Ein Kommentar zur Wahl von Joseph Bonnemain

Die Ernennung von Joseph Bonnemain zum Bischof von Chur bedeutet ein neues kirchliches Klima. Was das für die Bischofskonferenz und die Schweiz bedeutet, kommentiert Daniel Kosch, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ).

Mit Joseph Bonnemain erhält das Bistum Chur einen neuen Bischof – und die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) ein neues Mitglied. Hatte dieses Gremium vor etwas mehr als zehn Jahren noch 14 Mitglieder, gehören ihm nach den Rücktritten der Weihbischöfe Theurillat und Eleganti gerade noch neun Männer an. In einem so überschaubaren Gremium zählt jeder – mit seiner Grundhaltung, seinem Charakter, seinen Fähigkeiten, seiner Einsatzbereitschaft, seiner Präsenz und seiner Bereitschaft, auf andere zuzugehen, Lösungen zu finden oder zu verhindern. Über seine schon sehr häufig gerühmten Fähigkeiten als «Brückenbauer» hinaus stelle ich mir vor, dass Joseph Bonnemain in der Bischofskonferenz stärker als andere die migrantische und vielsprachige Prägung unserer Kirche verkörpern wird. Einerseits verfügt er selbst über Auslandserfahrung und ist perfekt mehrsprachig. Anderseits ist er mit der Situation im Kanton Zürich vertraut, wo die Migrantenpastoral einen hohen Stellenwert hat. Und als Jurassier, der seit langem in Zürich lebt, ist er weder «typischer Deutschschweizer» noch «typischer Romand».

Schmerzen lindern

Im Fachgremium der SBK für sexuelle Über griffe ist Joseph Bonnemain viel mehr als bloss «Sekretär». Er ist Anlaufstelle und offenes Ohr. Er tritt trotz allen Verzögerungen und Halbherzigkeiten dafür ein, dass sich die Kirche den schrecklichen und schändlichen Realitäten stellt. Er ist beseelt vom Wunsch, wenigstens Schmerzen zu lindern, wo Verletzungen unheilbar sind. Künftig sollen Prävention und Transparenz den Kreislauf von sexualisierter Gewalt, Vertuschung und Selbstrechtfertigung durchbrechen. Ich bin überzeugt, dass er alles tun wird, damit Aufarbeitung, Schuldbekenntnis, Dialog mit den Überlebenden sexuellen und spirituellen Missbrauchs sowie Prävention nicht zu «Pflichtübungen» verkommen, sondern zu ernster Umkehr und tatkräftiger Reue führen. Der Arzt und Seelsorger kann dazu beitragen, dass die Kirche in Sachen Sexualität ihren Hochmut und ihre Selbstgerechtigkeit eintauscht gegen Demut und Zurückhaltung mit moralischen Urteilen angesichts der Perversionen bis in die obersten Führungsetagen.

Nicht ohne Zusammenspiel

Die Fähigkeit von Joseph Bonnemain, im dualen System zwischen der Bistumsleitung und den kantonalkirchlichen Körperschaften zu vermitteln und auf beiden Seiten dafür zu werben, dass es nicht ohne Zusammenspiel und gute Konfliktkultur, nicht ohne gegenseitige Anerkennung und schon gar nicht ohne Besinnung auf den Grundauftrag der Kirche geht, ist allseits bekannt. Und seine Übung im Umgang mit solchen, die zuerst die Brille der Vorurteile ablegen müssen, bevor sie sehen können, dass ihr vis-à-vis ein Bruder oder eine Schwester mit demselben Glauben und derselben Liebe zur Kirche ist, kann auch der SBK und ihrem Dialog mit der RKZ nur guttun. Genauso wichtig ist, dass Joseph Bonnemain ein «Feinmechaniker» des Kirchenrechts ist. Er plädiert dafür, dass die Bischöfe ihre Kompetenz nutzen, so - genannt «partikuläres», d. h. in ihrem Bereich gültiges Kirchenrecht zu erlassen. Das kann helfen, typisch schweizerische pastorale Realitäten kirchenrechtlich zu fassen und zu würdigen: Sie sind zulässig, insoweit sie pastoral heilsam sind. Und es könnte helfen, Synodalität und Partizipation rechtsverbindlich auszugestalten, so dass alle Getauften echte Mitverantwortung erhalten und an Entscheidungen beteiligt werden.

