Pendeln für Taizé-Gebetsabende

Daniel Burri (65) ist seit Geburt blind und lebt in Zürich. Er musiziert regelmässig an den Taizé-Gebetsabenden in Weinfelden und an der Nacht der Lichter am Silvester. Burri hat bis zur Pensionierung 2022 als Klavierstimmer gearbeitet. Seine musikalischen Vorlieben sind klassische Musik, Wiener Walzer sowie italienische Canzone und französische Chansons.

Daniel Burri, du kommst seit Jahren mit dem Zug von Zürich nach Weinfelden, um einmal im Monat am Taizé-Gebetsabend dabei zu sein. Wie ist diese Beziehung zur Taizé-Gruppe in Weinfelden entstanden?
In den Ferien 1997 lernte ich eine Frau aus der Region Weinfelden kennen, die regelmässig an den Taizé-Gebeten teilnahm. Sie hat mich dazu eingeladen. Von Sommer 1998 bis 2006 begleitete ich die Lieder regelmässig am Klavier. Dann gab es eine Pause bis 2010, bis eine Gruppe junger Menschen die Feiern wieder initiiert haben. Nun bin ich wieder regelmässig dabei.

Du gehörst der christkatholischen Kirche an. Was bedeutet dir diese Zugehörigkeit?
Ich bin quasi ökumenisch aufgewachsen. Im katholisch geprägten Kanton Solothurn wurde ich reformiert getauft wie mein Vater. Meine Mutter war Christkatholikin, und ich lernte diese unterschiedlichen Traditionen schon früh kennen. Die Atmosphäre in den christkatholischen Gottesdiensten hat mich immer mehr angesprochen als in den reformierten, da es feierlicher war. Meine Schwester und ich haben zur christkatholischen Kirche konvertiert, als ich nach Zürich kam. Das Leben in dieser Gemeinde war und ist sehr vielfältig. Ich entdeckte das Singen und den Kreistanz als liturgische Formen, die sehr schön waren. Ich sang mit im Kirchenchor und fühlte mich dadurch immer stärker zugehörig. Dann habe ich den Orgeldienst übernommen und konnte so aktiv den Gottesdienst mitgestalten. Das hat mir sehr gefallen.

Bis zu deiner Pensionierung hast du als Klavierstimmer gearbeitet. Du hast also ein ganz feines Musikgehör. Wurde es schon früh entdeckt und gefördert?
Meine Eltern sind beide sehend und meine Schwester und ich stark sehbehindert. Als ich zehn Jahre alt war, haben mir meine Eltern ein Klavier gekauft und ich konnte Klavierstunden nehmen. In der St. Ursen-Kathedrale in Solothurn konnte ich auch Orgelstunden nehmen. Schon mit 15 Jahren durfte ich hie und da in unserer reformierten Kirche in Langendorf den Organisten vertreten. Während der Lehre habe ich eine Festanstellung erhalten. Mit 18 Jahren begann ich die Lehre als Klavierstimmer bei Burger & Jacobi in Biel. Das war wirklich meine Berufung, mein Traumberuf, den ich bis zur Pensionierung in diesem Frühling mit Freude und Leidenschaft ausgeübt habe.

Hast du auch andere Musik gehört oder gespielt?
Als Jugendlicher habe ich in einer Band mitgespielt. Wir haben sogar eine Schallplatte aufgenommen mit Spirituals und Dixieland. 1986 konnten wir in einer Radiosendung spielen und brauchten einen Namen. Weil wir am Samstagmorgen geprobt haben, hiessen wir Saturday Morning-Jazzband. Wir hatten 2002–2004 einige Auftritte an Jazzfestivals in Frankreich. Die Band gab es bis 2015. Das war ganz toll! In den 1970-er-Jahren habe ich im Blindenchor in Bern mitgesungen. Später, im Singkreis der Engadiner Kantorei, konnte ich in der Schweiz auf Konzertreisen gehen und sogar nach Berlin in die Philharmonie. Über viele Jahre besuchte ich zudem die Singwochen im «Laudinella» im Engadin, die für mich immer ein grosses Erlebnis waren.

