Urs Brosi spricht über seine neue Aufgabe bei der RKZ

Am 25. Oktober wird Urs Brosi (56) als Generalsekretär der katholischen Landeskirche Thurgau verabschiedet. Nach 14 Jahren Tätigkeit wechselt der Theologe und Kirchenrechtler auf die nationale Ebene. Er beginnt am 1. November bei der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ), wo er ab Dezember die Stelle des Generalsekretärs übernimmt. In einem Interview legt er dar, welche Aufgaben auf ihn zukommen, und äussert sich zu aktuellen kirchenpolitischen Themen. 

Was waren für Sie die wichtigsten Stationen in Ihrer Zeit als Generalsekretär der Landeskirche Thurgau?
Es gab zwei der grossen Projekte, die auch nach aussen hin sichtbar wurden. Zum einen war dies der Bau des Zentrums Franziskus, für den ich natürlich nicht alleine verantwortlich war. Aber aufgrund meiner Rolle hatte ich eine Schlüsselposition inne, was die Bedürfnisse der Mitarbeitenden, die Finanzierung oder technische Details betraf.
Zum anderen war es die Entwicklung der neuen Landeskirchenverfassung und der beiden Gesetze für die Landeskirche bzw. die Kirchgemeinden, die 2022 in Kraft traten. Ich bin froh, dass dieses Projekt, das 2013 begann und für das ich massgeblich verantwortlich war, noch rechtzeitig abgeschlossen werden konnte. 

Und was war wichtig, aber weniger sichtbar?
Das war 2011/12 die Schaffung einer neuen Form des Finanzausgleichs, die auf einer berechneten Grundlage basiert. Es hat mir viel Spass gemacht, die nötigen finanziellen Umverteilungen mit mathematischen Regeln zu versehen. 
Was mich im Rückblick ebenfalls mit Freude erfüllt, ist, dass wir unter den Mitarbeitenden im Zentrum Franziskus eine gute Grundstimmung haben. Dazu konnte ich hoffentlich etwas beitragen. Das hat sich vor allem in der Corona-Krise gezeigt. Ich hatte den Eindruck, dass wir unter den Mitarbeitenden eine ruhige, vernünftige Grundhaltung gehabt haben, mit dieser Krise umzugehen. 

Mit welchem Gefühl verlassen Sie die Landeskirche Thurgau?
Ich freue mich, dass meine Nachfolge mit Michaela Berger und Hermann Herburger gut aufgegleist ist - zwei Personen, die gut zusammenspannen und sich ergänzen. Die Arbeit kann somit konstruktiv weitergehen.
Ich nehme dankbar wahr, dass es viele in der Landeskirche und den Kirchgemeinden bedauern, dass ich den Thurgau verlasse, dass sie sich aber auch mit Blick auf meine neue Aufgabe freuen. Ich habe mir vor einem Jahr sehr eingehend überlegt, ob ich mich bewerben möchte. Die Stelle auf der nationalen Ebene hatte für mich einen grossen Reiz, aber ich schätze die Teamsituation und das ganze Arbeitsumfeld hier auch sehr. Man ist im Thurgau weniger ideologisch unterwegs als in anderen Kantonen. Man hat hier nicht die grossen weltverändernden Ideen, die man umsetzen möchte, aber da, wo es um konkrete Fortschritte geht, ist man nicht konservativ. Wenn man vernünftige Vorschläge bringt, hat man viele Menschen, die pragmatisch konstruktiv mitziehen, die auch bereit sind, etwas zu wagen. Ich habe hier sehr viel Vertrauen gespürt von vielen Leuten, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Das hat gut getan. 

Was hat Sie dann motiviert zu wechseln?
Auf der nationalen Ebene werden stärker kirchenpolitische Themen behandelt, mit denen ich mich gern auseinandersetzen möchte: Wie positioniert man sich als RKZ gegenüber einer Bischofskonferenz? Wie geht man den Weg der Erneuerung im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch in der Kirche? Ebenso motiviert mich die Herausforderung, mit den Vertreter*innen der verschiedenen Sprachregionen unterwegs zu sein. Schliesslich tut es mir persönlich gut, nochmals etwas Neues zu beginnen. 