Kein Superman

Anders als es auf kath.ch zu lesen war, ist Joseph Bonnemain allerdings kein «Superman ». Er hat im eigenen Bistum zahlreiche Baustellen und eine beschränkte Zeit als Bischof vor sich. Auch sind die Strukturprobleme der Kirche nicht mit einzelnen Personalentscheiden zu lösen. 50% der Mitglieder unserer Kirche sind Frauen und haben keine Chance, Mitglied der Bischofskonferenz zu werden. Weder die 99,9% Laien, noch die Tausenden von kirchlichen Mitarbeitenden sind strukturell in wichtige Entscheidungsprozesse auf Ebene Bischofskonferenz eingebunden. Die Personalsituation ist prekär. Eine Mehrheit der Kirchenmitglieder hat nicht den Eindruck, dass ihnen etwas fehlt, wenn sie sich kaum am Leben der Kirche beteiligen. Deshalb verliert sie an gesellschaftlichem Rückhalt und Einfluss. Zudem hat ihre Glaubwürdigkeit stark gelitten. Und die Auffassungen, wie die Kirche mit dieser Situation umgehen soll, gehen weit auseinander. Zur Bewältigung dieser kirchlichen «Klimakrise» braucht es eine neue kirchliche «Klimapolitik », die alle einbezieht und mutig Veränderungen anpackt. Für die Kirche gilt das Wort von Hilde Domin (deutsche Schriftstellerin jüdischen Glaubens): «Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten.»

Daniel Kosch für zhkath.ch/Red., 2.3.21
 


Nach Bonnemain-Ernennung: Grosses Aufatmen in der Schweiz


Reaktionen aus dem kirchlichen Umfeld und darüber hinaus
 

Nach Joseph Bonnemains Ernennung zum Bischof von Chur fordern viele: Die Grabenkämpfe im Bistum Chur sollen ein Ende haben. Spitzenvertreter der katholischen Kirche in der Schweiz hoffen, dass im zerstrittenen Bistum endlich Ruhe einkehrt. Auch die Zürcher Religionsministerin begrüsst die Ernennung.
Die Schweizer Bischofskonferenz habe Bonnemain bisher als empathischen Seelsorger und dezidierten Fachmann im schwierigen Dossier des sexuellen Missbrauchs in der Kirche erlebt. Auf die spezielle Herausforderung für den neuen Bischof im zerstrittenen Bistum Chur geht die SBK in ihrer kurzen Mitteilung nicht ein.


Bischöfe sprechen von Zusammenarbeit

Mehrere Diözesanbischöfe haben eine eigene Grussbotschaft veröffentlicht. Der Bischof von St. Gallen, Markus Büchel, freut sich auf eine gute Zusammenarbeit. Der Bischof von Basel, Felix Gmür, begrüsst die Ernennung als «ein grosses Zeichen des Friedens und der Hoffnung für das Bistum Chur und die gesamte Kirche in der Schweiz». Der neue Churer Oberhirte verstehe es, «Meinungen zu integrieren». Der Westschweizer Bischof Charles Morerod erklärte auf Anfrage kurz und bündig: «Ich bin glücklich und wünsche ihm gut Mut.». «Ich teile Joseph Bonnemains Sorge um ‘Geschwisterlichkeit und Hoffnung’ als sehr aktuelle Aufgabe der Kirche nach innen und aussen», schreibt der Westschweizer Weihbischof, Alain de Raemy. Der Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey, meint: «Er hat mein Gebet und mein Vertrauen.». Der Einsiedler Abt Urban Federer bezeichnet den neuen Bischof als Brückenbauer, der die Sorgen und Nöte der Menschen kenne.

Erleichterung bei den Kantonalkirchen

Die Ernennung Bonnemains beende eine lange Zeit des Wartens, die von Spannungen und Ungewissheit geprägt war, schreiben Renata Asal-Steger und Daniel Kosch von der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ) in einem gemeinsamen Grusswort an den neuen Bischof. Das Bistum erhalte einen Bischof, der über Jahre hinweg «die Zusammenarbeit mit den staatskirchenrechtlichen Körperschaften gepflegt und weiterentwickelt hat». «Das ist eine gute Nachricht», schreibt Lorenz Bösch. Er ist der oberste Katholik in Schwyz. Es sei ein starkes Zeichen Roms, denn Bonnemain wisse um die Bedeutung des «Zusammenwirkens von Bistum und Kantonal- und Landeskirchen», schreibt der Präsident des Kantonalen Kirchenvorstandes der Kantonalkirche Schwyz weiter.

