Neue Hörmedien für Blinde und Sehbehinderte

Sie möchten weiterhin Hörbücher für blinde Menschen produzieren. Dafür haben sieben Schauspielerinnen und Schauspieler in Kreuzlingen einen gemeinnützigen Verein gegründet und ein Aufnahmestudio eingerichtet. Sie sehen sich in der Nachfolge der Blindenbibliothek Landschlacht (BBL), die Ende letzten Jahres aufgelöst wurde.

Kurz nach dem Internationalen Blindenzentrum wurde auch die benachbarte Blindenbibliothek in Landschlacht geschlossen. Der Bücherbestand und der Verleih kamen zur Schweizerischen Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte nach Zürich, die Festangestellten wurden übernommen. Die Hörbuchproduktion hingegen wurde eingestellt. Sieben ehemalige Sprecherinnen und Sprecher wollten sich damit nicht abfinden. Sie gründeten den Verein Hörmedienproduktion für Blinde, Seh- und Lesebehinderte (HSL). «Die Wurzeln der Bibliothek reichen bis in das Jahr 1922 zurück. Mit ihr ist eine lange Tradition und kulturelle Pflege verbunden, die wir erhalten und weiterführen möchten», erklärt Marianne Weber, eine der Initiantinnen. In politischer Hinsicht soll der Verein die Forderungen der UNO-Behindertenrechtskonvention stützen und dazu beitragen, blinden und sehbehinderten Menschen einen barrierefreien Zugang zu gedruckten Medien zu ermöglichen. Darüber hinaus ist diese Hörbuchproduktion für den Sprecherkreis mehr als nur ein Job. «Wir hängen an dieser Arbeit, weil sie anderen Menschen hilft. Die Rückmeldungen erlebe ich als Geschenk», sagt Marianne Weber, die vor über 15 Jahre ihr Engagement für die BBL begann.

Spezielles Format

Hörbücher für Sehbehinderte werden im sogenannten DAISY-Format (Digital Accessible Information SYstem) produziert. Dies ermöglicht, Audiodateien zu komprimieren und mit einer Struktur zu versehen, die der eines Buches entspricht. Nutzer können in einem DAISY-Buch «blättern», von Kapitel zu Kapitel springen oder ein Lesezeichen setzen. «Dies ist ein Vorteil gegenüber kommerziellen Hörbüchern», sagt Raphael Burri aus der Sprechergruppe, «vor allem in Sachbüchern findet man sich mit diesen Funktionen besser zurecht.» Auf DAISY-Bücher würden ausserdem immer die vollständigen Werke aufgesprochen, was bei frei zugänglichen Produktionen nicht immer der Fall sei.

Die HSL plant, etwa 100 bis 150 Hörbücher pro Jahr zu produzieren – nur ein kleiner Beitrag angesichts von ca. 100‘000 deutschsprachigen Neuerscheinungen. Die aufgesprochenen Bücher werden dann bei Medibus, dem Zusammenschluss aller deutschsprachigen Hörmedienproduzenten für Blinde und Sehbehinderte, verzeichnet. Betroffene können über Blindenbibliotheken nach diesen Büchern suchen und eine kostenlose Ausleihe vornehmen. Bei der Finanzierung ihres Projektes steht die HSL noch am Anfang. «Der Grossteil der Kosten soll durch Zuschüsse und Spenden getragen werden», erklärt Marianne Weber. Dazu habe man auch kommunale, kantonale und kirchliche Stellen in der ganzen deutschsprachigen Schweiz angefragt.

Wie ein Hörbuch entsteht

Bei der Buchauswahl setzt das HSL-Team wie bisher auf unterhaltende und anspruchsvolle Literatur sowie auf Sachbücher aus den Bereichen Philosophie, Religion, Kultur und Geschichte. «Dabei soll auch der regionale Aspekt zum Tragen kommen », sagt Raphael Burri. Und Marianne Weber ergänzt: «Wir versuchen, unseren Hörerinnen und Hörern auch Entdeckungen und Juwelen zu präsentieren.» Hat man sich auf einen Titel verständigt, muss bei Medibus eine Hörbuch-Lizenz beantragt werden. Die eigentliche Arbeit beginnt dann mit der Erfassung der Metadaten (Struktur des Buches, Impressum, Auflage usw.), die am Computer eingegeben werden. Jetzt erst folgt das Lesen in der Aufnahmekabine – meist «prima vista», d. h. ohne das Buch im Detail zu kennen. «Manchmal müssen wir unterbrechen, um uns über die Aussprache von Namen zu informieren», sagt Weber. Zum Schluss wird die Aufnahme nachbearbeitet und als DAISY-Buch auf eine Harddisc gespeichert.

Mehr als ein Studio

Die professionelle Hörmedienproduktion ist für den neuen Verein die wichtigste Aufgabe. Darüber hinaus soll das Aufnahmestudio aber auch zu einem Begegnungsort werden. «Wir suchen den Austausch mit Betroffenen, möchten hier Veranstaltungen anbieten und auch Sehende einladen, sich damit auseinanderzusetzen, was es heisst, blind zu sein», sagt Raphael Burri. Dafür sind die Räumlichkeiten, die die Stadt Kreuzlingen der HSL im Begegnungszentrum Trösch zur Verfügung gestellt hat, der ideale Ort. Wer gerne Studioluft schnuppern möchte oder sich für die neue Einrichtung interessiert, ist am 5. Mai, von 11 bis 16 Uhr, herzlich zur Eröffnungsfeier der HSL eingeladen.

Detlef Kissner (29.4.19)

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Marianne Weber beim Aufsprechen eines Buches in der Aufnahmekabine.

Bild: Detlef Kissner

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