Was ist von der Solidarität geblieben?

Als vor fast zwei Jahren die Pandemie begann, mussten viele kirchliche Angebote eingeschränkt werden, auch im diakonischen Bereich. Auf der anderen Seite wurden auch neue Hilfsangebote vor allem für ältere Menschen ins Leben gerufen. forumKirche fragte in verschiedenen Pfarreien nach, wie sich diese Hilfen entwickelt haben und wie Pfarreien versuchen, heute für Menschen da zu sein.

Nach dem ersten Lockdown wurde in Romanshorn die Aktion Hand in Hand gestartet, die von Jubla, dem GLoBAL-Treff, der katholischen und evangelischen Kirche, von Schüler*innen und einzelnen Freiwilligen mitgetragen wurde. «Etwa 15 Personen gingen für ältere Menschen ein bis zwei Mal pro Woche einkaufen», berichtet Andreas Pfiffner, der zuständig ist für den Sozialdienst der katholischen Pfarrei Romanshorn. Als der Lockdown aufgehoben worden sei, sei die Nachfrage zurückgegangen. Daraufhin habe man die Freiwilligen, die bei Bedarf weiterhin für diesen Dienst zur Verfügung gestanden seien, auf eine Liste gesetzt. «Es wird noch im Pfarrblatt und auf Plakaten darauf hingewiesen, dass unser Angebot weiterhin besteht», so Pfiffner.
Neben der Aktion Hand in Hand unterstützte im ersten Lockdown auch die Gruppe Romanshorn hilft gefährdete Menschen mit einem Einkaufsdienst. Romanshorn hilft hatte vor etwa zwei Wochen über Fernsehen und Zeitung nochmals auf ihr Angebot aufmerksam gemacht. «Zudem ist viel Unterstützung unter Nachbarn gewachsen. Damit scheint mir der Bedarf in diesem Bereich weitgehend abgedeckt», sagt der Sozialpädagoge. Sollte Omikron die Lage verschärfen, sei man weiterhin bereit.

Zwischen öffnen und schliessen
Die Begleitgruppe St. Johannes besuchte vor der Pandemie ältere Menschen, ging mit ihnen spazieren oder gestaltete mit ihnen ihre Freizeit. Während der letzten zwei Jahre wurden diese Besuche unter Berücksichtigung der geltenden Corona-Regeln weitergeführt. Neue Kontakte ergaben sich in dieser Zeit leider keine.
Ähnlich erging es verschiedenen Angeboten, die der Begegnung in der Pfarrei Romanshorn dienen. Während der Mittagstisch, der zwei Mal pro Monat stattfindet, und das Pfarreicafé – den geltenden Auflagen entsprechend – wieder geöffnet haben, wurden die geplanten kulturellen Anlässe, die im Treffli beheimatet sind sowie der Apéro nach dem Gottesdienst wieder abgesagt. «Wir sind in einem Zwiespalt: Einerseits würden wir gern im Rahmen der Auflagen Begegnungsmöglichkeiten anbieten, andererseits steht dann die Frage im Raum, ob das angesichts der Situation vertretbar ist», erklärt Andreas Pfiffner.

Telefonaktion in Arbon
Den Verantwortlichen der Pfarrei Arbon war es beim ersten Lockdown ein besonderes Anliegen, den Kontakt zu älteren und eingeschränkten Menschen in dieser schwierigen Zeit nicht abreissen zu lassen. Es fanden sich 25 Freiwillige, die in rund 700 Haushalten anriefen, um nachzufragen, wie es den Menschen geht und was sie benötigen (vgl. forumKirche 09/2020, S. 7). «Einige waren positiv überrascht, dass sich jemand von der Kirchgemeinde bei ihnen meldete. Sie haben sich gefreut», erzählt Co-Gemeindeleiterin Simone Zierof, die die Aktion koordinierte. Die meisten seien aber nicht auf ein solches Gespräch angewiesen gewesen. So habe man die, die das wünschten, noch ein zweites, zum Teil auch ein drittes Mal kontaktiert. Danach sei die Aktion eingestellt worden. Simone Zierof findet es nach wie vor beachtlich, wie viele Menschen sich damals um andere sorgten, sich freiwillig engagierten und bereit waren, fremde Personen anzurufen.

