Wie junge Christen ihre Idee von Kirche verwirklichen können 

Dass in unseren Kirchen und Gemeinden immer weniger junge Menschen anzutreffen sind, scheint ein hartnäckiger Trend zu sein. Das Projekt «Teilhabe junger Menschen in der Kirche» versucht dennoch, diesem Trend etwas entgegenzusetzen. Es regt Verantwortliche in Pfarreien und Kirchgemeinden dazu an, jungen Menschen Möglichkeiten zu bieten, sich zu treffen, sich zu organisieren und in eigener Weise ihren Glauben zu leben.

«Junge Menschen finden in den Pastoralräumen und darüber hinaus Freiräume, in denen sie Kirche in ihrem Stil verwirklichen können», so wird die Vision des Projektes «Teilhabe junger Menschen» (TjM) auf der Website www.teilhabejungermenschen.ch beschrieben. Hinter dieser Vision steht die Erfahrung, dass bei vielen jungen Menschen nach der Firmung der Kontakt zur Kirche abbricht. «Dem müssen wir entgegensteuern», sagt Viktor Diethelm, Leiter der Projektstelle TjM. Die Lebensphase von der Volljährigkeit bis hin zur Familienbildung habe sich bei vielen verlängert, sei zu einem eigenen Lebensabschnitt geworden. Damit habe die Gruppe der jungen Erwachsenen an Bedeutung gewonnen. «Dieser Gruppe muss die Kirche mehr Aufmerksamkeit schenken», so Diethelm. 

Kontakte wiederbeleben
Die 2018 stattgefundene Bischofssynode zum Thema Jugend war aus Sicht von Viktor Diethelm die «Initialzündung» für das Projekt TjM. Die Synode hatte junge Menschen als «Protagonisten» eingestuft, die einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Kirche leisten können, und gefordert, deren Fähigkeiten mehr einzubeziehen. Als Antwort auf diesen Impuls wurde im Bistum Basel 2019 eine Projektgruppe gebildet, der die Leitenden der kantonalen Jugendfachstellen angehören. In Zusammenarbeit mit einzelnen Pastoralräumen stellte man überraschend fest, dass dort kaum noch Kontakte zu jungen Menschen existieren. «Es wurde deutlich, dass wir vor Ort zuerst die Kontakte wiederbeleben und mit der Bildung von neuen Gruppen starten müssen», so der Religionspädagoge. 
Eine weitere Erkenntnis war, dass es in den Pfarreien Freiräume braucht, in denen junge Menschen ihre je eigene Form von Religiosität entwickeln können. «Das kann sehr unterschiedlich aussehen. Am einen Ort treffen sich junge Menschen regelmässig zum gemeinsamen Essen, verbunden mit einem Austausch, an einem anderen Ort organisiert man eine Animation für Kinder eines Quartieres», erzählt Viktor Diethelm.

Website mit Impulsen
Die Erfahrungen, die man an der Basis gemacht hatte, wurden schliesslich zusammengetragen und Anfang dieses Jahres in Form von Berichten, Tools und Methodensammlungen online veröffentlicht. Viktor Diethelm schätzt es besonders, dass hinter den Ergebnissen einzelne Prozesse stehen: «Zum einen in den Fachstellen, wo Dinge ausprobiert wurden, zum anderen in der Projektgruppe, wo die Erkenntnisse geteilt wurden und um Beschreibungen und Ziele gerungen wurde.» Es ist geplant, die Website mit dem Fortschreiten des Projektes regelmässig anzupassen und zu ergänzen.

