Wie sich die Beerdigungen in Zukunft verändern werden

Der Umgang mit Sterben und Tod befindet sich in einem Veränderungsprozess, denn sowohl die Säkularisierung als auch die Individualisierung nimmt immer mehr zu. Eine aktuelle Studie des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) untersucht die derzeitige kirchliche Bestattungssituation und zeigt mögliche Entwicklungen auf. Welche Aufgaben und Herausforderungen dabei nicht nur auf die Kirchen, sondern die ganze Bestattungsbranche warten, dazu hat forumKirche drei Experten befragt.

Laut der SPI-Studie befindet sich die kirchliche Bestattungskultur schon jetzt in einem Wandel, der sich weiter fortsetzen wird. Vergleicht man die Anzahl der katholischen Bestattungen mit der Anzahl der Taufen oder Trauungen schweizweit, so liegen zwar die Beerdigungen mit rund 22'000 Abdankungen jährlich immer noch an der Spitze – kein kirchliches Ritual wird so oft in Anspruch genommen. Doch gibt es durchaus unterschiedliche Entwicklungen, was die Bestattungsquote (Anzahl der Kirchenmitglieder, die sich kirchlich bestatten lassen) in den einzelnen Kantonen betrifft. Laut den bundesamtlichen Statistiken zur Sterblichkeit und zur Religionszugehörigkeit von 2012 bis 2019 (Altersgruppe 65 Jahre und älter), auf die sich das SPI bezieht, ist diese Quote in urbanen Gebieten und in der Westschweiz niedriger als in anderen Kantonen. Im Kanton Schaffhausen lag die Bestattungsquote im Schnitt bei ungefähr 80 Prozent, Tendenz fallend. Im Thurgau erreichte die Quote noch fast 100%, seit 2018 pendelt sie sich bei rund 80% ein. In beiden Kantonen ist die Anzahl evangelisch-reformierter Bestattungen um einiges höher und stabiler.

Bedeutungsverlust der Kirchen

Die Studie geht davon aus, dass die Bestattungsquoten in allen Kantonen künftig eher noch weiter sinken werden. Die Gründe sieht sie in der zunehmenden Kirchendistanzierung und dem Bedeutungsverlust der Kirchen, weil die individuellen Vorstellungen über das Leben und Sterben zugenommen hätten, der Glaube seine tröstende Funktion verloren habe und das Diesseits mehr an Gewicht gewinne. Gleichzeitig gebe es modernere Wertvorstellungen und veränderte Todesumstände. Das alles hätte einen Einfluss auf die Ausgestaltung und Inanspruchnahme der kirchlichen Abdankung. Zudem werde der Tod mehr und mehr als das Ende einer individuellen Existenz betrauert, weshalb entsprechend die Persönlichkeit und das Leben des Verstorbenen auf einer Beerdigung in den Vordergrund rücke. Einzelne Hinterbliebene würden sich auch aktiv in die Gestaltung der Zeremonie einbringen wollen, sei es mit bestimmten Musikwünschen oder durch persönliche Worte. So rücke anstelle des öffentlichen Gottesdienstes, welcher der Verbreitung des Glaubens und der Zusage der göttlichen Gnade diene, der Abschiedsschmerz in den Mittelpunkt. Damit verbunden finde eine Privatisierung der Trauer statt, was sich in der Tendenz zur Beerdigung im engsten Familienkreis zeige.

