Was steckt hinter diesem Phänomen ?
Immer mehr Menschen suchen den Zugang zu Glaubensinhalten via Social Media. Auf Plattformen wie Instagram gewähren Influencerinnen Einblicke in ihr religiöses Leben und ihre Glaubensüberzeugungen. Melanie Schnider, Kommunikationsmitarbeiterin der katholischen Kirche Zug, hat während ihres Bachelorstudiums Kommunikation an der ZHAW in Winterthur eine umfassende Arbeit zu diesem Phänomen verfasst. Was sie über religiöse Influencerinnen herausgefunden hat, präsentiert sie in einer Serie, die auf den folgenden Seiten abgedruckt wird.
Social Media hat die Art und Weise, wie Glaubensinhalte vermittelt werden, grundlegend verändert. Besonders auf Instagram – einer Plattform, die durch Bilder, Videos und kurze Texte geprägt ist – nutzen immer mehr Menschen die Chance, ihren Glauben sichtbar zu machen. Religiöse Influencerinnen und Influencer teilen Alltagserlebnisse, religiöse Botschaften und praktische Glaubenspraxis mit einer wachsenden Community. Die Nutzenden von Instagram nehmen dadurch die religiösen Influencer oft als Repräsentanten einer bestimmten Glaubensgemeinschaft wahr – obwohl diese oft keine theologische Ausbildung haben.
Deshalb sollte man das Phänomen kennen
Die Anzahl an Glaubensvertretern auf Social Media hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Da religiöse Influencerinnen und Influencer mit ihren teils hohen Reichweiten die Macht haben, die Meinungsbildung vieler Menschen zu beeinflussen, ist es wichtig, das Phänomen zu kennen. Deshalb untersuchte ich in meiner Bachelorarbeit «Religiöse Influencerinnen auf Instagram », warum jüdische, christliche und muslimische Influencerinnen Content auf Instagram veröffentlichen und welches Ziel sie verfolgen. Zudem ging ich den Fragen nach, welche Beiträge sie auf Instagram posten und ob auf Instagram Mechanismen auftreten, die in allen drei monotheistischen Weltreligionen gleich sind.
Interviews mit religiösen Influencerinnen
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, interviewte ich vier religiöse Influencerinnen : die jüdische Studentin und Antisemitismusaktivistin Tanya Raab (@oy_jewish_mamma), die christliche Autorin und Theologin Sarah Vecera (@moyo.me), die muslimische Influencerin und Unternehmerin Seher Danisman (@coach_seher) sowie die muslimische Sozialpädagogin und Empowerment-Trainerin Dalal Mahra (@kopftuchmaedchen). Ursprünglich wollte ich nur drei Influencerinnen interviewen, doch da die zwei angefragten muslimischen Influencerinnen zusagten, interviewte ich beide. Neben den Interviews habe ich von jeder Influencerin einen Instagram-Post analysiert.
Meine Forschung ergab, dass die Influencerinnen aus religiösen, kognitiven und gesellschaftlichen Gründen Content posten, aber auch aus wirtschaftlichen Interessen und aufgrund von plattformspezifischen Gegebenheiten. Besonders häufig gaben sie an, dass es sie motiviert, wenn ihnen die Follower oder die Profilbesuchenden mitteilen, dass sie sich wegen ihres religiösen Contents getrauen würden, ihr Verhalten zu ändern, wie beispielsweise eine Kippa (jüdische Kopfbedeckung der Männer) zu tragen. Das meistgenannte Ziel war « Denkanstösse mitgeben ». Die religiösen Influencerinnen möchten ihre Followerinnen und Profilbesucher zum Denken und Reflektieren anregen.
Die Analyse der vier Posts zeigt, dass die religiösen Influencerinnen Inhalte veröffentlichen, die Herausforderungen ihrer Glaubensgemeinschaft oder der Gesellschaft aufgreifen. So thematisiert beispielsweise der Post von Sarah Vecera den Rassismus gegenüber People of Color in der Kirche.