Hin zu mehr Eigenständigkeit 
Das Projekt zielt vor allem auf grössere pastorale Einheiten wie Pastoralräume ab, weil dort die Chance besser ist, eine ausreichend grosse und damit dauerhafte Gruppe junger Erwachsener zu etablieren. «Entscheidend ist, dass die pastoral Verantwortlichen hinter dem Projekt stehen und es mittragen», sagt Viktor Diethelm. 
Ist die Entscheidung gefallen, wird zunächst eine Situationsanalyse erstellt. Angesichts der Entfremdung der Gemeinden zu jungen Erwachsenen hält Viktor Diethelm eine objektive Bestandesaufnahme für unerlässlich. Dann folgt der Entschluss, in welchem Umfang man das Projekt finanziell und personell unterstützen möchte und welche Freiräume zugestanden werden können. Schliesslich braucht es eine langfristige Planung, die auch die anderen pastoralen Planungen berücksichtigt. Nun können junge Menschen eingeladen werden, ihre Ideen von Spiritualität und Kirchesein miteinander auszuprobieren. Anfangs wird das Projekt noch von einer Fachperson begleitet. 
«Ziel ist es, dass die Gruppe zunehmend mehr Eigenständigkeit entwickelt und letztlich zu einem anerkannten Teil des Pastoralraumes wird, dass sich diese Teilhabe verstetigt», erläutert Viktor Diethelm. Dies setze allerdings voraus, dass diese neue kirchliche Form von den anderen Gemeindemitgliedern als gleichwertig angenommen werde, auch wenn sie nicht unbedingt deren Stil entspreche. 

Zum Teil fehlt Personal
Das Projekt TjM ruft bei den Verantwortlichen ein unterschiedliches Echo hervor. Für die einen ist es eine Nummer zu gross. «Sie fühlen sich jetzt schon überlastet. Es fehlen oft das Personal oder finanzielle Ressourcen», so Diethelm. Die, die sich auf das Projekt einlassen, sind erstaunt, was sich alles unter dem Dach der Kirche entwickeln kann: verschiedene Formen von Gemeinschaft und Austausch, karitative Aktionen, das Ausprobieren neuer liturgischer Formen … Zudem melden die Verantwortlichen zurück, dass es sehr schwierig sei, die Kerngruppe auf andere junge Menschen, die der Kirche eher beobachtend oder distanziert gegenüberstünden, auszuweiten. 
Viktor Diethelm findet es sehr schade, wenn in Pfarreien keine Möglichkeit gesehen wird, sich für die Teilhabe junger Menschen einzusetzen. «Zum einen bringen junge Menschen wertvolle religiöse Erfahrungen mit, die einen Schatz für die Gemeinde darstellen», sagt der Religionspädagoge. Zum anderen biete ein solches Projekt viele Lernchancen. Die Gemeinden könnten erleben, was passiere, wenn sie sich auf etwas Neues einlassen würden.

Reiche Theologie und Tradition
Doch was hat die katholische Kirche jungen Erwachsenen zu bieten? Sehr viel, findet Viktor Diethelm. «Sie stellt ihnen Möglichkeiten zur Verfügung, sich selbstbestimmt zu engagieren.» In Bezug auf das Suchen und Fragen der jungen Generation stehe eine Theologie und Tradition zur Verfügung, in der man schon vieles durchdacht habe. «Diese Fundiertheit kann jungen Menschen helfen, nicht in Extreme zu verfallen», so Diethelm. 
Die hierarchischen Strukturen der Kirche müssen seiner Ansicht nach nicht unbedingt ein Hindernis für die Beteiligung junger Christ*innen bedeuten. Diese würden Amtsträger wie Pfarrer oder Bischöfe durchaus interessant finden. Zudem komme es darauf an, wie Hierarchie gelebt und ausgestaltet werde: machtorientiert oder aufgabenorientiert. «Junge Menschen sind sehr kritisch gegenüber der Art, wie Macht ausgespielt wird, und können damit auch ein wichtiges Regulativ für unsere Kirche sein.» 

