Ostschweizer Projekt sammelt Geschichten

Am 5. Juni ist Vätertag in der Schweiz. Dazu gibt es in der Ostschweiz ein Projekt, das Geschichten über Väter sammelt und archiviert. Getragen wird es vom Verband FamOS (Familien Ostschweiz), dem auch die Fachstelle Partnerschaft-Ehe-Familie des Bistums St. Gallen angehört, die im Bereich Erwachsenenbildung tätig ist. Dort arbeitet der Theologe Matthias Koller Filliger, der ganz begeistert von diesem Projekt ist. 

Wie ist die Idee zum Projekt entstanden?
Die Grundidee war, den schweizerischen Vätertag, der von männer.ch am 5. Juni 2007 lanciert wurde, auch regional zu fördern. Der Verein wendete sich deshalb an kirchliche und kantonale Familienfachstellen in der Ostschweiz, aus dem dann FamOS (fam-os.ch) entstand. Der Verband setzt sich aus kantonalen und kirchlichen Vertreter*innen der Kantone St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Schaffhausen und Thurgau zusammen und beschäftigt sich mit Mütter-, Väter- und Familienfragen, insbesondere zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Im Auftrag von FamOS und männer.ch entwickelte daraufhin Mark Riklin, der Begründer der «Meldestelle für Glücksmomente» in St. Gallen, 2012 das Projekt «Vätergeschichten». 

Und wie funktioniert das Konzept?
Männer, Frauen und Kinder werden in öffentlichen Schreibstuben, ausgewählten Unternehmen oder auf der Strasse gefragt, was ihnen zu ihrem Vater – oder zum eigenen Vater- oder Grossvater-Sein spontan in den Sinn kommt. Auf diese Weise sind bisher über 300 Aussagen in Form von kurzen Lebens-Episoden zusammengekommen, die gesammelt werden und anonymisiert auf der Homepage nachzulesen sind. FamOS unterstützt des Weiteren mehrmals im Jahr musikalische Lesungen von Vätergeschichten in der ganzen Ostschweiz. Dafür sammelt Mark Riklin im Voraus vor Ort Episoden, die dann an der Lesung vorgetragen werden. Auch diese werden archiviert. Kostenfrei kann ein Abo gelöst werden, über das alle drei Wochen eine neue Vätergeschichte per Mail zugesandt wird. 

Gibt es auch die Möglichkeit, direkt Geschichten einzusenden? 
Ja, Mark Riklin redigiert sie dann und stellt sie danach online. Ferner können Teilnehmer*innen einer Lesung auch spontan ihre Geschichten erzählen. Wir freuen uns immer über eine proaktive Beteiligung. Wichtig ist uns, dass die Schilderungen Alltagssituationen wiedergeben. 

Der Muttertag ist allseits bekannt, an den Vater wird weniger gedacht. Warum ist das so?
Den schweizerischen Vätertag gibt es noch nicht so lange, vielleicht muss er sich erst etablieren. Doch ich habe den Eindruck, dass die Aufmerksamkeit für Väter in den letzten Jahren grösser geworden ist. Schon allein durch die Thematik des Vaterschaftsurlaubs. Heute fällt ein Vater, der in der Stadt alleine mit dem Kinderwagen unterwegs ist, gar nicht mehr auf. Auch die Haushaltsaufteilung verändert sich – langsam, wie es in der Schweiz üblich ist – aber dennoch stetig. 

Warum kennt die Schweiz einen eigenen Tag für Väter? Sie hätte sich doch auch Deutschland anschliessen können, wo der Vatertag an Auffahrt gefeiert wird.
Der Vatertag in Deutschland hat nicht unbedingt den besten Ruf. Häufig sind dort Männer in Gruppen unterwegs und es ist viel Alkohol im Spiel. Dem Verein männer.ch ging es bewusst darum, kein traditionelles Vaterbild zu pflegen, weshalb der erste Sonntag im Juni auch als «Vätertag» etabliert wurde. Dies, um zu zeigen, dass es verschiedene Möglichkeiten des Vater-Seins gibt. Es geht auch stark darum, in einem gleichberechtigten Verhältnis von Müttern und Vätern, letztere stärker in die Familienarbeit miteinzubeziehen. 

Was gibt das Projekt Ihnen persönlich?
Andere Vätergeschichten zu hören oder zu lesen, löst bei mir immer vielfältige Gedanken und Gefühle zu dieser Thematik aus. Es ist wichtig, den Wert der Vaterschaft zu betonen und dessen Bedeutung für das eigene Leben. Ich habe selbst auch Geschichten als Vater geschrieben, die im Archiv zu finden sind. Mir gefällt die Grundhaltung, diese auf spielerische und poetische Art und Weise den Menschen zugänglich zu machen. 

Interview: Sarah Stutte, forumKirche, 24.05.2022


Vätergeschichte - «Hausaufgaben fürs Leben»
Ich muss etwa 14 oder 15 Jahre alt gewesen sein, als ich das erste Mal verliebt war. Aber wie meine Liebe gestehen? Ich war damals so scheu, dass ich die Strassenseite wechselte, sobald mir ein Mädchen entgegenkam. «Komm, wir Männer machen das», sagte mein Vater zu mir. Und so setzten wir uns an den Küchentisch und begannen, gemeinsam einen Liebesbrief zu schreiben. Ich wollte auf keinen Fall, dass meine Mutter mitbekommt, was wir gerade machen, das war mir peinlich. Und als sie dann die Küche betrat und fragte, was wir hier machen, antwortete mein Vater: «Hausaufgaben fürs Leben.» Aus der Liebe wurde zwar nichts, aber von meinem Vater habe ich gelernt, meine Gefühle zu zeigen.
(Sohn, Jahrgang 1978, Textilchemiker/Kulturvermittler – Vater, Jahrgang 1950, Textilarbeiter – Jahr der Szene: 1992)

Weitere Geschichten: www.vaetergeschichten.ch


Nächste musikalische Lesung «Vätergeschichten» in der Region:
Salon des Tertianum Schloss Berg, Samstag, 11. Juni 2022, 15:00-16:00 Uhr. 

Mark Riklin mit einem Geschichtenerzähler
Quelle: zVg
Geschichtensammler Mark Riklin (rechts) mit einem Geschichtenerzähler.

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