Ein Interview zum Thema «Interreligiöse Feiern»

Am 19. Januar lädt der Interreligiöse Arbeitskreis im Thurgau zum 5. Interreligiösen Gespräch über das Thema «Sinn und Modelle interreligiöser Feiern» ein. Matthias Loretan, Präsident des Arbeitskreises, befragte Ann-Katrin Gässlein, die zurzeit eine Dissertation zum Thema «Religionsverbindende Feiern» verfasst und den Abend mitgestalten wird. 

Geht das: interreligiös beten bzw. feiern?
Es ist problematisch, «beten» automatisch mit «feiern» gleichzusetzen. Der Sprachgebrauch im Englischen (prayer) und im Deutschen verführt dazu, aber trifft die Sache nicht; denn es haben sich heute weltweit verschiedene Formen des Feierns durchgesetzt, bei denen Menschen aus unterschiedlichen religiösen, z. T. auch kulturellen Traditionen Beiträge einbringen. Da kommen zwar Gebete vor, aber eben nicht nur. In den meisten Feiern wechseln sich Texte, Impulse, Symbolhandlungen, Meditationen, Musik, etc. ab.

Was ist genau das Problem beim interreligiösen Beten?
Theologisch scheint es Probleme bei gemeinsam vollzogenen Handlungen zu geben, vor allem bei gleichzeitig laut gesprochenen Gebeten; diese haben ja eine Gottesanrede. Über den Adressaten des Gebets muss man sich im Vorfeld theologisch seriös verständigen. Ich kann Christ*innen verstehen, die Mühe haben, wenn allein zu «Gott, dem Schöpfer» gebetet und jeder Bezug zu Jesus Christus oder dem Heiligen Geist weggelassen wird, damit ein Gebet sprachlich z. B. für Muslim*innen anschlussfähig wird – zumal die meisten Muslim*innen ein gemeinsam gesprochenes Gebet oft gar nicht wünschen. In der Realität werden vielfach «neutral gemeinte» Gebete als gemeinsamer Sprechakt vorgeschlagen, zum Beispiel die Schweizer Nationalhymne oder das «Gebet der Vereinten Nationen». Ob diese «Gebete» angemessen sind, müssen die Mitwirkenden einer Feier jeweils gemeinsam entscheiden. 
Es ist zwar denkbar, alle Anwesenden einzuladen, gemeinsam zu beten. Doch sind Vereinnahmungen, die durch indirekte Erwartungen entstehen können, unbedingt zu vermeiden. Umgekehrt kann aber auch das dezidierte Abgrenzen irritieren, zum Beispiel, wenn Teilnehmende explizit aufgefordert werden, beim Gebet der Andersgläubigen «ja nur» zuzuhören.

Wenn bei einer Feier ein Gebet vorgetragen wird, wie sollen sich dann die Angehörigen der jeweils anderen Religion(en) verhalten? Sollen sie neugierig zuhören oder im Sinn ihrer Religion «mitbeten»?
Auf eine solche Frage gab der evangelische Theologe Hans Martin eine inspirierende Antwort. Er erzählte, wie er bei einer Zeremonie in einem Hindu-Tempel still für sich das Vaterunser betete. 
Ich ziehe folgendes Fazit: Je besser die Beteiligten einander kennen und je stabiler das gegenseitige Vertrauen ist, desto achtsamer gehen sie miteinander um und desto entspannter lösen sie die Frage des Betens bei gemeinsamen Feiern.

Interview: Matthias Loretan/ Red., 11.1.2022


 

5. Interreligiöses Gespräch
Nach der Präsentation von Forschungsergebnissen und einem Rückblick auf interreligiöse Feiern im Thurgau werden Ann-Katrin Gässlein und Hans-Peter Niederhäuser miteinander über das Thema «Interreligiöse Feiern» sprechen. Anschliessend wird das Gespräch für alle Anwesenden geöffnet.
Das Treffen findet am Mittwoch, 19. Januar, von 19 - 21 Uhr im Katholischen Pfarreizentrum, Freiestrasse 13, Weinfelden statt.
 

Interreligiöse Bettagsfeier
Quelle: zVg
Interreligiöse Bettagsfeier 2021 in der Ahmadiyya Nur Moschee in Wigoltingen.

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