Herz zeigen
Um ganz handfeste Hilfe für Familien, die von den Corona-Massnahmen zu Beginn der Pandemie betroffen waren, ging es bei der Aktion Herz haben – Herz zeigen. In den Pfarreien Arbon, Horn und Steinebrunn wurden auf kirchlichem und öffentlichem Territorium grosse Holzherzen aufgestellt, die der Vermittlung von Hilfsangeboten dienten. «Hier konnten sich Menschen anonym melden, die Hilfe brauchten und solche, die ganz konkret helfen wollten, z. B. durch einen Wocheneinkauf», sagt Simone Zierof. Auch hier meldeten sich viele, die helfen wollten, aber niemand, der Hilfe gebraucht hätte. «Vielleicht waren wir ein paar Monate zu früh dran mit unserer Aktion», so die Theologin. Für die nun bevorstehenden Wochen hätte man in der Pfarrei keine weiteren diakonischen Angebote geplant. Die Sorgen und Ängste in der Bevölkerung seien nicht mehr so gross wie beim ersten Lockdown. Man wolle spontan auf Anliegen reagieren, Bedürftige könnten sich weiterhin bei den Seelsorgenden melden. «Ansonsten schauen wir optimistisch in die Zukunft und hoffen, dass wir bald wieder ohne Einschränkungen für die Menschen da sein können», meint Simone Zierof.

Jugendliche kaufen ein
Ebenfalls in Arbon koordinierte Schulsozialarbeiter Beni Müggler im März 2020 das Angebot, dass Schüler*innen der Sekundarschule ältere Mitmenschen unterstützen, die zu ihrem eigenen Schutz zu Hause bleiben sollten. Dies, indem sie Einkäufe für sie erledigten, Medikamente abholten, Pakete oder Briefe zur Post brachten oder den Abfall entsorgten. «Den Anstoss dazu gab der Schulleiter. Da während des Lockdowns auch die Schulen geschlossen waren, dachten wir, die Schüler*innen könnten sich hierbei noch für eine gute Sache engagieren», erzählt Beni Müggler, der auch als Jugendseelsorger im Bistum St. Gallen tätig ist. Die Aktion wurde dabei erst im kleinen Rahmen durchgeführt. «Wir haben Flyer gedruckt und den Schüler*innen aufgetragen, diese in ihrer direkten Nachbarschaft zu verteilen. Das steigerte die Chance, dass man sich im besten Fall kannte oder sich zumindest schon einmal gesehen hatte», so der Sozialarbeiter. Auf diesen Zetteln hätten die direkten Kontaktdaten des jeweiligen Jugendlichen gestanden sowie die Einverständniserklärung der Eltern. Damit sollte einigen Senior*innen die Angst genommen werden, dass es sich hierbei um kein seriöses Angebot handeln könnte.

Selbständigkeit wichtig
«Insgesamt beteiligten sich aus unserem Schulhaus zwölf Schüler*innen freiwillig an dem Projekt, das in dieser ersten Phase von ihnen eigenhändig organisiert wurde. Dann wollten wir das Angebot aber noch breiter streuen und starteten einen Aufruf in der Zeitung», berichtet Müggler. Die Aktion dauerte vom 20. März an ungefähr drei bis vier Wochen. Am Anfang sei die Nachfrage grösser gewesen, Mitte April hätte sich dann der Bedarf immer mehr reduziert. «Viele Senior*innen hatten sich inzwischen anders organisiert, mit der Hilfe von Freunden und Familien. Ein Angebot wie unseres war sicher wichtig in dieser ersten Phase, war aber dann mit der Zeit nicht mehr notwendig», sagt Müggler. Er glaube deshalb auch nicht, dass es beispielsweise im normalen Alltag mehr solcher Dienstleistungen brauche. «Der Stolz mancher älterer Personen, so lange wie möglich alles selbst zu erledigen, ist mitunter sehr gross. Während des Lockdowns ging es nicht anders. Das war aber eine Ausnahmesituation». Hier sehe er aber auch eher die Arbeit der Kirche gefragt. Ein gutes Angebot sind für ihn die Besuchergruppen, in denen Ehrenamtliche aus der Kirchgemeinde mit Senior*innen Zeit verbringen.