Keine Massen
Viktor Diethelm ist überzeugt, dass sich junge Menschen schwer in die territorialen Strukturen der Kirchen einbinden lassen, sondern sich eher aufgrund ihrer Interessen zusammentun, z. B. dass sie sich als Christ*innen für Klimaschutz, soziale Anliegen oder beeinträchtige Menschen einsetzen möchten. Er hofft, dass das Projekt TjM an vielen Orten umgesetzt wird und sich Gruppen junger Menschen bilden, die Kirche vor Ort prägend mitgestalten - und zwar für Gleichaltrige wie für andere Generationen. Doch er ist sich auch der Grenzen bewusst: «Es werden nicht die Massen sein, die über dieses Projekt erreicht werden. Aber die, die mitmachen, können Sauerteig in unserer Kirche sein.»

Beispiele aus dem Thurgau 
Als Leiterin der Fachstelle Jugend der katholischen Landeskirche Thurgau gehörte Murielle Egloff von Beginn zur Projektgruppe TjM. Sie erlebte den Austausch dort und das Ringen darum, was jede*r unter Partizipation versteht, als sehr wertvoll. Mit dem Ergebnis dieses Prozesses ist sie sehr zufrieden: «Die Website mit den verschiedenen Tools ist richtig cool. Man kann damit ein eigenes Projekt starten oder nur einzelne Methoden herauspicken wie beispielsweise den Partizipations-Check.»
Neben der konzeptionellen Arbeit hat sich Murielle Egloff auch darum gekümmert, dass das Projekt TjM konkret umgesetzt wird. Im Pastoralraum Thurgau Mitte wurden Jugendliche eingeladen, im Rahmen eines World Cafés ihre Anliegen einzubringen. Es entstand ein kleines Grüppchen, das - begleitet von der Fachstelle Jugend - einen Kinoabend veranstaltete. Das sind vorsichtige erste Schritte. «Junge Erwachsene sind es nicht gewohnt, dass sie im kirchlichen Kontext ihre Bedürfnisse äussern dürfen. Das macht es schwer», stellt Egloff fest. Ausserdem würden – wie sonst auch in unserer Gesellschaft – eher lose Kontakte gesucht, ohne sich dabei verantwortlich einbinden zu lassen.

Junge Menschen früh beteiligen
Im Pilotprojekt von «dual kongruent», bei dem versucht wird, Kooperationen zwischen verschiedenen Pastoralräumen zu initiieren, setzte sich die Fachstelle Jugend mit allen Mitarbeitenden, die für Jugendarbeit zuständig sind, an einen Tisch. Als Erstes wurde versucht auszuloten, was es in diesen Pastoralräumen für Jugendliche alles gibt und wo sie sich gerne aufhalten. «Nach dieser Analyse war für uns der nächste logische Schritt, dass wir bei der Erstellung eines Konzeptes für junge Menschen diese auch einbeziehen müssen», sagt die Jugendarbeiterin. So plant die Projektgruppe für Ende Oktober ein Treffen in Form eines World Cafés, zu dem junge Menschen aus allen Pastoralräumen eingeladen werden. «Ob dieses Experiment gelingt, hängt stark davon ab, wie nahe die Bezugspersonen den jungen Menschen stehen. Persönliche Kontakte sind wichtig», stellt Murielle Egloff fest. 
Das Projekt TjM ist für sie auf jeden Fall «eine gute Sache». Wenn es aber erfolgreich sein soll, braucht es neben den Fachstellen unbedingt das Mitwirken der Verantwortlichen vor Ort. 

Detlef Kissner, forumKirche, 17.08.2023


Nähere Infos

Viktor Diethelm
Quelle: zVg
Viktor Diethelm leitet die Deutschschweizer Fachstelle für offene kirchliche Jugendarbeit (OKJ) und die Projektstelle TjM.

 

 

World-Café
Quelle: Anina Curau, Juseso
World Café im Pastoralraum Mitte Süd: Junge Erwachsene tragen in Gruppen zusammen, wie sie sich Kirche vorstellen.

 

 

Murielle Egloff
Quelle: Detlef Kissner
Murielle Egloff neben der Partizipationspyramide, die die Ausrichtung kirchlicher Jugendarbeit bestimmt

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