Auftakt zur Serie
Dieser Beitrag bildet den ersten Teil der Serie zum Phänomen religiöser Influencerinnen auf Instagram. In den nächsten drei Teilen stelle ich die Influencerinnen Tanya Raab, Sarah Vecera und Seher Danisman genauer vor.
zgkath.ch / Melanie Schnider, 23.09.2025
« Wir sind oft antisemitisch sozialisiert »
Kampf auf Instagram gegen Antisemitismus
Tanya Raab ist 24 Jahre alt, Studentin und Jüdin. Auf ihrem Instagram-Profil bietet sie Einblicke in den jüdischen Alltag in Deutschland und stellt zugleich gesellschaftliche Missstände an den Pranger.
Wer das Instagram-Profil @oy_jewish_mamma aufruft, begegnet einer jungen Frau mit farbenfrohen Kleidern, einem offenen Lächeln – und einer Kippa auf dem Kopf. Ein Anblick, der selbst für viele jüdische Menschen ungewohnt ist, denn traditionell tragen diese Kopfbedeckung nur Männer. Doch Tanya Raab trägt sie bewusst als Zeichen ihrer religiösen Identität. Die 24-Jährige studiert Lehramt in den Fächern Deutsch und Russisch und steht kurz vor dem Berufseinstieg als Lehrerin. Nebenbei betreibt sie ein scharfsinniges Instagram-Profil. Dieses nutzt sie nicht zur Selbstinszenierung, sondern um eine marginalisierte Perspektive sichtbar zu machen. Antisemitismus ist in Deutschland ein gravierendes Problem, besonders seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023. Tanya Raab ist sich der Gefahr bewusst – dennoch postet sie immer neue Beiträge.
Jüdisches Leben sichtbar machen
Die 24-Jährige nutzt Instagram, um jüdisches Leben zu zeigen und dadurch Vorurteile in der Gesellschaft abzubauen. Hierzu sagt sie : « Ich finde, deutsche und jüdische Menschen haben ein extrem belastetes Verhältnis. Ich möchte, dass sich beide annähern. » So wolle sie Verständnis fürs Judentum und jüdisches Leben schaffen. Ausserdem nutzt sie Instagram, um über Antisemitismus aufzuklären und zum Denken und Reflektieren anzuregen. « Ich glaube, wir sind oft antisemitisch sozialisiert und uns dessen gar nicht bewusst. Mir ist wichtig, dass man darüber reflektiert und spricht, weshalb wir bestimmte Vorurteile haben », sagt Tanya Raab. Des Weiteren hat sie erkannt, dass es nur wenige Menschen gibt, die über jüdisches Leben berichten, deshalb sieht sie darin ihr Alleinstellungsmerkmal. Durch ihre Inhalte möchte sie ein Gegengewicht zu oft klischeehaften und unzureichenden Darstellungen schaffen, die häufig in Lehrbüchern und anderen Medien vorkommen. Deshalb stellt sie auf ihrem Profil Unterlagen für Schulen zur Verfügung. Wie kann man sich einen Post von Tanya Raab vorstellen ?
Vorurteile hinterfragen
Einer ihrer mittlerweile gelöschten Posts zeigt die jüdische Influencerin in einer Toilettenkabine an ihrer Universität in Potsdam, eine Kippa tragend. Im Begleittext unterhalb des Fotos erzählt sie auf Instagram von den antiisraelischen Demonstrationen an der Uni und dem damit verbundenen Antisemitismus. Der kommunikative Zweck ist es, die Aufmerksamkeit der betrachtenden Person zu erregen : Warum sitzt diese junge Frau traurig in der Toilette ? Was ist passiert ? Betrachterinnen und Betrachter des Fotos sollen sich genau solche Fragen stellen und sich dadurch mit dem Thema Antisemitismus auseinandersetzen.
Zwischen Dialog und digitalem Risiko
Zahlreiche Userinnen und User verfolgen Tanya Raabs Posts : Einige konsumieren ihre Inhalte, andere kommentieren oder teilen sie – oft mit persönlichen, berührenden Nachrichten. Doch auch extremistische Gruppierungen beobachten sie, missbrauchen ihre Inhalte oder bedrohen Tanya Raab. Ihre Präsenz im Netz ist damit nicht nur ein Akt der Aufklärung, sondern auch des Widerstands.