Individuelle Besuche
Solche Besuchsdienste sind auch in Frauenfeld wichtig, wo Kirche und Stadt vor fast drei Jahren ein gemeinsames Netzwerk geschaffen haben, um die bestehenden Angebote unter einem Dach zu koordinieren. In der Corona-Zeit finden jedoch vermehrt individuelle Absprachen zwischen den Freiwilligen und den Senior*innen statt. Man trifft sich im Park statt zu Hause bei den älteren Menschen oder legt ein Geschenk zum Geburtstag vor die Haustüre. Auch andere Angebote wurden durch Corona und die damit einhergehenden Auflagen beschränkt. «An unserer jährlichen Adventsfeier begrüssen wir normalerweise etwa 220 Senior*innen in unserem Pfarreisaal mit Kaffee und Gebäck. Diese Feier haben wir nun schon zum zweiten Mal durch drei kleinere Anlässe ohne Konsumation ersetzt. Insgesamt kamen dazu etwa 60 Besucher*innen», berichtet Christoph Oechsle, Bereichsleiter Diakonie der katholischen Pfarrei St. Anna in Frauenfeld.

Erhöhte Lebensmittelnachfrage
Um zu den älteren Gemeindemitgliedern trotzdem den Kontakt zu halten, sendete Christoph Oechsle ihnen – vor allem während der Zeit des Lockdowns – einen Brief mit Hinweis auf Hilfsangebote wie Mahlzeitendienste oder Unterstützung bei Einkäufen in Frauenfeld und Umgebung. Ferner waren darin aber auch Angebote der Pfarrei aufgeführt. «Wir haben ein Seelsorge-Telefon eingerichtet und eine mögliche finanzielle Unterstützung bei Notlagen angeboten. Ferner haben wir natürlich unser Tafelprojekt für armutsbetroffene Menschen, «Tischlein deck dich», weitergeführt. Wir konnten im Zuge der Passantenhilfe Menschen an die Notherberge Thurgau vermitteln und haben Mitarbeiter*innen von Firmen unterstützt, die Konkurs gegangen sind», erklärt der Bereichsleiter Diakonie. Dabei sei vor allem die Nachfrage nach Lebensmitteln und der Grundsicherung gross gewesen. «Als 2020 die Abgabestellen des «Tischlein deck dich» vorübergehend geschlossen wurden, haben wir zusammen mit der evangelischen Kirchgemeinde übergangshalber Migros-Lebensmittelgutscheine an die Tischlein-Kund*innen abgegeben», erklärt Oechsle. Die Pandemie habe die Notwendigkeit von diakonischer Arbeit klar bekräftigt. Die gesellschaftliche Situation differenziere sich immer mehr, die Zielgruppen würden vielfältiger und herausfordernder. Auch deshalb schafft Frauenfeld ab April eine neue Stelle in der Diakonie, die sich schwerpunktmässig um die Koordination der Seelsorge in den Alterszentren und um die dortige Spiritual Care im Palliativ-Bereich kümmern wird.

Detlef Kissner und Sarah Stutte, forumKirche, 27.01.2022

Simone Zierof
Quelle: ©Tobias Zierof
Simone Zierof, Co-Gemeindeleiterin Arbon, rief eine Telefonaktion ins Leben, um Senior*innen anzurufen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schüler*in
Quelle: ©Beni Müggler
Schüler*innen der Sekundarschule Arbon kauften für ältere Menschen in ihrer Nachbarschaft ein.

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