Taizé, das ökumenische Kloster im Burgund, ist für viele junge Menschen ein Kraftort. Warst du schon einmal dort?
Ich war noch nie in Taizé. Ein lutherischer Pfarrer hatte mir als Kind davon erzählt. Er hatte in Taizé eine Liegenschaft und lud uns ein, nach Taizé zu kommen. Es hat sich aber nie ergeben.

Die Taizé-Lieder sind eine besondere Art des singenden Gebetes. Einige bezeichnen sie als christliche Mantras, weil die Verse immer wieder wiederholt werden. Was fasziniert dich an ihnen?
Die Wiederholung der Melodien ist für mich Meditation. Diese Gebetsform beeindruckt mich sehr, weil es in die Tiefe geht. Es sind Momente, die ich zu Hause für mich oder in Feiern mit anderen sehr geniesse und die für mich wichtig sind. In Weinfelden gibt es zudem immer eine Stille von zehn Minuten. Das gefällt mir sehr. Es war eine neue Erfahrung. Das kannte ich so nicht in den Gottesdiensten. Ich denke, das wäre auch für Gemeindegottesdienste ein wertvolles Element, sei es nach einem Bibeltext, einer Predigt oder nach der Kommunion.

Die Nacht der Lichter ist für sehende Menschen so eindrücklich, weil die Kirche von Kerzenlicht erfüllt ist. Wie ist es für dich als nichtsehender Mensch? Wie nimmst du diese Atmosphäre wahr?
Ich nehme die Atmosphäre über den Gehör- und Geruchssinn wahr. Der Kerzenduft, das gemeinsame Feiern an diesem Abend und die andächtige Atmosphäre sind sehr stimmungsvoll. In die Gestaltung werden viele Menschen einbezogen, auch wir Instrumentalist:innen. Samuel Curau leitet das Ensemble sehr gut. Wir haben nur die eine Vorprobe an jenem Abend und es klappt immer sehr gut. Das ist nicht selbstverständlich.

Wie gestaltest du deinen Alltag, seit du im Frühjahr pensioniert worden bist?
Ich lebe allein in einer Alterswohnung in Zürich und habe einen grossen Kreis von Freund*

innen und Bekannten. Ich besuche zweimal wöchentlich das Bildungs- und Begegnungszentrum des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes. Dort treffe ich interessante Menschen und kann vielfältige Angebote nutzen. Zudem reise ich sehr gerne, sei es zu zweit oder in Gruppen. Als Kind waren wir mit der Familie achtmal am selben Ort an der Adria. Am Sandstrand zu sein und im Meer zu schwimmen, war für mich eine besonders schöne Zeit. So fahre ich weiterhin zweimal im Jahr ans Meer, um mich zu entspannen und abzuschalten. Am liebsten mag ich es, wenn ich das Fenster aufmachen kann und das Meer rauschen höre.

Während des Interviews hast du unzählige Male genaue Jahreszahlen und Namen von Lebensgefährt*innen genannt. Mir scheint, du hast ein Elefantengedächtnis. Ist das für blinde Menschen typisch?
Ja, ich habe früh gelernt, mir immer alles zu merken, da ich oft nichts aufschreiben konnte. Es ist wirklich so, dass ich rückblickend sehr genau weiss, was wann mit wem passiert ist. Ich schaue auch gerne zurück auf mein reiches Leben.

Simone Curau-Aepli/Red., 13.12.2022

 

 

Nacht der Lichter an Silvester in Weinfelden
Quelle: zVg
Nacht der Lichter an Silvester in Weinfelden

 

Daniel Burri, stark sehbehinderter, passionierter Pianist und ehemaliger Klavierstimmer
Quelle: zVg
Daniel Burri am Klavier

Kommentare

+

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.