Was wird Ihre erste grössere Aufgabe als Generalsekretär sein?
Eine wesentliche Aufgabe wird sein, die Erstellung des Gesamtkonzeptes Migrationspastoral, das von der Schweizerischen Bischofskonferenz (SBK) und der RKZ gemeinsam erarbeitet worden ist, weiter zu begleiten. Die Entwicklung des Papiers ist ins Stocken geraten, unter anderem, weil die Leitung der bischöflichen Kommission Migratio gewechselt hat. Es muss an manchen Stellen noch Detailarbeit geleistet werden, z. B. Kriterien für die Verteilung von Stellenprozenten in den Missionen entwickelt werden.
Eine andere Aufgabe betrifft die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Die SBK hat eine Pilotstudie in Auftrag gegeben, die prüfen soll, welche Daten bezüglich des sexuellen Missbrauchs vorliegen. Wenn das Ergebnis voraussichtlich in einem Jahr vorliegt, stellen sich die Fragen, wie man weiter verfahren kann, welches Forschungskonzept sinnvoll ist und vor allem, wie man mit Leitungspersonen umgeht, die ihrer Verantwortung aus heutiger Sicht nicht gerecht wurden. Da die Aufarbeitung der Glaubwürdigkeit dienen soll, wird es aus Sicht der RKZ für solche Personen Konsequenzen haben müssen, wenn belastende Erkenntnisse gegen sie vorliegen. 

Wo steht die Kirche in der Schweiz derzeit?
Sie durchläuft - wie in ganz Westeuropa - den Prozess der Säkularisierung, Individualisierung und Entinstitutionalisierung. Der Rückgang der Kirchenmitglieder zeigte sich aber bei uns weniger stark als z. B. in südeuropäischen Ländern, weil die Menschen schon früher frei darin waren, die Kirche zu verlassen. Ausserdem ist die Kirche in der Schweiz dank ihrer dualen Struktur gut in der Gesellschaft verwurzelt. Gerade in der Vertrauenskrise im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch hat die duale Struktur stabilisierend gewirkt. Die Menschen haben gespürt, dass die Kirche nicht nur von den Bischöfen geleitet wird, sondern dass es auch Verantwortungsträger*innen vor Ort gibt, die sich um das Personal, die Finanzen usw. sorgen.

Dennoch sinkt auch die Mitgliederzahl in der Schweiz.
Ja, die Mitgliederzahl nimmt ab, allerdings etwas langsamer als in der evangelischen Kirche, weil wir von den Zuwanderern profitieren, die grösstenteils katholisch sind. Inzwischen ist die katholische Kirche zahlenmässig grösser als evangelische Kirche. In dieser Entwicklung geht es darum, uns so aufzustellen, dass wir mit weniger Finanzen und insbesondere mit weniger Personal unseren Auftrag einigermassen gut erfüllen können.

Was heisst das im Blick auf die Finanzen?
In der Westschweiz wirkt sich der Mitgliederschwund stärker aus als im Osten. Eine Studie hat allerdings gezeigt, dass wir noch über zehn Jahre eine relativ stabile Perspektive haben. Es wird dennoch einen Verschlankungsprozess brauchen. Wir müssen uns als Kirche überlegen, wie wir kleiner werden können.

Und welche Perspektiven gibt es hinsichtlich des Personals?
Hier bleibt uns weniger Zeit. Der Fachkräftemangel ist bei uns schon lange virulent, weil sich sehr wenige Schulabgänger*innen für einen kirchlichen Beruf interessieren. Hingegen haben wir eine Zahl von Menschen im mittleren Lebensalter, die sich vorstellen können, für die Kirche zu arbeiten. Leider sind wir noch nicht genug vorbereitet, dieser Gruppe adäquate Formen der berufsbegleitenden Ausbildung anbieten zu können. Wir sind viel zu langsam unterwegs. Eine der Schlüsselaufgaben ist es, gutes Personal zu finden. Dieses muss nicht zwingend ein Theologiestudium absolviert haben, grundlegend sind soziale Kompetenzen. Wenn wir das erreichen wollen, ist mehr Flexibilität und Bereitschaft für Veränderungen notwendig. 

Welche Aufgaben kommen noch auf die RKZ zu?
Die Hauptaufgabe der RKZ ist es, mit den Mitteln der Landeskirchen verschiedene kirchliche Einrichtungen auf der nationalen Ebene und den sprachregionalen Ebenen zu unterstützen, angefangen bei der Bischofskonferenz, über Institutionen im Bildungs- oder Medienbereich bis hin zu den Verbänden. Angesichts der rückläufigen Mittel versucht die RKZ schon seit Längerem darauf hinzuwirken, dass die unterstützten Einrichtungen sich effizienter organisieren. Das zur Verfügung stehende Geld soll möglichst optimal eingesetzt werden. So kam es zu Zusammenschlüssen im Medien- und im Bildungsbereich. Dieser Prozess soll weitergehen, auch bei kleineren Einrichtungen. 

