Zum Bodensee-Kirchentag in Schaffhausen

«Nach uns die Sintflut?» – Mit dieser aufrüttelnden Frage lädt der 18. Internationale Ökumenische Bodensee-Kirchentag am 17. und 18. September ein, sich mit drängenden gesellschaftlichen und kirchlichen Herausforderungen auseinanderzusetzen. 

Vorträge, Diskussionsrunden, Gottesdienste, Meditation, Konzerte, Comedy und zahlreiche Möglichkeiten zur Begegnung sollen das Treffen zu einem «Marktplatz der Hoffnung» werden lassen. Dafür werden sich viele bekannte Gesichter aus der Wissenschaft, der Politik, der Musikbranche und dem kirchlichen Umfeld einbringen. forumKirche sprach mit zwei Mitwirkenden, um nähere Einblicke in deren Beiträge zum Kirchentag zu gewähren und damit das Interesse an diesem Treffen zu wecken.

Glaube als Motivation
Eine der Referent*innen ist Dr. Ellen Ueberschär. Die evangelische Theologin findet es spannend, am Kirchentag mitzumachen, weil er zwar regional ist, aber eine überregionale Ausstrahlung besitzt. «Grundsätzlich möchte ich ins Gespräch kommen mit Menschen, die in dieser Welt etwas gestalten wollen und die sagen, der Glaube ist dafür unsere Motivation», erläutert sie. 
1967 in Ostberlin geboren, wurde ihr staatlich verwehrt, Medizin zu studieren. Deshalb liess sie sich zuerst zur Facharbeiterin für Datenverarbeitung ausbilden. 1988 begann sie das Studium der Theologie am Sprachenkonvikt Berlin. An der Universität Marburg promovierte sie 2002 zu einem Thema der kirchlichen Zeitgeschichte und erhielt dafür den Promotionspreis der Universität. Von 2004–2006 war sie Studienleiterin für Theologie, Ethik und Recht in der Evangelischen Akademie Loccum. Bekannt wurde sie als Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages während der Jahre 2006–2017. Danach war sie im Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Auf die Frage, was sie veranlasst hat, auch am Podium mit der Klimajugend mitzumachen, erklärt Ueberschär: «In der Zeit bei der Heinrich-Böll-Stiftung habe ich mir viel Expertise im Klimathema angeeignet, weshalb ich gerne mit der Klimajugend diskutiere.»

Länderübergreifender Austausch
Seit Juni ist Ellen Ueberschär Vorständin der Stephanus-Stiftung in Berlin-Weissensee. Die Stiftung ist ein diakonischer Träger, der mit Menschen arbeitet, die Assistenz oder Pflege benötigen, aber auch Schulen und Kitas führt. Ueberschär ist zuständig für das strategische Personalmanagement, die Unternehmens- und Strategieentwicklung sowie die Nachhaltigkeit. Der Titel ihres Vortrags lautet: «Klimakrise, Konflikte, wachsende Not: Wo ist Hoffnung, wo Bewegung?» Dazu sagt sie: «Ganz wichtig ist mir, dass wir uns als Christ*innen schützen vor dem Gefühl der Weltuntergangsstimmung und der Hoffnungslosigkeit. Das grenzt für mich an Blasphemie – genau wie umgekehrt Allmachtsfantasien.» Gleichzeitig sei es mit den kleinen Schritten nicht getan, also damit, den Lebensstil anzupassen, beispielsweise kein Fleisch mehr zu essen oder nicht mehr mit dem Flugzeug zu verreisen. Diese Schritte seien selbstverständlich sehr wichtig, aber es gehe darum, viel stärker länderübergreifend zu arbeiten, sich als Kirchen ökumenisch über Ideen auszutauschen. 