Trauern im engsten Kreis

Das beobachtet auch der 23-jährige Weinfelder Levin Ulmann, Mitarbeiter der Firma Hans Gerber AG in Lindau (ZH), die Sargfabrikationen und Bestattungsdienste anbietet. «Sowohl die Beerdigungsgottesdienste werden aufgrund der Zunahme an Kirchenaustritten zukünftig weiter abnehmen, als auch der Wunsch nach einer klassischen Bestattung mit Abdankung und Leichenschmaus». Ähnlich äussert sich Rolf Steinmann, Leiter des Bestattungs- und Friedhofamts der Stadt Zürich: «Nur etwa ein Drittel aller Beisetzungen finden noch mit einer kirchlichen Feier statt. Die Friedhofskapelle wird immer weniger genutzt », sagt er. Das habe aber auch mit einem vermehrten Wunsch nach Anonymität zu tun, meint Levin Ulmann. «Viele Menschen wollen gar keine Bestattungsanzeige in der Zeitung mehr oder einen Gottesdienst, sondern einfach still und leise oder wenn, dann nur im Beisein einiger Angehöriger beigesetzt werden», sagt er. Damit bestätigt sich die Vermutung der Studie, dass private Rituale im kleinen Kreis gefragter werden, auch deshalb, weil man in der Schweiz die Urne mit der Asche der verstorbenen Person mit nach Hause nehmen könne, es das Angebot von Fluss- oder Seebestattungen gebe und Friedwälder mit Beisetzungen unter Bäumen.

Flexibilität gefordert

Levin Ulmann sieht ebenfalls eine Zunahme der Individualität im Hinblick auf die Bedürfnisse und spezifischen Ansprüche der Kundschaft. «Wir haben bei uns in der Firma viele verschiedene Urnen in allen Farben und Formen, damit wir den einzelnen Wünschen gerecht werden können», sagt der junge Bestattungsangestellte. Das zeige sich auch in der Sargproduktion: «Wir nehmen die Anliegen immer ernst, egal, wie verrückt sie sich anhören. Wenn jemand also einen violetten Sarg möchte, einen aus Mahagoni oder aus einem bestimmten Baum in seinem Vorgarten, machen wir das», so Levin Ulmann. Falls er sich irgendwann einmal selbstständig mache, wäre er auch absolut offen für futuristische oder individuelle Designelemente, die am Sarg oder an der Urne die Persönlichkeit des Menschen widerspiegeln würden, sagt er. Auch in seinem Zweitberuf als Kirchenmusiker versucht der 23-Jährige die Bitten der Angehörigen zu erfüllen. «Bei der letzten Beerdigung sollte ich ausdrücklich Popularmusik spielen. Viele Organisten, die 40 Jahre lang Bach gespielt haben, bieten das nicht an», erklärt Ulmann. Ihm sei es aber eine Herzensangelegenheit, gute Erinnerungen an die Verstorbenen zu schaffen. Dasselbe versuchen in jüngster Zeit laut SPI-Studie auch immer mehr Privatdienstleister. Neben den kirchlichen Bestattungen etabliere sich ein professionalisierter Markt von «freien» Beerdigungen in Zusammenarbeit mit Ritualbegleiter* innen oder Grabredner*innen. Die Kirchen würden dabei zu Anbietern unter vielen inmitten eines religiös-spirituellen Marktes. In einer modernen Gesellschaft werden sie deshalb kaum darum herumkommen, sich ebenfalls vermehrt den Hinterbliebenen und ihren Erwartungen zuzuwenden, sei es in den Vorbereitungen zu einer Bestattung, aber auch in der Trauerbewältigung. In eine ähnliche Richtung denkt auch Levin Ulmann: «Ich sehe einen Konkurrenzkampf bei der Sargfabrikation. Der Markt ist hart umkämpft. Natürlich könnte man billigere Särge aus dem Ausland einkaufen, deshalb müssen wir in der Schweiz umso mehr mit Qualität überzeugen».

