Nothilfestelle für Opfer

2006 gründete die pakistanischstämmige Autorin und Aktivistin Sabatina James den Verein Sabatina in Deutschland. Er bietet Hilfe für Menschen, die von Zwangsheirat oder Ehrgewalt bedroht sind. Seit 2016 gibt es den Verein auch in der Schweiz mit Sitz in Weinfelden. Im Interview er klären der Vereinspräsident Franz J. Müller und die Leiterin der Nothilfestelle, Sela Esslinger, wie sie Betroffene unterstützen.

Für wen ist der Verein Sabatina Schweiz eine Anlaufstelle?

Franz J. Müller: Wir helfen sowohl Frauen als auch Männern, die hier in der Schweiz und in ihren Heimatländern von Ehrgewalt betroffen sind. Die meisten Fälle werden uns dabei über Netzwerke zugetragen. Für uns ist deshalb der Kontakt zu Migrantenorganisationen, Freizeitvereinen und Kirchgemeinden von grosser Bedeutung. Sie können uns auf eine Notsituation aufmerksam machen. 
Sela Esslinger: Unsere Unterstützung richtet sich an Menschen, die entweder von Zwangsheirat bedroht sind oder die in einer Zwangsehe leben, also gegen ihren Willen in eine Partnerschaft gezwungen wurden. Häufig kommt es hier auch zu häuslicher Gewalt. Eine weitere Problematik, der wir uns widmen, ist die Konvertierung von der Ursprungsreligion zum Christentum oder zu gar keiner Religion. Solche Schritte können ganz klar zur Verfolgung durch die eigene Familie führen.

Wie sieht Ihre Unterstützung konkret aus?

Sela Esslinger: In erster Linie beraten wir die betroffenen Personen selber, aber wenn möglich auch deren Partner, in der Hoffnung, vermitteln zu können. Wir begleiten sie auch zu Terminen bei Rechtsanwälten, kantonalen Beratungsstellen oder Behörden. Für manche Betroffene, die verfolgt werden oder gar Todesdrohungen erhalten, versuchen wir Mutter-Kind-Plätze zu finden oder sie in einer unserer Schutzunterkünfte unterzubringen. 
Franz J. Müller: Wir streben als erstes Ziel immer an, innerhalb der Familie zu heilen. Diese zu verlassen ist der letzte Weg, denn danach gibt es kein Zurück mehr. Oft sehen die Betroffenen ihre Angehörigen nie wieder, was sehr schwer ist für Menschen aus Kulturkreisen, in denen die Familie alles ist. Für Frauen besteht mit diesem Bruch auch immer die Gefahr, Opfer eines Ehrenmordes zu werden.

Wie erfolgt die erste Kontaktaufnahme?

Franz J. Müller: Wir sind über unsere Notfallnummer auf unserer Webseite oder über Facebook erreichbar. Die Anrufe werden von unseren Berater*innen entgegengenommen. Diese arbeiten auf Stundenbasis von zu Hause aus. Sie sprechen Urdu, Arabisch, Punjabi und Hindi. Wir sind dabei, unseren Kreis zu erweitern, so dass wir neu auch Farsi und Kurdisch anbieten können.

In der Schweiz gilt Zwangsheirat als eigener Straftatbestand. Greifen die Gesetze dennoch zu wenig, um Zwangsehen zu verhindern?

Sela Esslinger: Theoretisch würde die Gesetzgebung ausreichen, sie wird aber der Lage von Betroffenen nicht gerecht. In der Ehrkultur ist das Denken, dass eine Verweigerung der Heirat zu einem Gesichtsverlust für die ganze Familie führt, so stark verwurzelt, dass ein solches Handeln, obwohl es legal ist, unweigerlich dem Bruch mit der Familie gleichkommt. Es entsteht ein Teufelskreis, in dem niemand etwas gewinnt. Für mich sind deshalb Sensibilisierung und Integration ein wichtiger Ansatz. Dazu soll auch die Schulungsarbeit beitragen, die wir für Schulen, Kirchgemeinden oder Polizeidienststellen anbieten.

Wie merkt man, dass jemand von Ehrgewalt bedroht ist?

Sela Esslinger: Wenn zum Beispiel ein Mädchen mit Migrationshintergrund in der Schule plötzlich mit Kopftuch auftaucht, nicht mehr am Sportunterricht teilnimmt oder Angst vor den Ferien hat, sind das Anzeichen dafür, dass die Eltern Druck aus - üben. Es gilt aufmerksam zu sein und nicht aus Gleichgültigkeit oder Angst jemanden aus unserer Gemeinschaft auszuschliessen. Es wäre schön, wenn wir Freundschaften mit Menschen aus anderen Kulturkreisen schliessen und ihnen helfen, hier richtig Fuss zu fassen.

Interview: Sarah Stutte, forumKirche, 12.1.21

www.sabatina-schweiz.ch


Sabatina James Die 1982 in Pakistan geborene Sabatina James kam als Zehnjährige mit ihrer Familie nach Österreich. Als sie nach muslimischer Tradition noch minderjährig mit ihrem Cousin aus Pakistan zwangsverheiratet werden sollte, brach sie mit ihrer Familie, floh zunächst nach Deutschland und konvertierte trotz Todesdrohung vom Islam zum christlichen Glauben. Mit ihren Organisationen Sabatina e.V. und Sabatina Schweiz will sie anderen Frauen helfen, die ähnliche Situationen durchleiden. Darüber hinaus schrieb sie mehrere Bücher zu diesem Thema. Noch immer befindet sie sich aus Sicherheitsgründen an einem unbekannten Ort. (sas)

Der Verein Sabatina Schweiz berät Frauen (und Männer), die von Zwangsheirat oder Ehrgewalt bedroht sind.
Quelle: © Pexels
Der Verein Sabatina Schweiz berät Frauen (und Männer), die von Zwangsheirat oder Ehrgewalt bedroht sind.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Gründerin des Vereins: die 38-jährige Sabatina James.
Quelle: zVg
Die Gründerin des Vereins: die 38-jährige Sabatina James.

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