwandeln. Oder an Weihnachten begegnen wir dem Bild vom Hinabsteigen: Gott ist für uns hinabgestiegen in den Stall. Dies ist ein heilendes Bild, indem es uns Mut macht, hinabzusteigen in die Abgründe unserer Seele. Wir brauchen vor nichts in uns Angst zu haben, weil wir spüren, dass das Licht Jesu in alle Abgründe unserer Seele hineinleuchtet.

Oder das Bild des göttlichen Kindes, welches für C. G. Jung ein wichtiges heilendes Bild ist, weil es uns ganz mit uns in Berührung bringt und mit den heilenden Kräften unserer Seele. «Gott ist uns geboren» – Dies ist eine Wirklichkeit, über die wir nur in Bildern sprechen können. Indem wir diese Wirklichkeit an Weihnachten feiern, können wir uns ihr ein Stück annähern und darauf vertrauen, dass das göttliche Kind auch in uns ist und nicht nur die Verletzungen unserer Kindheit.

Wie können die Feste im Kirchenjahr etwas in uns bewegen?

Wichtig ist, dass wir über die Bilder des Kirchenjahres nicht nur theologisch sprechen, sondern sie deuten, dass sie in Beziehung kommen zu unseren eigenen inneren Bildern. Wir fragen uns: Was rührt uns in diesen Bildern an? An Ostern ist es z. B. die Sehnsucht nach Lebendigkeit, nach Freiheit, nach der Fülle des Lebens. Das Feiern geht nicht nur über den Kopf, sondern über alle Sinne. Rituale, Musik und das Singen von Liedern sind dabei sehr wichtig. So können diese Bilder sich tiefer einprägen, bis ins Unbewusste vordringen.

Manche haben Mühe mit einer bestimmten Jahreszeit oder mit einem kirchlichen Fest. Was bedeutet das für sie?

Es wäre wichtig zu klären, warum man Schwierigkeiten damit hat. Oft hängt es zusammen mit einer falschen Deutung oder einer Deutung, die man in der Kindheit mitbekommen hat und gegen die sich irgendetwas in ihrer Seele wehrt. Manche haben mit der Passionszeit oder Allerheiligen Schwierigkeiten, weil sie das nach unten zieht. Die Bilder sollen immer heilend sein, sie sollen auf keinen Fall Angst machen. Wenn ich Widerstand spüre, stellt sich mir die Aufgabe, die Bilder neu zu deuten, so dass ich das Gefühl habe, damit etwas anfangen zu können.

Martin von Tours hat viele Generationen beeindruckt. Was hat er uns im 21. Jahrhundert zu sagen?

Mit dem Martinsfest ist das Bild des Soldaten verbunden. Geistliches Leben ist nicht nur soft. Die Tradition spricht auch vom geistlichen Kampf. Es geht nicht darum, gegen jemanden zu kämpfen, sondern sich mit aller Kraft für das Leben einzusetzen. Das Teilen mit den Armen ist ein weiteres Bild. Es fordert heraus, bereit zu sein, sich spontan auf jemanden einzulassen, der etwas von mir fordert. Den Mantel zu teilen, ist ein Urbild dafür, sein Leben zu teilen – das, was mich schützt.

Dieses Bild spricht ja nicht nur Einzelpersonen an…

Ja, es ist auch ein Appell an die Gesellschaft, zu teilen und nicht nur egoistisch für sich selber zu sorgen, ganz aktuell auch im Hinblick auf die Flüchtlinge, die zu uns kommen. Die Frage ist: Teilen wir unser Leben mit anderen oder bauen wir uns eine heile Burg, in die wir uns zurückziehen?

Sich auf das Teilen einzulassen, fordert mich heraus, bringt mich aber auch weiter…

Ja, teilen führt zusammen, in eine Beziehung zu Menschen. Wenn einer nur um sich selber kreist, wird er beziehungslos. Die Psychologin Ursula Nuber hat das Bild geprägt von der Egoismus-Falle. Diese tut Menschen nicht gut.

Zudem war Martin nicht nur Soldat, sondern auch jemand, der auf seine Träume hört. Das ist auch ein wertvolles Bild für uns: Es lädt ein, mit beiden Kräften in Berührung zu kommen, mit den kämpferischen, aber auch mit unserer Aufmerksamkeit für unser Inneres.

Das Christkönigsfest am Ende des Kirchenjahres kann auch befreiend wirken…

Es macht uns bewusst, dass wir selber Königstöchter und –söhne sind, dass wir uns nicht klein zu machen brauchen, sondern aufrecht durch die Welt gehen können, eine eigene Würde haben. Es spricht unsere Sehnsucht an, frei zu sein, nicht von den Erwartungen anderer beherrscht zu werden, auch nicht von unseren eigenen Bedürfnissen.

Wie kann dieses Bild mich erreichen?

In meinem Buch rege ich zu der Übung an, bewusst aufrecht im Wald spazieren zu gehen und sich dabei immer wieder das Wort Jesu zu sagen, das im Johannesevangelium überliefert ist: «Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.» In dieser Haltung kann man sich Situationen vergegenwärtigen, in denen man klein gemacht wurde oder Schwächen erlebt hat. Man spürt: Es gibt etwas in mir, das nicht von dieser Welt ist, das mir niemand rauben kann.

Die Feste und Gedenktage des Kirchenjahres sind also aus psychologischer Sicht sehr wertvoll.

Ja, C. G. Jung nennt das Kirchenjahr ein «therapeutisches System», weil die Bilder für die Mitfeiernden heilsam sind. Man kann die Bedeutung des Kirchenjahrs aber auch von der Bibel her begründen. Lukas, der Jesu Leben und Sterben als «Schauspiel » versteht, schreibt: «Und alle, die zu diesem Schauspiel kamen, klopften sich an die Brust und gingen verwandelt nach Hause» (Lk 23,48). Indem wir also auf das «Schauspiel» schauend feiern, geschieht etwas in uns, wird etwas verwandelt. Wir kommen in Berührung mit dem innersten Kern. Denn «an die Brust klopfen» bedeutet, mit seinem wahren Selbst in Berührung zu kommen.

Interview: Detlef Kissner (6.11.19)


Buchtipp

«Bilder der Seele» – Die heilende Kraft des Jahreskreises

Das Kirchenjahr richtet sich nach dem Rhythmus der Natur. Immer mehr Menschen sehnen sich danach, auch in diesem Rhythmus zu leben. Anselm Grün erklärt die Feste des Jahreskreises mit ihren Bildern und Symbolen und macht Mut, wieder verstärkt im Takt des Kirchenjahres und der Natur zu leben. Mit Impulsen für eigene Rituale werden unsere Feiertage wieder ganz neu erlebbar. Anselm Grün, geboren 1945, ist Mönch der Abtei Münsterschwarzach und der bekannteste spirituelle Autor in Deutschland.

Autor: Anselm Grün
Verlag: Vier-Türme-Verlag
ISBN: 978-3-7365-0004-4 


 

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Anselm Grün ist Autor von annähernd 300 geistlichen Büchern, gefragter Referent und geistlicher Begleiter. Er lebt in der Benediktinerabtei Münsterschwarzach (D).

Bild: Harald Krichel/WikimediaCommons

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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Martin teilt mit dem Bettler seinen Mantel – eine Szene, die unsere Seele anspricht (Skulptur in der Martinskirche von Warth).

Bild: Detlef Kissner

 
 
 
 
 
 
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