Zur Heiligsprechung von John Henry Newman

Der englische Kardinal John Henry Newman (1801–1890) wird am 13. Oktober 2019 heiliggesprochen. Der Konvertit war eine der führenden Persönlichkeiten der christlichen Theologie des 19. Jahrhunderts. Der Übersetzer und Herausgeber von Newmans Werken in die französische Sprache, Gregory Solari, beschäftigt sich seit dreissig Jahren mit dem Geistlichen. Er nennt ihn einen Vordenker der Moderne.

Das 19. Jahrhundert war geprägt von politischen, industriellen, philosophischen und theologischen Revolutionen. Wo hatte Newman seinen Platz?

Sein Leben teilt sich in zwei grosse Perioden von 45 Jahren: die erste in der anglikanischen Kirche, die zweite in der katholischen Kirche. Die Anglikaner waren damals hin- und hergerissen zwischen einer sehr traditionellen, hierarchischen und machtbetonten Kirche und einer vom Calvinismus geprägten geistlichen Bewegung unter der Leitung von John Wesley, die schliesslich zur Gründung der Methodistischen Kirche führte. In dieser Bewegung erlebte John Newman 1816 im Alter von 15 Jahren seine erste Bekehrung. Er entdeckte seine absolute Überzeugung. Nämlich, dass es nur zwei unbestreitbare Dinge gibt: seine eigene Existenz und die Existenz Gottes.

Die Existenz Gottes war eine der grossen Fragen des 19. Jahrhunderts. Wie ging er damit um?

Für Newman konnte die Existenz Gottes nicht bewiesen werden. Sie ist experimentell – aber unter der Bedingung, dass man auf sein Gewissen achtet, das wie die Stimme der Gegenwart des Wortes Gottes in uns ist. Das war seine zweite starke Eingebung. Das Phänomen des Gewissens ist universell. Alle Menschen können damit ihre Erfahrung machen. Als er 1879 im Alter von 78 Jahren zum Kardinal ernannt wurde, sprach er einen Trinkspruch auf das Gewissen und den Papst aus.

Ab 1840 begann Newman sich der katholischen Kirche zu nähern. Warum?

Der Umstand, dass die anglikanische Kirche statisch war, bewegte ihn. Diese verteidigte das bisher Erreichte sowie eine Theologie und ein kirchliches Modell, das sich nicht weiterentwickelte. Sie war daher nicht in der Lage, den Herausforderungen ihrer Zeit zu begegnen.

Um dieses Dilemma zu lösen, verteidigte Newman die Idee der Weiterentwicklung des Dogmas. Das war völlig neu. Das heisst, die Kirche ist ein lebendiger Organismus, der sich, um der Offenbarung treu zu bleiben, an seine Zeit anpassen kann. Dies ist einer von Newmans grossen Beiträgen, die heute in Papst Franziskus sehr deutlich eine Entsprechung finden.

Dann kam 1845 die Bekehrung.

Ich spreche nicht von «Bekehrung». Newman hat immer gesagt: «Ich habe mich nicht verändert.» Er ging nach Rom, wo er sich den Oratorianern anschloss. Diese boten eine flexible Struktur, die es ihm ermöglichte, in einer Gemeinschaft zu leben. Newman kehrte dann nach England zurück, wo er eine Oratorianer-Niederlassung in Birmingham gründete. An den Universitäten fasste er entgegen seinen Erwartungen nicht Fuss.

Er wurde nach Irland gerufen, um eine katholische Universität zu gründen. Das Projekt scheiterte. Paradoxerweise erwies sich Newmans katholische Periode als eine Reihe von Misserfolgen.

Newman verteidigt die Gewissensfreiheit…

Er wurde sich bewusst, dass die Schwäche der Katholiken darin bestand, zu schnell auf Autoritäten zurückzugreifen, insbesondere auf die römische Autorität. 1859 veröffentlichte er einen Artikel, in dem er das Befragen der Gläubigen verteidigte, also das heutige Prinzip der Synodalität. Für ihn war die Kirche in erster Linie das Volk der Getauften und nicht die Hierarchie.

Das passte Rom überhaupt nicht. Newman wurde zum gefährlichsten Mann in der Kirche von England. Er weigerte sich am Ersten Vatikanischen Konzil (1869–1870) teilzunehmen, das er ablehnte, war aber sehr an den Debatten interessiert. Das Konzil verabschiedete das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes. Nach der Lektüre eines Dokuments der Schweizer Bischofskonferenz, das dieses Dogma sehr moderat interpretierte, schloss er sich dem Entscheid an. Er forderte aber ein neues Konzil, das sich der Rolle der Bischöfe annimmt.

Die einfache Freiburger Näherin Marguerite Bays (1815–1879) wird ebenfalls am 13. Oktober heiliggesprochen. Was verbindet die beiden?

Für Newman sind es die kleinen Dinge, in welchen man sich als wahrhaftig erweist. Auf die Frage «Was muss man tun, um heilig zu werden», antwortete er: «Steht nicht zu spät auf. Denkt an Gott. Widmet ihm den Tag. Erfüllt eure Staatspflicht, wer auch immer ihr seid und wo auch immer ihr seid. Esset. Trinkt. Zieht am Abend Bilanz und geht nicht zu spät schlafen.» Es ist sehr leicht vorstellbar, dass auch Marguerite Bays diesen Rat gegeben hat.

