Finanzielle Not wegen hoher Krankenkassenprämien
Zum vierten Mal in Folge steigen die Krankenkassenprämien auf das neue Jahr hin deutlich. Noch mehr Haushalte mit tiefen Einkommen geraten unter Druck, zumal gleichzeitig die Kosten für das Wohnen steigen. Wegen der steigenden Kosten wenden sich immer mehr Menschen an die Caritas. In Neuenburg beispielsweise ist die Anzahl Sozialberatungen innert drei Jahren um 84 Prozent gestiegen. Séverine Ummel Débieux, Leiterin der Sozialberatung Westschweiz, zeigt auf, welche Folgen das für Betroffene hat und wie die Caritas ihnen beratend hilft.
Séverine Ummel Débieux, in vielen Lebensbereichen steigen die Kosten auf das kommende Jahr hin und weniger Gutbetuchte in unserer Gesellschaft geraten finanziell an ihre Grenzen. Welche Bedeutung haben die steigenden Krankenkassenprämien bei den Sozialberatungen ?
Die Krankenkassenprämien sind in der Schweiz ein wesentlicher Faktor für Verarmung. Das bereitet uns grosse Sorgen, und wir stehen dem Problem ziemlich machtlos gegenüber. Immer mehr Menschen kommen zu uns in die Sozial- oder Schuldenberatung, weil sie bei der Krankenkasse verschuldet sind oder mit den Prämienzahlungen im Rückstand. Da sind zum einen Menschen, die wir erst über ihr Recht auf Prämienverbilligung aufklären und ermutigen müssen, diese zu beantragen. Auch gibt es Menschen, die eine niedrige Franchise haben und die hohen Prämien kaum bezahlen können. Oder umgekehrt diejenigen, die zwar eine niedrige Prämie haben, im Krankheitsfall aber einen hohen Selbstbehalt tragen müssen und nicht wissen, wie sie diese Ausgabe stemmen sollen.
Welche Folgen haben die hohen Kosten für betroffene Menschen ?
Es gibt Menschen, die aufgrund von Schulden an eine Krankenkasse mit hohen Prämien gebunden sind. Andere bräuchten dringend eine Zahnbehandlung, was leider nicht von der obligatorischen Grundversicherung gedeckt wird. Diese Personen können dann nicht zum Zahnarzt gehen, weil ihnen das Geld dafür fehlt.
Aus Geldmangel auf eine medizinische Behandlung verzichten ?
Das ist leider eine Realität. Viele verzichten auf einen Arztbesuch und häufen den Stress an, der durch ihre missliche finanzielle Lage entsteht. Die Folge sind Schlafmangel und andere Beschwerden. Häufig greifen die Betroffenen zur Selbstmedikation. Wir hören oft, dass Menschen im Alltag unter Rückenschmerzen oder Angstzuständen leiden, die sie nicht eine Minute lang entspannen lassen. Es gibt aber auch Personen, die wegen eher harmlosen Dingen sehr oft zur Ärztin oder zum Arzt rennen. Wir verurteilen dieses Verhalten nicht, denn wir sind uns bewusst, dass für diese Leute der Arztbesuch eine Möglichkeit ist, sich Sicherheit zu verschaffen.
Sie bieten auch eine Art « Sprechstunde » an. Was kann man sich darunter vorstellen ?
Für viele Menschen ist es wertvoll, dass sie mit jemandem reden können, dass ihnen zugehört wird. Wir stellen auch Fragen, um ihre Situation besser zu verstehen und um erste Schritte für die Entwicklung einer Strategie zur Stabilisierung zu entwickeln. Viele schämen sich, fühlen sich verurteilt und haben Angst, ihrerseits Fragen zu stellen oder um Hilfe zu bitten.
Sie haben zuvor die Verschuldung angesprochen. Wie steht es um die Prävention ?
Es gibt noch viel zu tun, bis alle verstehen, dass die Problematik der Schuldenspirale nicht einfach eine Frage der Eigenverantwortung jedes einzelnen ist. In der Schweiz braucht man viel Geld, um alle Ausgaben und Unvorhergesehenes bewältigen zu können. Ohne Rücklagen kann man leicht ins Stolpern geraten, und die gesamte Lebenssituation wird beeinträchtigt. Eine Pfändung beispielsweise kann schwerwiegende Auswirkungen auf die Beschäftigung haben. Das System ist zudem darauf ausgelegt, die Gläubiger zu verteidigen. Um sich darin zurechtzufinden und angemessen handeln zu können, muss man mental stark sein. Doch gerade, wenn man von finanziellen Schwierigkeiten geplagt wird, ist es besonders schwierig, klar zu denken und einen kühlen Kopf zu bewahren. Um zu verhindern, dass die Menschen völlig den Boden unter den Füssen verlieren, braucht es Präventions- und Unterstützungsarbeit.
Interview : Fabrice Boulé, Caritas Schweiz, 10.11.2025
Kommentare