Mehr Kremationen

Wie sehr sich die Bestattungskultur verändert, zeigt sich vor allem in grossen Städten. In Zürich sind bereits neun von zehn Beisetzungen Urnenbestattungen. Ein weiterer Trend ist die Bestattung in Gemeinschaftsgräbern. «Grund dafür könnte sein, dass Menschen nicht allein beigesetzt werden möchten», mutmasst Reto Bühler, Leiter vom Friedhof Forum Zürich. Auch der Kostenaspekt spiele sicherlich eine Rolle. Gemeinschaftsgräber werden oft auch als Themengräber gestaltet, z. B. um eine Engelfigur herum oder um ein altes, denkmalgeschütztes Grabmal in Tempelform. Diese Entwicklung sieht auch Levin Ulmann: «Das Angebot an Gemeinschaftsgräbern nimmt zu, viele Friedhöfe geben dafür spezielle Plätze frei». Die Zunahme an Urnen- und Gemeinschaftsgräbern hat zur Folge, dass weniger Fläche benötigt wird. «Unsere Friedhöfe sind nur noch zu etwa 40 Prozent belegt», stellt Reto Bühler fest. Dadurch werden sie mehr als parkähnliche Anlage wahrgenommen. Menschen nutzen sie als Erholungsgebiet, um auf einer Bank ein Buch zu lesen, ein Feierabendbier zu trinken oder eine Picknickdecke auszubreiten. «Hier beginnen die Konflikte», sagt Reto Bühler, «was ist noch pietätvoll und wo ist eine Grenze erreicht?». Für ihn sind Friedhöfe gesellschaftlich wichtige Orte, an denen Menschen ihrer Angehörigen gedenken, aber auch über die eigene Endlichkeit nachsinnen können. Deshalb liegt ihm deren Zukunft am Herzen: «Wir müssen die Friedhöfe neu denken». Eine Weiterentwicklung, die auch im Ausland diskutiert wird, sind QR-Codes an den Gräbern. Mit Hilfe dieser Codes könnte man über das Handy Näheres über die*den Verstorbene*n erfahren oder eine Botschaft, die sie*er zu Lebzeiten aufgenommen hat, anhören. «Solche digitalen Anwendungen werden auf den Friedhöfen Einzug halten», ist Bühler überzeugt, «da sie für die kommenden Generationen zum Alltag gehören».

Biologisch abbaubare Särge?

Für Levin Ulmann hält die Zukunft auch die Möglichkeit der Unmachbarkeit bereit, aufgrund verschärfter gesetzlicher Vorgaben beispielsweise. «Werden die Wünsche immer ungewöhnlicher, wird vielleicht mehr reglementiert, wenn jemand die Asche eines Angehörigen auf dem Migros-Parkplatz verstreuen möchte oder an anderen aussergewöhnlichen Orten», erklärt er. In Lindau ist der Bestattungsmitarbeiter unter anderem für Auslandsüberführungen zuständig und schon heute gebe es hier Beschränkungen. «Manche Destinationen werden schlichtweg nicht angeboten, weil sie nicht angeflogen werden oder weil in diesen Ländern Krieg herrscht. Das finde ich schade». Genauso könne es aber auch sein, so Ulmann, dass die Grabruhe auf Friedhöfen von 20 Jahren auf fünf oder zehn verkürzt werde, wenn man beispielsweise keine Holzsärge mehr verwende, sondern Särge aus biologisch schneller abbaubaren Materialien. Grosse Sorgen um die Bestattungsbranche macht sich der 23-Jährige Weinfelder aber nicht: «Wir werden auch in vierzig Jahren noch dasselbe machen – gestorben wird immer. Wir bringen die Leichen von A nach B, egal ob die Fahrten dann mehr auf den Friedhof führen oder ins Krematorium».

Sarah Stutte und Detlef Kissner, forumKirche, 17.11.20


Vollständige Studie «Die Beerdigung in den beiden grossen Kirchen: hohe Zustimmung bei zunehmender säkularer Konkurrenz» unter: www.spi-sg.ch
 

Der 23-jährige Levin Ulmann
Quelle: Sarah Stutte
Der 23-jährige Levin Ulmann aus Weinfelden war schon früh vom Thema Tod fasziniert: «Ich finde es hochinteressant, wie jemand zu Tode kommt und damit verbunden auch den Blick in die verschiedenen Leben von Menschen und Angehörigen»

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