Ein Freiwilliger berichtet über seine Arbeit in Honduras

Der 32-jährige Salmsacher Yannick Wild war 2017 ein Jahr für die Organisation Peace Brigades International (PBI) in Honduras als Menschenrechtsbeobachter im Einsatz. Über seine Erfahrungen dort und warum er nicht mehr in die Schweiz zurück wollte, erklärt er im Interview.

Was hat dich dazu bewogen, dich bei PBI zu engagieren?

Ich wollte unbedingt im Ausland arbeiten, um eine neue Kultur kennenzulernen, am liebsten bei einem Menschenrechtsprojekt. Für mich sind die Einhaltung der Menschenrechte sowie die gewaltfreie Konfliktlösung die Basis für die Behebung sozialer Probleme und die Umsetzung einer erfolgreichen Entwicklungspolitik. Wichtig war mir auch, dass die Entwicklungsarbeit des von mir ausgewählten Projektes nicht noch neue Konflikte oder Probleme verursachte, also dass der sogenannte Do-No-Harm-Ansatz umgesetzt wird. Ich hatte bereits ein Praktikum bei PBI Schweiz gemacht und kannte die Prinzipien der Organisation. Das betrifft die Nicht-Einmischung, denn die Staaten und Organisationen der Zivilgesellschaft wissen am besten, wie ihre Probleme zu lösen sind, die Gewaltlosigkeit und die interne Horizontalität, die gewährleistet, dass alle zusammen Entscheidungen treffen.

Wie läuft der Bewerbungsprozess bei PBI ab?

Das Bewerbungsverfahren ist relativ lang und kann bis zu sechs Monate dauern. Zuerst wird man zu einem klassischen Vorstellungsgespräch eingeladen. Danach werden die Kenntnisse über das jeweilige Land und über die Arbeit von PBI schriftlich getestet. Besteht man diesen Test, wird man zu einer Ausbildungswoche eingeladen, mit interaktiven Workshops und Rollenspielen. Beispielsweise muss man ein Treffen mit dem Polizeichef durchspielen und ihm dabei seine Verpflichtung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern zu erklären versuchen. Am Schluss dieser Ausbildungswoche entscheiden der Teilnehmer und die Ausbilder zusammen, ob man den Einsatz macht.

Wie bereitet man sich auf eine solche Reise vor und wie sieht die Realität aus?

Ich habe im Vorfeld versucht, so viel wie möglich über Honduras zu erfahren und über die Organisationen, die PBI vor Ort begleitet. Doch wenn man dort ist, hat man sehr wenig Zeit, sich auf die Veränderungen einzustellen, weil es direkt viel Arbeit gibt. Diese ist sehr intensiv, psychisch wie physisch, weil man viel im Land unterwegs ist. Schlussendlich macht einem der Mangel an Sicherheit und Freiheit am meisten zu schaffen. Tegucigalpa, die Hauptstadt von Honduras, ist so gefährlich, dass man tagsüber alle 100 Meter bewaffnete Wächter vor den Läden sieht und nachts nicht auf die Strasse kann.

Worin bestand deine Aufgabe in Honduras?

Ein grosser Teil unserer Arbeit besteht darin, bedrohte Menschenrechtskämpfer in Risikozonen oder zu medialen Auftritten zu begleiten, um zu verhindern, dass sie angegriffen werden. Doch damit diese Begleitungen erfolgreich sind, müssen wir legitim sein, also bekannt. Wir treffen uns deshalb regelmässig mit hochrangigen Staatsbeamten, Regierungsmitgliedern, Botschaftern, Militäroffizieren und Polizeichefs, um auf uns aufmerksam zu machen. Dann können wir unser Beziehungsnetz aktivieren, einen Vorfall sichtbar machen und damit Druck auf den Aggressor ausüben. Dabei analysieren wir auch die Sicherheitssituation der zu begleitenden Personen. Wer ist der Aggressor? Warum will er die Arbeit des Menschenrechtlers stoppen? Was muss getan werden, um die Wahrscheinlichkeit eines Übergriffs zu verhindern? Wir müssen den Kontext verstehen, um entsprechend handeln zu können.

Wie sieht die politische und gesellschaftliche Situation in Honduras aus?

Seit dem Staatsstreich 2009 hat sich das Land von einer relativ schlecht funktionierenden Demokratie zu einem semi-autoritären Staat entwickelt. Der Präsident, Juan Orlando Hernández, kontrolliert sowohl das Parlament als auch die Justiz und erlässt immer mehr Gesetze, die Verfassungsfreiheiten einschränken und Menschenrechte verletzen. Als Folge der Nahrungsmittelpreiskrise 2008 werden riesige Landflächen an Privatfirmen verkauft, um Nahrungsmittel wie Palmöl, Ananas oder Bananen anzupflanzen. Die arme Landbevölkerung wird dabei nicht berücksichtigt, obwohl sie durch den Landverlust grosse Einkommenseinbussen hat. Unternehmen profitieren dafür von Steuerreduktionen und es werden auch keine Steuern auf Exportgewinne erhoben, wodurch dem Land wichtige Einnahmen entgehen. Hochrangige Akteure aus Politik und Wirtschaft sind in Korruptionsfälle und Drogenschmuggel verwickelt. Die Mara Salvatrucha ist in Zentralamerika und so auch in Honduras extrem mächtig und kontrolliert ganze Stadtgebiete. Darunter versteht man kriminelle Jugendbanden, die im Waffen-, Drogen- und Menschenhandel aktiv sind, Diebstähle und Raubüberfälle ausüben sowie oft in Morde verstrickt sind. Die Perspektivlosigkeit treibt die Jugendlichen in die Gangs. Viele versuchen in die USA auszuwandern, um der Gewalt und dem Mangel an Möglichkeiten zu entfliehen.

