Ein Mitglied der Sea-Watch 4 berichtet

Der Lockdown machte auch dem Start der Sea-Watch 4 einen Strich durch die Rechnung. Nun ist das von den Schweizer Bischöfen unterstützte Rettungsschiff in See gestochen. kath.ch sprach zuvor mit Crewmitglied Jakob Frühmann.

Die Sea-Watch 4 ist nun bereit für ihre Mission. Wohin geht die Reise?

Wir liegen derzeit in Burriana in Spanien im Hafen, und haben vor, am Wochenende auszulaufen. Die Überfahrt nach Libyen wird fünf Tage dauern. Von dort aus versuchen viele Flüchtende den Weg übers Meer zu nehmen. Wir werden dann ca. 30 Meilen vor der libyschen Küste operieren.

Erwarten Sie, dass Sie früher oder später die längste Zeit festsitzen werden?

Es ist Teil unserer Herausforderung, dass die zivile Seenotrettung von politischer Seite teils erfolgreich kriminalisiert wurde und wir mit Hindernissen rechnen müssen. Wir gehen davon aus, dass uns früher oder später ein italienischer Hafen zugewiesen wird. Theoretisch könnte es auch Malta sein, allerdings hat sich das Land in den letzten Monaten massiv gewehrt. Doch es ist schwierig vorauszusehen, was geschehen wird. Die Sea-Watch 3 wurde von den Behörden mittels perfider Anschuldigungen festgesetzt, nachdem sie relativ unkompliziert in den Hafen einlaufen konnte. Seitens der Behörden gibt es immer wieder neue Strategien, um uns zu blockieren.

Vor Libyen gab es auch schon Zwischenfälle mit Todesopfern. Wie gehen Sie damit um?

Bei diesen Zwischenfällen starben oft Menschen, weil die sogenannte libysche Küstenwache aufgrund fehlenden Equipments und Know-hows die Rettung blockierte. Es löst Trauer und Wut aus, dass die Europäische Union (EU) vermeidbare Gewalt nicht verhindert. Gedanken an die eigene Sicherheit sind im Hinterkopf. Die sogenannte libysche Küstenwache ist faktisch ein Verband unterschiedlicher Milizen mit undurchschaubarer Zusammensetzung, wird aber dennoch von der EU mitfinanziert. Wir haben verschiedene Prozedere, wie wir mit möglicher Gewalt umgehen können. Es gibt eine Reihe von erfahrenen Personen an Bord und ich gehe nicht von einer akuten Bedrohung aus. Ein Restrisiko bleibt.

Kritiker sagen, die private Seenotrettung schaffe Anreize für Schlepper.

Der sogenannte Pull-Faktor ist eine Erfindung von Politikern. Die Menschen sind ohnehin auf der Flucht, ob nun zivile Rettungsschiffe unterwegs sind oder nicht. Gemäss wissenschaftlichen Studien sind es andere Faktoren. Wenn etwa im eigenen Land keine Zukunftsperspektiven existieren, machen sich die Menschen auf den Weg – unabhängig davon, wie gefährlich der Weg ist. Ein Faktor ist auch das Wetter: wenn es gut ist und die Windrichtung stimmt, fahren sie los. Wenn man mit Geretteten an Bord spricht, wird klar, dass sie teils Jahre unterwegs sind.

Was sollten die Regierungen aus Ihrer Sicht tun?

Die EU sollte sichere Fluchtrouten schaffen. Für solche, die nicht der Oberschicht angehören, ist es unmöglich, auf legalem Weg nach Europa zu kommen. Das müsste sich ändern. Auch sollte die zivile Seenotrettung entkriminalisiert werden. Weiter sollten die Staaten ihre eigenen Seenotrettungsprogramme starten. Idealerweise bräuchte es uns gar nicht. Davon sind wir allerdings noch weit entfernt.

Interview: Ueli Abt, kath.ch/Red., 18.8.20


Das ganze Interview auf www.kath.ch

Jakob Frühmann vor der Sea-Watch 4
Quelle: © Chris Grodotzki, sea-watch.org
Jakob Frühmann vor der Sea-Watch 4

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