Politischer Einfluss
«Kirchen dürfen ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen. Statt zu betonen, dass sie eine kleiner werdende Gruppe sind, sollten sie die Vielfalt betonen und die Gestaltungsmöglichkeiten, die sie haben. Sie besitzen Immobilien und Land. Dadurch haben sie einen grossen Hebel, einen politischen Einfluss.» Ueberschär betont: «Da Kirchen eine Schöpfungsverantwortung haben, müssen sie alles ihnen Mögliche tun, Schöpfung im eigenen Handlungsbereich wahrzunehmen und zu bewahren. Kirchen können und sollen sich engagieren – in einem demokratischen Prozess, ohne den wir die Klimakrise nicht lösen werden. Bevormunden und erziehen wollen sollten sie nicht.» Ein weiteres Potenzial der Kirche liege im Sozialbereich. Kirchgemeinden hätten einen starken Bezug zum Quartier. Und das Quartier sei der Sozialraum, wo Menschen lebten und vernetzt seien. Für sie heisst das: «Liturgie und Diakonie müssen so gestaltet werden, dass sie für Menschen offen sind.»

Luke Gasser präsentiert Film
Ein Höhepunkt des Kirchentages wird die Premiere des Dokumentarfilms «Josua Boesch – Ein Mensch der Dämmerung» sein. Der bekannte Theologe und Künstler, dessen Metall-Ikonen bis heute viele Menschen berühren, hätte dieses Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert. Anlässlich dieses Jubiläums entstand der Film über Boesch, in dem der Regisseur Luke Gasser die Lebensstationen des Künstlers in den Kontext von Familie, Pfarramt, Zeitgeist und persönlichen Erfahrungen stellt.
«Als Erstes hat mich angesprungen, dass er ein Kind dieser Aufbruchszeit gewesen ist», beschreibt Gasser die Annäherung an den evangelischen Pfarrer. Dieser habe den Wechsel von verbohrtem Katholizismus bzw. Reformiertentum hin zu ökumenischen Bestrebungen miterlebt, ebenso wie die Tatsache, dass dann alles zurückbuchstabiert worden sei. «Das muss für ihn eine riesige Enttäuschung gewesen sein.» Luke Gasser kann sich gut in seinen Protagonisten hineinversetzen: «Ich habe selbst miterlebt, was es mit Menschen macht, wenn ein Aufbruch von oben herab umgekehrt wird.»

«Kompromisslose Reise»
Luke Gasser ist Josua Boesch nie persönlich begegnet. Doch je mehr er sich mit ihm befasste, desto mehr wurde ihm klar: «Dieser Mann ist ein Gesamtkunstwerk.» Ihn beeindruckt sein konsequenter Weg: die Scheidung, das Akzeptieren seiner homosexuellen Neigung, sein Rückzug, sein Leben als Eremit, die Entdeckung des Künstlerischen … «Das ist eine mutige und kompromisslose Reise. Eine solche Biografie verdient, dass sie erzählt wird», sagt der Filmemacher. 
Auf seiner Spurensuche begab er sich nach Italien, besuchte unter anderem das Kloster Camaldoli, wo Josua Boesch mehrere Jahre gelebt hatte. Zudem konnte er mit Menschen reden, die Boesch persönlich gekannt und erlebt haben. Eine wichtige Quelle war für ihn auch Boeschs Tagebuch, das dieser noch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht hatte und in dem er seinen Weg sehr reflektiert darstellt. «Das war typisch für die 1950er- bis 1970er-Jahre. Man hat sich als Individuum wichtig genommen, versuchte seinem Leben eine Bedeutung zu geben. Boesch war da Kind seiner Zeit», sagt Luke Gasser. 