Als PBI-Freiwilliger setzt man sich unwillkürlich Gefahren aus. Gab es auch bedrohliche Momente für dich?

Vor jeder Begleitung haben wir die Situation eingehend beurteilt, um das Risiko zu minimieren. Deshalb war ich während der Arbeit grundsätzlich keiner direkten Gefahr ausgesetzt. Einmal wurde ich im Ausgang mit einer Waffe bedroht und ausgeraubt, aber das war meine Schuld, weil ich die Situation nicht ernst genug genommen habe. Ansonsten war die Zeit nach den Präsidentschaftswahlen ziemlich intensiv. Wir waren oft bei Demonstrationen anwesend, an denen die Polizei oder das Militär übergriffig wurde, doch auch dabei habe ich mich nicht wirklich in direkter Gefahr empfunden.

Welches Erlebnis aus Honduras ist dir am prägendsten in Erinnerung geblieben?

Nach den Präsidentschaftswahlen bedienten wir eine Notrufzentrale für bedrohte Menschenrechtsaktivisten. Innerhalb meines Dienstes bekam ich eines Nachts einen Anruf einer Organisation in Bajo Aguan, die regelmässig von einer militärischen Einheit bedroht wurde. Die Bauerngemeinschaften in dieser Region sollten von ihrem Land vertrieben werden, damit dieses für eine Privatfirma nutzbar gemacht werden konnte. In besagter Nacht war das Militär in ein Dorf eingedrungen und hatte die Häuser dort in Brand gesteckt. Die Bewohner flüchteten in einen Wald. In dieser Situation fühlte ich mich hilflos, denn ich konnte lediglich das Rote Kreuz und andere Hilfsorganisationen informieren, damit sie die Bewohner mit Lebensmitteln und Kleidern versorgen.

Wie hat der Einsatz deine Einstellungen und deinen Lebensstil verändert?

Mir ist bewusst geworden, dass meine Menschenrechtsarbeit nur ein Tropfen Wasser im Ozean ist. Ich werde kaum etwas verändern und muss das akzeptieren. Mir wurde auch klar, dass ich zwar nicht in Honduras bleiben will, aber auch nicht in die Schweiz zurück will, um dort ein völlig normales Leben weiterzuführen. Die Art, wie PBI arbeitet, hat mich ebenfalls verändert. 360-Grad-Feedbacks, also die Einschätzung der Kompetenzen und Leistungen von Fach- und Führungskräften aus unterschiedlichen Perspektiven, kannte ich vorher nicht. Doch nun setze ich das sogar in meinem persönlichen Umfeld ein. Ich kann mir heute keine bessere Arbeitsmethode vorstellen als die der Horizontalität und der Entscheidung durch Konsens. Dadurch wird man viel empathischer, übernimmt Verantwortung und ist motiviert, mitzuarbeiten.

Interview: Sarah Stutte (11.6.19)


Peace Brigades International

Die Organisation setzt sich seit 1981 für den Schutz der Menschenrechte und die gewaltfreie Konfliktbearbeitung in Krisengebieten ein. International zusammengesetzte Teams begleiten Aktivisten für Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit und beobachten die Menschenrechtslage. Die Organisation ist von der UNO anerkannt und erhielt 2001 den Martin-Ennals-Menschenrechtspreis. Als eine von 13 Ländergruppen umfasst die Arbeit von PBI Schweiz mit Büros in Bern und Genf die Bereiche Freiwilligenbetreuung, Advocacy (Anm. d. Red.: dt. Fürsprache, Aufgaben mit dem Ziel, die Lebensumstände von benachteiligten Menschen gemeinsam mit ihnen zu verbessern), Sensibilisierung und Mittelbeschaffung.

Aus der Schweiz sind jedes Jahr sieben bis neun Freiwillige in Guatemala, Honduras, Kolumbien, Mexiko und Kenia im Einsatz. Das macht rund 10 % aller PBI-Freiwilligen auf internationaler Ebene aus.

Weitere Infos: www.peacebrigades.ch


 

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Yannick Wild während seines Einsatzes in Honduras 2017.

 
 
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PBI-Freiwillige, wie hier vor Ort an einer Minendemo in La Esperanza in Honduras, versuchen, Aktivisten zu schützen.

 
 
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Mitglieder von COFADEH (Comité de Familiares de Detenidos Desaparecidos en Honduras), setzen sich für von Sicherheitskräften verschleppte Menschen und ihre Angehörigen ein.


Bilder: zVg

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