Melanie Schnider, 23.09.2025
« Antirassismus ist Teil von Gottes Liebe »
Einsatz gegen eine weiss dominierte Kirche auf Instagram
Sarah Vecera kämpft für eine Kirche, in der alle Menschen als gleichwürdig angesehen werden – unabhängig von Hautfarbe oder sexueller Identität. Als evangelische Theologin, Autorin und Influencerin bringt sie das Thema Antirassismus in den kirchlichen Diskurs. Denn für sie gehört Gerechtigkeit untrennbar zu Gottes Liebe.
Sarah Vecera lebt in Wuppertal und arbeitet hauptberuflich als Bildungsreferentin bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM). Als Theologin und Autorin engagiert sie sich intensiv für Antirassismus, insbesondere innerhalb der Kirche. Diskriminierung gegenüber People of Color oder homosexuellen Paaren möchte sie verhindern und neue Perspektiven aufzeigen. Bereits zwei Bücher hat sie dazu veröffentlicht : « Wie ist Jesus weiss geworden ? » und « Gemeinsam anders ». Doch nicht nur auf Papier, sondern auch in ihrem Podcast « Stachel&Herz » und auf ihrem Instagram-Profil @moyo.me setzt sie sich gegen Diskriminierung in der Kirche ein. « Mit meinen Beiträgen mache ich meine Perspektive als Person of Color in einer weiss dominierten Kirche deutlich », sagt Sarah Vecera. Doch warum tut sie dies ?
Instagram als Sprachrohr nutzen
« Antirassismus ist meiner Meinung nach ein Thema, das zu wenig in den Kirchen vorkommt », betont Sarah Vecera. Um es im kirchlichen Kontext zu platzieren, nutzt sie Instagram « als Sprachrohr ». « Ohne die Plattform würde ich die evangelische Kirche in Deutschland sowie die Menschen in den Pfarreien nie so gut erreichen », erklärt sie. Doch geht es ihr nicht nur um die grosse Reichweite von Instagram und die damit verbundene hohe Bekanntheit. Vielmehr treibt sie ihr tiefer Glaube an : « Religion und Theologie sind beides sehr grosse Teile meines Lebens, meiner Identität. » Gott sei immer an der Seite derer, die unterdrückt würden. Gerechtigkeit sei Gott wichtiger als Harmonie, so Vecera. Deshalb erhebe sie «Einspruch » und zeige neue Wege auf in einer weiss dominierten Kirche. Das sei für sie jesuanisch. Sie betont : « Antirassismus ist Teil von Gottes Liebe. »
Vor allem in den letzten Jahren ist es für die Theologin immer wichtiger geworden, einzelne Menschen zu erreichen, anstatt die Institution Kirche verändern zu wollen. Und damit hat sie Erfolg : Über 17'000 Followerinnen und Follower zählt ihr Profil. « Es folgen mir viele Menschen, die gar nichts mit Kirche zu tun haben, und ich glaube, dass wir auf diese Weise einander mehr zuhören. »
Was an Sternsingen rassistisch ist
Am Dreikönigstag, 6. Januar, pflegen Christinnen und Christen den Brauch der Sternsinger. Kinder und Jugendliche ziehen als die Heiligen Drei Könige verkleidet von Haus zu Haus, singen Dreikönigslieder und erinnern dadurch an den Besuch beim Jesuskind. Da gemäss der christlichen Legende einer der drei Könige schwarz war, schminken sich einige der Kinder und Jugendlichen schwarz. Das Problem dabei : « Für schwarze Menschen ist es verletzend, wenn Schwarzsein als Kostüm betrachtet wird und sich weisse Menschen das Gesicht schwarz anmalen », steht unterhalb des Instagram-Posts von Sarah Vecera. Der Beitrag öffnet den Diskurs über Rassismus in der christlichen Glaubensgemeinschaft. Seit der Black-lives-matter-Bewegung hat dieses Thema an Bedeutung gewonnen. Der Diskurs handelt von rassistischen Ereignissen in den Kirchen der Schweiz, in Deutschland sowie in der weltweiten Ökumene. Auch geht es um Darstellungen unterschiedlicher Menschen, von schwarzen Menschen auf Spendenplakaten bis zu jener eines weissen Jesus. Mit diesen Darstellungen kann der Brauch des Blackfacings am Dreikönigstag in Verbindung gebracht werden. Dies zeigt, wie tief Rassismus in der Gesellschaft verankert ist und wie notwendig Sarah Veceras Engagement ist.