Wie wichtig sind Ihnen internationale Beziehungen, z. B. zum Synodalen Weg nach Deutschland?
Für die RKZ sind solche Kontakte interessant, auch wenn wir natürlich mit keiner anderen Organisation in den anderen Ländern vergleichbar sind. Wir sind uns inhaltlich zum Teil sehr nahe. So haben wir z. B. Interesse an einer Erneuerung der Kirche und einer Rückgewinnung der Glaubwürdigkeit, nicht oberflächlich mit einer PR-Kampagne, sondern mit einer soliden Basisarbeit. Es gilt, den Ursachen nachzugehen und Strukturen zu schaffen, die weniger anfällig sind für Missbrauch und andere Formen von Machtübergriffen. In dieser Hinsicht war die Verbindung nach Deutschland sehr wertvoll gewesen. 
Die Entwicklungen in den deutschsprachigen Nachbarländern fordern uns in der Schweiz auch heraus. Wir können nicht einfach sagen, bei uns ist alles ganz anders. So z. B. die Haltung gegenüber queeren Mitarbeitenden, die sich in Deutschland erstaunlich schnell verändert hat. 
Mir ist es wichtig, die Verbindungen, die in den letzten Jahren entstanden sind, aufrecht zu erhalten, z. B. zum Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Diese können für uns sehr befruchtend sein, weil die Kirche in Deutschland Projekte mit mehr Manpower angehen kann als wir. An der letzten Versammlung des Synodalen Wegs im Februar wird Daniel Kosch noch ein letztes Mal teilnehmen. 

Welche Chancen und welche Risiken birgt der vom Vatikan initiierte Synodale Prozess?
Der Synodale Prozess dient meiner Einschätzung nach dazu herauszufinden, welche Themen in welchen Weltgegenden vorhanden sind. Das Ergebnis wird Insider kaum überraschen. Vieles ist bekannt. Aber die Themen bekommen dadurch eine mediale Öffentlichkeit. Hinsichtlich des Dreischrittes «sehen-urteilen-handeln» wird diese Auslegeordnung hoffentlich zu einem besseren Sehen führen. Diejenigen, die erwarten, dass es zu einem Urteilen und Handeln kommt, werden frustriert sein. Wenn man wirklich einen weltweiten Synodalen Prozess mit Ergebnissen hätte gestalten wollen, hätte man ihn über einen längeren Zeitraum und anspruchsvoller ansetzen müssen. 

Wie müsste der nächste Schritt aussehen?
Man müsste entscheiden, an welchen Themen man weltkirchlich weiterarbeiten und welche Themen man im Sinne der Subsidiarität auf die kontinentale bzw. nationale Ebene geben möchte. Und dann fängt der mühsame Prozess einer Einigung an. Der Weg in Deutschland zeigt, dass es viel Zeit braucht, wenn man in einem geistlichen Prozess anderen gut zuhören möchte, sie verstehen will. Ausserdem braucht es Verbindlichkeit. Wenn man nur Meinungen zusammenträgt, kommt es zu keiner Entscheidung. Das ist eine Stärke unserer staatskirchenrechtlichen Strukturen. In diesen sind klare Prozesse definiert, die zu Entscheidungen führen. 

Was wird die Bischofssynode 2023 bringen?
Die Bischofssynode ist nicht darauf angelegt, etwas zu entscheiden. Sie erteilt dem Papst nur Vorschläge. Bei dieser Breite der Themen ist es schwierig, irgendwelche Ratschläge zu erteilen. Das war ja schon bei den letzten Bischofssynoden schwer, die thematisch viel enger gefasst waren. 
Ich gehe davon aus, dass es ein erster Schritt ist auf einem Weg, der noch weitergeht. Ich würde den Prozess nicht geringschätzen. Er könnte etwas bringen, wenn er fortgesetzt wird. Andere Kontinente werden ganz andere Themen einbringen als die europäische Kirche. Wir dürfen nicht erwarten, dass unsere Hauptthemen zu einer Lösung kommen. 

Interview: Detlef Kissner, forumKirche, 28.09.2022


Die RKZ
Die Römisch-Katholisch Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) ist die Vereinigung aller katholischer Landeskirchen und kantonalkirchlicher Körperschaften der Schweiz. Als Verein organisiert, existiert sie seit 50 Jahren. Ihre Hauptaufgabe liegt in der finanziellen Unterstützung verschiedener kirchlicher Organisationen auf gesamtschweizerischer aber auch sprachregionaler Ebene. 
 

Urs Brosi
Quelle: Detlef Kissner
Urs Brosi mit dem Geschenk, mit dem ihm zu seiner Wahl zum Generalsekretär der RKZ gratuliert wurde

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