Porträt einer krebskranken Ärztin

Patricia Kressig lebte für ihre Karriere als Chirurgin. Sie behandelte Krebs­erkrankungen, machte die Abklärungen dazu und erkrankte letztlich selbst daran. Heilung gibt es für die 42-Jährige keine. Dennoch verliert sie die Lebensfreude nicht. Hier erzählt sie ihre Geschichte.

« Als mein bester Freund Geburtstag hatte, waren meine Haare noch schön lang und blond, begannen jedoch büschelweise aus­zufallen. Das war kurz nach meiner ersten Chemo. Mein Geburtstagsgeschenk an ihn war, dass er alles mit meinen Haaren machen durfte. Er musste nur versprechen, mir am Ende eine Glatze zu schneiden. Natürlich haben wir dabei auch ein biss­chen getrunken und wir hatten Spass daran. Zuerst hat er mir ein Einhorn frisiert, dann kam der klassische Irokesenschnitt in diversen Variationen und zum Schluss die Voll­glatze. Ich sah aus wie der Partner meines besten Freundes. Mit ihm wollte ich mein erstes gemein­sames Foto mit Glatze machen.

Ich habe Krebs. Einen seltenen Krebs der Gallen­blase, der von Anfang an unheilbar war. Ich habe meine Diagnose im Februar 2023 bekommen, also vor etwa zweiein­halb Jahren. Zu der Zeit ging es mir bereits einige Monate schon nicht gut. Ich hatte Kopfschmerzen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Übelkeit, Erbrechen, eine Geschmacksveränderung und musste die ganze Zeit auf die Toilette. Die Diagnose habe ich dann erhalten, als ich so starke Schmerzen und eine so massive Kraftlosigkeit hatte, dass ich end­lich zum Arzt ging. In der ersten Bild­gebung sahen wir dann den Krebs und auch, dass er bereits in weite Teile meines Körpers gestreut hatte, also metastasiert war.

Von der Ärztin zur Patientin
Mein Leben hat sich durch meine Diagnose komplett verändert. Ich habe von einem Moment auf den anderen alles verloren – meinen Job, meine Gesundheit, meine Zukunft, mein Leben. Nicht einmal mehr die Hoffnung, dass ich wieder gesund werde, war mir geblieben. Ich wusste, dass ich mit einer Chemotherapie anfangen müsste, ansonsten wäre ich in ein paar Wochen tot. Aber auch wenn ich sie machte, ver­längerte ich damit nur begrenzt mein Leben, weil ich ja von Anfang an unheilbar war. Ich wusste auch nicht, ob die Therapie wirken würde oder nicht und ich somit alle Neben­wirkungen der Chemotherapie vielleicht umsonst auf mich nähme.

Bis zu meiner Diagnose habe ich als Chirurgin gearbeitet. Da ich somit viel über meine Krebs­er­krankung wusste, war die Diagnose eine grosse Heraus­forderung. Teil­weise habe ich selbst Krebs­erkran­kungen behan­delt und die Abklär­ungen dazu gemacht. Ich konnte mir daher nichts schön­reden, auch nicht die Prognose. Es ist nach wie vor heraus­fordernd, auch für meine behand­elnden Ärzte. Wir sprechen ganz anders miteinander, führen Gespräche mit einem anderen Wissens­stand. Am schwie­rigsten ist es für mich, jetzt Patientin und nicht mehr Ärztin zu sein.

Seit meiner Diagnose habe ich viele Freunde verloren, aber auch neue gewon­nen. Was mich traurig und auch wütend macht, ist, dass Leute einen aufgrund der Krebs­erkrankung meiden. Ich weiss nicht, ob aus Angst oder weil man sich mit seiner eigenen Vergänglichkeit kon­frontiert fühlt. Es war mir schon lange ein Anliegen, dies­bezüglich mehr Bewusst­sein zu schaffen.

Was im Leben wirklich zählt
Am meisten bereue ich, dass ich das Leben nicht oder zu wenig genossen habe. Das ist eines der positiven Dinge an meiner Krebs­erkrankung. Ich habe gelernt, meine Zeit zu geniessen und zu leben. Früher habe ich nur gearbeitet. Ich war mit Herz und Seele Chirurgin. Nun muss ich meine Tage füllen. Ich durfte mich neu kennen­lernen und erfinden, mich neu orientie­ren und neue Hobbys suchen. Dazu zählen das E-Mountainbike, das Keramik­malen oder das Bärlauchsammeln. Ich gehe viel Skifahren oder Stand-up-Paddeln und treffe mich mit Freunden. Ich geniesse jetzt einfach das Leben.
Zwischen den Therapien bin ich viel reisen und tauchen gegangen. Letztes Jahr habe ich mir einen grossen Lebenstraum erfüllt. Ich habe das Misool Eco Resort in Raja Ampat in Indonesien besucht, in welchem Freunde von mir arbeiten. Es ist ein sehr spezielles, atemberaubendes Fleck­chen Erde. Dort durfte ich zum ersten Mal in meinem Leben Babyleopardenhaie sehen und konnte beobachten, wie Schild­kröten schlüpfen, aus dem Sand krabbeln und in den Ozean schwimmen. Es gibt dort unzäh­lige Schwärme an Fischen wie Barrakudas und Dickkopf-Stachelmakrelen, und ich konnte mit Schildkröten und Haien schnor­cheln. Aber auch meine grosse Leiden­schaft, die Makro­fotografie, kam nicht zu kurz. Die Unterwasser­welt dort ist atem­beraubend !