«Ein Gottsucher»
Wer ist nun Josua Boesch für ihn, nachdem er sich so intensiv mit ihm auseinandergesetzt hat? «Er war ein Gottsucher. Dieses abgegriffene Wort trifft auf ihn wirklich zu», so Gasser. Boesch habe Gott gefunden. Der biblische Gott sei für ihn eine Realität gewesen. Von daher sieht Luke Gasser in ihm auch keinen Mystiker, der sich mit Gott zu vereinen versucht: «Josua Boesch hat vielmehr versucht, dem Ideal dieses Gegenübers, dieses biblischen Gottes zu entsprechen.»
Die Bezeichnung «Mensch der Dämmerung» im Titel sei aus der Gruppe des Fördervereins gekommen. Für Boesch sei nämlich die Dämmerung die wichtigste Tageszeit gewesen. «Er mochte den Übergang, das Zwischendrin zwischen Tag und Nacht. Das war der wahre Kern seines Wesens», sagt Luke Gasser. 
Dass der Regisseur sein Gegenüber nicht gekannt hat, ist für ihn kein Nachteil. «Wenn man sich kennt, wird man durch Sympathie oder Antipathie vereinnahmt. Ich konnte dagegen absolut nüchtern und objektiv an meine Aufgabe gehen, konnte mich von meinen Eindrücken leiten lassen.» Darüber hinaus habe er gegenüber niemanden eine quasi moralische Verpflichtung gehabt. Er sei wie ein Historiker an eine historische Person herangegangen. Die Filmpremiere, an der Luke Gasser anwesend sein wird, findet am 17. September, 14 Uhr, im Haberhaus in Schaffhausen statt.

Detlef Kissner und Béatrice Eigenmann, forumKirche, 01.09.2022


Schlaglichter auf den Kirchentag
Samstag, 17.09.
10.30 Alphorn-Konzert mit Lisa Stoll
10.45 Vortrag mit Pater Anselm Grün: Wozu noch glauben?
13.30 Interview mit Hartmut Rosa
13.30 Vortrag von Nico Paech: Was in der Klimakrise hoffen lässt
14.30 Konzert mit Andrew Bond
15.15. Podiumsgespräch «Frech, Jung, Machtkritisch» mit Claudia Danzer, Luisa Bauer, Lisa Baumeister und Schwester Jakoba Zöll
17.00 Irish-Rock-Konzert mit Rockets
17.30 Kath. Messe mit Erklärungen
17.30 Bibelpflanzen-Führung mit Dr. Urs Weibel und Pfr. Matthias Eichrodt
19.00 Rock-Konzert mit Last Avenue

Sonntag, 18.09.
10.15 Jazz-Gottesdienst
10.15 Jodler-Messe 
10.15 Klima-Gottesdienst
10.15 Internationaler Fest-Gottesdienst
13.00 Abschlussfeier mit Kundgebung mit Irène Kälin, Nationalratspräsidentin, Heinrich Bedford-Strohm, evang.-luther. Landesbischof von Bayern u. a. 

Nähere Infos: www.bodensee-kirchentag2022.ch

 

Dr. Ellen Ueberschär
Quelle: zVg
Dr. Ellen Ueberschär

 

Gaby Zimmermann
Quelle: Detlef Kissner
«Ich schätze die vielen engagierten Leute, die man auf den Bodensee-Kirchentagen erleben kann, die gastfreundliche Atmosphäre, die Anlässe, um den Glauben zu feiern und zu vertiefen, sich aktuellen Herausforderungen zu stellen. Auf jeden Fall ist es eine sehr ermutigende Erfahrung! Gaby Zimmermann, Theologin, wird auf dem Markt der Möglichkeiten einen Stand zum kirchlichen Umweltmanagement Grüner Güggel Thurgau und Oeku betreuen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Luke Gasser
Quelle: www.lukegasser.com
Luke Gasser

 

Josua Boesch in seiner Kunstwerkstatt
Quelle: © Verein Josua Boesch
Josua Boesch in seiner Kunstwerkstatt

 

 

Peter Schüle
Quelle: zVg
«Es lohnt sich, am Kirchentag teilzunehmen, umso mehr, als wir vom völkerverbindenden Humanismus am Bodensee schon immer wichtige Impulse bekommen haben»
Peter Schüle, pensionierter evangelischer Pfarrer aus Steckborn, Mitglied der Kirchentag-Arbeitsgruppe für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung

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