Interview: Maurice Page, cath.ch/Red. (1.10.19)

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John Henry Newman wurde 1879 zum Kardinal ernannt – eine Rehabilitation seiner Person (Porträt von John Everett Millais, 1881).

Bild: National Portrait Gallery/Wikimedia Commons

Ein Herz für Leidende

Das einfache Leben von Marguerite Bays

Am 13. Oktober wird Marguerite Bays (1815–1879) heiliggesprochen. Sie setzte sich für die Weitergabe des Glaubens ein, kümmerte sich um Arme, Kranke und Sterbende und wurde auf wundersame Weise von einem Krebsleiden geheilt. 

Marguerite Bays, zweitältestes von sechs Kindern einer Bauernfamilie, konnte drei Jahre lang eine Schule besuchen und im Alter von 15 Jahren Schneiderin lernen. Sie lebte als Bäuerin und Näherin bei ihren Eltern. Und sie nahm ganz bewusst ihre Berufung als Christin wahr; den Gedanken an einen Eintritt in ein Kloster lehnte sie ab, weil sie ihr Christentum im Alltag verwirklichen wollte. Die tägliche Messe, das Gebet – besonders der Rosenkranz und die Kreuzwegandacht, sowie Wallfahrten zu Orten der Marienverehrung – darunter elf Mal zur schwarzen Muttergottes nach Einsiedeln – prägten ihr Leben. In ihrer Nachbarschaft sorgte sie sich um die religiöse Erziehung von Kindern. Durch Spiele im Freien oder im Zimmer vermittelte sie ihnen den Glauben und besprach die Predigt des Pfarrers oder den Katechismus. In den Armen erkannte sie die bevorzugten Freunde Christi und teilte ihnen Gaben aus. Marguerites Fürsorge für Kranke und Sterbende wurde bewundert, oft wurde sie zu Leidenden gerufen, denen sie mit ihrer Zuversicht zur Barmherzigkeit Gottes Trost spendete.

Wundersame Heilung

Für das von Pauline Jaricot in Frankreich neu gegründete Missionswerk sammelte Marguerite eifrig Spenden. Die Gründung der katholischen Zeitung La Liberté unterstützte sie anteilnehmend. Zur Stärkung ihres geistlichen Lebens besuchte sie nun öfter das Kloster der Zisterzienserinnen im nahen Romont zu Exerzitien. Um 1853 zeigten sich die ersten Anzeichen einer Art von Darmkrebs. Im folgenden Jahr wurde Bays unvermittelt und auf wunderbare Weise am 8. Dezember – zeitgleich mit der Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis der Jungfrau und Gottesmutter Maria durch Papst Pius IX. – vom Krebs geheilt. Von da an fiel sie jeden Freitag und während der Karwoche in Ekstase, zudem zeigten sich an ihren Händen die Wundmale des Gekreuzigten. 1860 trat sie dem Dritten Orden der Franziskaner bei. 1873 fand eine vom Diözesanbischof angeordnete Untersuchung der Wundmale und Ekstasen statt.
Schon bei ihrem Tod wurde Marguerite Bays von zahlreichen Menschen aus der Umgebung als Heilige verehrt. Das Haus, in dem sie lebte, in La Pierraz, wird heute von zahlreichen Pilgern aufgesucht.

Erstes Wunder

Marcel Menétrey überlebte am Ostermontag 1940 als einziger von vier Personen wie durch ein Wunder einen Kletterunfall in den Voralpen bei Fribourg: Der damals 19-jährige machte unter Führung eines 61-jährigen Priesters zusammen mit seiner 24-jährigen Nichte und einem 14-jährigen Ministranten eine Bergtour auf den 2017 Meter hohen Dent de Lys. Beim Abstieg waren alle vier Bergsteiger angeseilt, als das Mädchen plötzlich ausrutschte, in die Tiefe stürzte und die anderen mit sich riss – bis auf Marcel, denn der stiess in diesem Schreckensmoment das Stossgebet Marguerite Bays aus, und auf wundersame Weise wurde das Seil zwischen ihm und den anderen durchtrennt und er als Einziger gerettet. Er eilte ins Tal, aber die in Marsch gesetzte Rettungsgruppe konnte die drei anderen Berggänger nur noch tot bergen. Menétrey hat das Seil, nachdem er im Tal angekommen war, weggeworfen, es konnte später nicht mehr gefunden werden. Menétrey, dessen Grosseltern mit Marguerite Bays eng befreundet waren, ist später Priester geworden.

Seligsprechung

Bereits 1927 hatte der Freiburger Ortsbischof versucht, ein Verfahren zur Seligsprechung von Marguerite Bays einzuleiten. Nach dem Wunder am Dent de Lys unternahm sein Nachfolger 1953 einen weiteren Versuch. 1987 setzte Bischof Mamie ein nach den Vorschriften des kanonischen Rechtes operierendes Gericht ein, das Bays bezüglich einer möglichen Seligsprechung zu würdigen hatte und schliesslich erfolgreich klärte, dass der lebensrettende Seilriss von 1940 ihr als Wunder zugeschrieben werden könne, das zur Seligsprechung nötig ist. Marguerite Bays wurde dann am 29. Oktober 1995 durch Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

Ökumenisches Heiligenlexikon/Red.
 

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Porträt von Marguerite Bays (Schwester Augustine, 1865)

Bild: www.mysticsofthechurch.com/Wikimedia Commons

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