Mein Highlight war die Insel Sumbawa. Von dort aus konnte ich in Westkomodo und um den Sangeang-Vulkan tauchen. Dort habe ich Nacktschnecken fotografiert, die gerade Sex haben. Diese Tiere gefallen mir sehr, weil sie so farbenfroh sind. Ich habe auch den Pink Beach besucht. Wie der Name schon sagt, war der Sand richtig rosa. Da schlägt doch jedes Frauenherz höher, wenn man das sieht. Aber auch die schwarzen Strände waren sehr eindrück­lich. Vor allem der Kontrast zur farben­frohen Unter­wasser­welt und das Tauchen auf einem aktiven Vulkan mit austretenden Schwefel­gasblasen aus dem Sand. Es war einfach traumhaft ! Dort ging es mir gut und ich war glücklich. Ich hatte ein grossartiges 2024. Ich bin dankbar, dass ich nochmals die Chance dazu hatte, und ich habe es in vollen Zügen genossen !

Ich möchte den Leuten die Angst nehmen vor palliativen Krebspatienten. Es ist mir ein grosses Anliegen und auch etwas, was ich vor meinem Tod noch weitergeben möchte. Ich will zeigen, dass es diesen Menschen auch noch gut gehen kann, dass man Zeit mit ihnen verbringt, anstatt sie zu meiden, und dass sie nicht gleich morgen die Radieschen von unten sehen werden. Es geht dabei umso mehr ums Leben und nicht ums Überleben.

Ende April hatte ich nochmals eine Bild­gebung, weil meine Entzündungswerte erhöht waren. Ich habe vor Kurzem die Ergeb­nisse erhalten. Leider wachsen meine Meta­stasen wieder und das heisst, es ist jetzt fertig mit der Chemo. Sie wirkt nicht mehr. Momentan geht es mir aber so weit gut. 

Aline Hämmerli, 09.09.2025

Die Autorin studiert Kommunikation mit Vertiefung Journalismus an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft (ZHAW) in Winterthur.

 

Schlechte Nachrichten

Michael Thomas Mark ist leitender Arzt auf der Onkologie im Kantonsspital Graubünden und hat viel mit Menschen zu tun, die an einer Krebserkrankung leiden. In seiner Funktion muss er die schlechten Prognosen den Betroffenen überbringen.

Michael Thomas Mark, der Begriff palliativ ist für viele Menschen sehr negativ konnotiert. Wie definieren Sie ihn ?
Früher hat man gesagt, palliativ heisse, der Tod sei sehr nahe. Das ist heute häufig nicht mehr so, und Gott sei Dank hat sich der Begriff sehr verändert. Palliativ heisst heute, dass die Betroffenen mit dem Krebs noch viele Jahre leben können und vor allem auch gut.

Ist die ärztliche Betreuung in den Fällen anders, in welchen es den Menschen – trotz einer unheilbaren Krebserkrankung – noch so gut geht, dass sie ihr Leben mit einer hohen Lebens­qualität weiterführen können ?
Häufig hat man ganz normale Gespräche in dieser Zeit, bei denen es gar nicht so um die Krankheit geht. Es ist dann schön zu sehen, wie die Leute eigentlich normal weiterleben.

Irgendwann gibt es aber dann diesen Moment, in dem man sich eingestehen muss, dass es nicht mehr gut kommt.
Das ist natürlich ein ganz anderer Umgang, wenn man jemanden auf sein Ende vor­bereiten muss. Das gehört ebenfalls zu unserem Alltag.

Eine so schwierige Nachricht ist für die Betroffenen immer ein Schock. Welche Erfahrungen machen Sie da ?
Die einen gehen sehr realistisch damit um. Sie bringen ihre Familie mit und regeln alles. Andere lassen die Familie komplett aussen vor. Das muss man auch akzep­tieren. Am besten ist es sicher, wenn die Familie oder die nächsten Ange­hörigen mit dabei sind. Wir versuchen die Betroffenen in jedem Fall zu motivieren.

Video: Patricia Kressig befand sich von August 2024 bis Frühling 2025 in einer Langzeitchemotherapie und musste alle drei Wochen ins Spital. Aline Hämmerli hat sie mit der Kamera begleitet.

Krebskranke Patricia Kressig mit Kühlhaube, die Durchblutung vermindert und für weniger Haarausfall sorgt
Quelle: Private Aufnahme Patricia Kressig
Patricia Kressig mit Kühlhaube, die die Durchblutung vermindert und während der Chemotherapie für weniger Haarausfall sorgt

 

Patricia Kressig am Operieren
Quelle: Private Aufnahme Patricia Kressig
Patricia Kressig hat bis zur Krebsdiagnose für ihre Karriere als Chirurgin gelebt.

 

Patricia Kressig mit drei Velokollegen
Quelle: Private Aufnahme Patricia Kressig
Patricia Kressig hat neue Hobbys gefunden: hier mit drei Kollegen auf dem Mountainbike

 

Patricia Kressig am Tauchen
Quelle: Private Aufnahme Patricia Kressig
Ein weiteres Hobby von Patricia Kressig: das Tauchen

 

Glückliche Tage für Patricia Kressig in Indonesien
Quelle: Private Aufnahme Patricia Kressig
Glückliche Tage für Patricia Kressig in Indonesien

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