Melanie Schnider, 22.09.2025
« Fitness ist unser Weg für mehr Selbstbestimmtheit »
Seher Danisman motiviert zu Sport mit Kopftuch
Durch Sport die Selbstermächtigung von Frauen zu fördern, das ist Seher Danismans Vision. Mit ihren Fitness-Beiträgen auf dem Profil @coach_seher und ihrem Unternehmen für Sport-Hijabs setzt sie diese in die Tat um.
Sport treiben – auch mit Hijab ? Für viele muslimische Frauen ist das keine Selbstverständlichkeit. Zu gross ist oft die Angst, das Kopftuch könnte verrutschen oder man verstosse gegen religiöse oder gesellschaftliche Erwartungen. Genau hier setzt die Sportwissenschaftlerin Seher Danisman an : Auf ihrem Instagram-Profil @coach_seher motiviert sie muslimische Frauen, Sport zu treiben.
Unternehmen für Sport-Hijabs
Um den besonderen Herausforderungen Sport treibender Hijab-Trägerinnen zu begegnen, hat Danisman das Unternehmen Fitspirated gegründet. Dort vertreibt sie Sport-Hijabs, die sowohl sicheren Halt als auch Bewegungsfreiheit bieten. « Wir machen damit keine Kompromisse und stellen unseren Glauben an erste Stelle », schreibt sie auf der Unternehmenswebsite. « Fitness ist unser Weg für mehr Selbstbestimmtheit, Erfolg und Selbstbewusstsein. » Genau diese Vision verfolgt die Muslimin auch auf ihrem Instagram-Profil.
Barrieren überwinden
Danisman selbst joggt, rudert oder schwimmt mit grosser Leidenschaft. Doch sie weiss : Für viele Frauen ist der Zugang zum Sport mit Hürden verbunden. « Meine Vision ist es, Frauen weltweit zu inspirieren, ein aktives, gesundes Leben zu führen, das Körper, Geist und Seele in Einklang bringt – ohne Einschränkungen in ihrem Glauben oder Lebensstil. »
Immer wieder erhält die Muslimin Rückmeldungen. « Kürzlich schrieb mir eine Followerin, sie hätte sich überwunden, einem Volleyballverein beizutreten. » Trotz ihrer Freude, andere zu inspirieren, sieht sich Danisman nicht als Influencerin. « Ich verstehe mich als Unternehmerin, die ihre Message rüberbringen möchte. » Instagram nutzt sie aufgrund der Effektivität : Mit der Plattform kann sie jederzeit viele Menschen erreichen. Ihr Profil zählt über 7'000 Follower (Stand Juli 2025).
Islam oder Hinduismus ?
In ihren Posts verbindet Danisman Interkulturalität und Interreligiösität im Sport, wie der abgebildete Beitrag zeigt. In diesem vergleicht sie die muslimische Gebetshaltung « Qiyam » (links) mit der Yogaübung « Tadasana » (rechts), welche ihren Ursprung im Hinduismus hat. Sofort fällt auf : Die Körperpositionen sind praktisch identisch, nicht aber die Absicht (arabisch : « Niyyah ») dahinter. « Links habe ich die ‹Niyyah ›, mich Allah zu nähern, und gehe meiner Pflicht nach, zu beten », schreibt sie unter dem Post. Rechts verehre sie keinen hinduistischen Gott, « rechts mache ich Yoga und gehe der Pflicht nach, meinen Körper wertzuschätzen, um meine Gesundheit zu wahren. »
So schlussfolgert sie, dass muslimische Menschen Yoga praktizieren dürfen, wenn sie damit die Absicht haben, etwas Gutes für ihren Körper zu tun. Mit solchen Inhalten möchte sie Vorbehalte abbauen, Ängste nehmen und zeigen, dass sich Sport und Glaube nicht ausschliessen – im Gegenteil.
Melanie Schnider, 23.09.2025
Alle Artikel beziehen sich auf die Bachelorarbeit « Religiöse Influencerinnen auf Instagram », einer Qualifizierungsarbeit der ehemaligen ZHAW-Studentin Melanie Schnider.
Kommentare