«Damit ist ein erster Schritt getan, um im Bistum wieder den Frieden einkehren zu lassen und bestehende Gräben zuzuschütten, was dringend nötig ist. Der neu ernannte Bischof Joseph Maria Bonnemain ist aus der Sicht der Biberbrugger Konferenz die geeignete Person, um die Spaltung im Bistum zu überwinden», teilt der Präsident der BBK, Stefan Müller, mit. «Mir fällt ein grosser Stein vom Herzen», erklärt die Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes (SKF) und ehemaliges Mitglied des Koordinationsteams der Allianz «Es reicht!», Simone Curau-Aepli. Sie hofft, dass sich mit Bischof Joseph Bonnemain die Führungs- und Gesprächskultur im Bistum Chur verbessert.

Erleichterung in Zürich

Die Präsidentin des Synodalrats der Zürcher Katholiken, Franziska Driessen-Reding, geht davon aus, dass der neue Bischof «verlorenes Vertrauen wieder zurückgewinnen kann». Sie hofft zudem, dass die Jahre der Ungewissheit vorbei sind, in welchen viele Gläubige enttäuscht und verletzt wurden.
«Die langjährige und schmerzhafte Blockade soll überwunden werden, und gemeinsam wollen wir neue Wege in der Bewältigung der Herausforderungen der Zeit finden», schreibt der Präsident der Katholischen Synode im Kanton Zürich, Felix Caduff.

Theologische Hochschule in Chur

Aus der Sicht der Prorektorin der Theologischen Hochschule Chur, Eva-Maria Faber, warten auf den neuen Bischof verschiedene Aufgaben. «Es sind Wunden zu heilen, Strukturen der Zusammenarbeit wieder neu zu beleben.». Bonnemain müsse «zerbrochenes Vertrauen» wieder zusammenwachsen lassen.

Verschiedene weitere Stimmen

«Wir kennen und schätzen ihn als einen dialogbereiten Menschen und sind offen, uns mit ihm vielstimmig und geschwisterlich in der Kirche und für die Welt einzusetzen und Mitverantwortung zu übernehmen», erklärt die Gruppe «Vielstimmig Kirche sein».
«Joseph Bonnemain kennen wir als ausgleichende und versöhnende Persönlichkeit, die das Bistum sehr gut kennt, gut vernetzt ist und auch kirchrechtliche Fragen stets unter pastoralem Blickwinkel behandelt», schreibt das «Forum Priester der Diözese Chur», dem rund 80 Priester angehören und das sich auch schon kritisch über das Wirken der nun abtretenden Bistumsleitung geäussert hat.

Ausserkirchliche Stimmen

Die Zürcher Religionsministerin Jacqueline Fehr ist zuversichtlich, dass mit der Ernennung Bonnemains «das duale Modell gestärkt und damit das Verhältnis zwischen Staat und Kirche gefestigt wird». NZZ-Redaktor und Kirchenspezialist Simon Hehli geht davon aus, dass im Bistum Chur «endlich Ruhe einkehrt». Bonnemain sei zwar Angehöriger des konservativen Opus Dei. Dennoch stosse er bei den Vertrauten des früheren Bischofs Vitus Huonder auf Ablehnung. Diese Kreise sähen in ihm einen Verräter. Selbst der für seine Seitenhiebe gegen die katholische Kirche bekannte Journalist des «Tages Anzeiger» Michael Meier findet gute Worte für den neuen Bistumsleiter. Er bezeichnet ihn als «offener und wohlwollender als Generalvikar Grichting». Bonnemain sei auf Distanz «mit dem konservativen Kurs von Vitus Huonder» gegangen.

Georges Scherrer, kath.ch/Red.
 


