«Auf dem Weg nach innen kann man sich verirren»

Die Theologin Hildegard Aepli hat das ökumenische Projekt « grosse Exerzitien im Alltag, Gott einen Ort sichern » mitinitiiert. Es beginnt am 16. November und dauert bis am Pfingstmontag. Aepli erzählt, worum es dabei geht und warum sie dazu eine geistliche Begleitung empfiehlt.

Das Fenster von Hildegard Aeplis Büro in St. Gallen zeigt gegen den Klosterinnenhof und steht offen . Das Plätschern des Brunnens ist deutlich zu hören. An einer Wand stehen zwei einladende Sessel in Orange. Dazwischen ein Glastischchen, auf dem eine Postkarte liegt mit dem Zitat « Stille ist nichts für Feiglinge ».

Hildegard Aepli, « Stille ist nichts für Feiglinge ». Braucht es demnach Mut, um bei den grossen Exerzitien im Alltag mitzumachen ?
Ja, es braucht Mut und Entschiedenheit für den Weg nach innen. Wir begegnen uns selber auf diesem Weg. Das kann aufrütteln.

Exerzitien. Ein sperriges Wort. Was bedeutet es ?
Exerzitien sind Übungen : Sie laden zu einem Weg nach innen mit Gott ein. Das Wort geht zurück auf Ignatius von Loyola. Er hat eine spirituelle Pädagogik für das Wachsen auf dem persönlichen Glaubens­weg entwickelt. Eine Hinführung in die Mystik des Christseins.

Was meinen Sie mit der Mystik des Christseins ?
Dabei geht es um die Erfahrung, nicht so sehr um das Wissen. Es geht darum, ein Gespür für die Nähe von Gott zu bekommen. Es ist eine Begegnung mit einem Bibelwort : erleben und erfahren, welche Resonanz das in mir, im Jetzt auslöst, und ein persönliches Beten von 
Du zu Du. 

Im Begleitbuch für diese grossen Exerzitien im Alltag gibt es fünf Mal die Woche einen Impuls und eine Frage zu einem Bibel­text oder zu Zitaten der französischen Mystikerin Madeleine Delbrêl (1904–1964). Das klingt nach einem grossen Aufwand. Wer kann und will sich dafür regelmässig Zeit nehmen ?
Dies ist eine persönliche Entscheidung, für die es auch einiges an Realismus braucht. Es geht um mindestens fünf Mal 15 Minuten die Woche. Vielleicht lassen dies die Lebensumstände momentan bei jemandem nicht zu.

Und wie sieht es mit dem Ertrag aus ?
Dazu möchte ich gar nicht viel sagen. (Hildegard Aepli schmunzelt und denkt nach). Sich überraschen lassen.

Wie viele Menschen besuchten die Infoveranstaltungen ?
In St. Gallen waren es um die 50 – wie auch an zwei Orten im Kanton Bern. Verblüffend viele, denn die grossen Exerzitien im Alltag dauern ein halbes Jahr und haben eine hohe Verbind­lichkeit. Bei uns im Bistum St. Gallen hat man sich bis am 30. September schriftlich bei mir angemeldet. Offenbar besteht der Wunsch nach Gemeinschaft und Austausch. 

Gemeinschaft ? Sie sagten doch, es sei ein innerer, persönlicher Weg.
Ja, das ist ein Teil. Ein weiterer Teil ist, dass man zu einer Gruppe gehört, die sich monatlich zum Erfahrungsaustausch trifft. Zudem empfehlen wir eine geistliche Begleitung, das heisst einmal im Monat ein Gespräch unter vier Augen. Damit man eine gemeinsame Sprache suchen und finden kann für die gemachten Erfahrungen. Dies ist etwas Intimes, man kann dadurch eine Sicherheit gewinnen. Zudem kann man sich auf dem Weg nach innen verirren.

Erzählen Sie!
Exerzitien können verstärken, was in uns schon drin ist. Man kann den nüchternen Blick verlieren, die Bodenhaftigkeit oder in grosse Selbstzweifel, in die Klein­macherei oder in ein Leistungsdenken kommen.

Was ist denn das Ziel der grossen Exerzitien im Alltag ?
Es geht um die Vertiefung der Nähe zu Gott. Und um Verbindung auf jeder Ebene. Zu Jesus / Gott. Zu den heutigen Glaubens­geschwistern. Und zu den früheren Glaubens­geschwistern – damit meine ich die Menschen aus den biblischen Geschichten. Dies kann einem neu oder wieder bewusst werden durch die Auseinander­setzung mit biblischen Texten während der Exerzitien.

Interview : Martina Seger-Bertschi, 06.10.2025

Theologin Hildegard Aepli in ihrem Büro in St. Gallen
Quelle: Martina Seger-Bertschi
Hildegard Aepli arbeitet seit 2012 im Pastoralamt des Bistums St. Gallen und als Seelsorgerin in der Dompfarrei. Sie hat langjährige Erfahrung als geistliche Begleiterin und Exerzitien-Leiterin.

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