Von den Rändern zurück in die Mitte

Zur Ernennung des neuen Churer Bischofs

Nachdem sich das Domkapitel von Chur nicht auf einen Kandidaten einigen konnte und die Dreierliste ablehnte, ernannte Papst Franziskus Joseph M. Bonnemain zum neuen Bischof von Chur.

Am 26. Juli 1948 in Barcelona (Spanien) geboren und dort aufgewachsen, kam Joseph M. Bonnemain für das Medizinstudium nach Zürich. Nach seiner Promovierung studierte er ab 1975 Philosophie und Theologie in Rom und wurde am 15. August 1978 von Kardinal König zum Priester der Prälatur Opus Dei geweiht. Er setzte seine theologische und kanonistische Ausbildung in Spanien fort. In dieser Zeit wirkte er als Spiritual und Studentenseelsorger an der dortigen Technischen Hochschule sowie als Seelsorger für die Arbeiter und Bauern in der Region Navarra. Nach seiner Promotion im Kirchenrecht kehrte er 1980 in die Schweiz zurück und wirkte als Priester in Zürich, zunächst als Studentenseelsorger und Exerzitienleiter. 1985 wurde er zum Spitalseelsorger des Spitals Limmattal in Schlieren ZH ernannt.

Kanoniker und Seelsorger

In Bonnemains Brust schlagen zwei Herzen. Von 1981 bis 1989 war er am Diözesangericht tätig, 1982 wurde er zum Vizeoffizial und 1989 zum Offizial des Bistums ernannt. Bis heute wirkt er dort als Gerichtsvorsitzender. Während dieser Zeit blieb er immer Spitalseelsorger in Schlieren. Zudem war er von 1983 bis 1991 Mitglied der Delegation des Heiligen Stuhls bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf. Diese beiden Interessen – Kirchenrecht und Seelsorge – konnte er als Sekretär des Fachgremiums «Sexuelle Übergriffe in der Pastoral», welches die Bischofskonferenz 2002 konstituierte, verbinden. 2003 wurde Bonnemain zum Kanonikus ernannt und als Domsextar und Dompönitentiar ins Residentialkapitel aufgenommen. Zwei Jahre später wurde er Domkustos der Kathedrale in Chur und wiederum zwei Jahre später Domkantor. Seit 2008 ist Bonnemain Mitglied des Bischofsrates und seit 2011 Bischofsvikar für die Beziehungen zu den staatskirchenrechtlichen Organisationen und Kantonen der Diözese Chur. Während mehrerer Jahre war er zudem Mitglied des Priesterrates und Delegierter im Rat der Laientheologinnen, Laientheologen und Diakonen RLD.

Eine schwierige Aufgabe

In seinem Grusswort fasst Bonnemain zusammen, was ihm am Herzen liegt: «Ja, die Menschen brauchen Geschwisterlichkeit und Hoffnung, gerade heute. Und sie erwarten – völlig zu Recht –, dass die Kirche hier ein Vorbild ist und Wege der Geschwisterlichkeit und Hoffnung aufzeigt. […] Es ist eine grosse Solidarität gefragt in unserem Land und zugleich mit der ganzen Welt. So werden wir Mitgestaltende einer besseren Zukunft, in der Geschwisterlichkeit und Hoffnung keine blossen Utopien bleiben.». An den zukünftigen Bischof von Chur bestehen grosse Erwartungen; viele Katholikinnen und Katholiken hoffen auf einen Brückenbauer, der es versteht, die verschiedenen Meinungen innerhalb des Bistums gelten zu lassen und sie so zu integrieren, dass diese Geschwisterlichkeit wirklich gelebt werden kann. Für diese grosse Aufgabe bittet er um das Gebet. «Meinerseits werde ich ebenfalls weiter und intensiver beten. Beten für das Wohl aller Menschen – ohne Unterschied – in unserem Bistum.».

Erstveröffentlichung des Beitrags in der Schweizerischen Kirchenzeitung (SKZ)


 

Joseph M. Bonnemain
Quelle: zVg
Joseph M. Bonnemain wird am 19. März zum Bischof von Chur geweiht.

 

 

 

 

Daniel Kosch, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ).
Quelle: zVg
Daniel Kosch, Generalsekretär der RKZ

 

 

 

 

 

 

 

 

Bischof Felix Gmür
Quelle: © Detlef Kissner
Bischof Felix Gmür

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