Wie der Glaube bei Kleinkindern wachsen kann

Die evangelische Theologin Maike Lauther-Pohl1 hat das Buch «Mit den Kleinsten Gott entdecken» (s. S. 14) herausgegeben. Sie ist der Überzeugung, dass die religiöse Begleitung von Kindern vom ersten Tag an beginnt und dass Religion zur Entwicklung der Persönlichkeit beitragen kann. 

Wann und womit beginnt religiöse Begleitung?
Religiöse Begleitung heisst für mich, Kinder von Anfang an hineinzunehmen in ein Weltverständnis, das ehrlich ist und das im Idealfall das Vertrauen in das Leben und in eine grössere Kraft mit einschliesst. Das kann mit dem ersten «Guten-Abend-gute Nacht-Singen» beim Einschlafen oder warmen, bestärkenden Ritualen geschehen.
Religiöse Begleitung wird immer durch die Beziehungspersonen – in der Regel die Eltern – vermittelt. Sie sollte nicht aufgesetzt, sondern stimmig sein. Wenn Eltern gern ihr Kind begleiten würden, aber dazu nichts vorleben können, brauchen sie Anregungen und ein bisschen Mut. 

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Kinder durch religiöse Begleitung auch in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit gestärkt werden. Wie zeigt sich das?
Persönlichkeitsentwicklung geschieht über verschiedene Faktoren. Religion ist ein möglicher davon, der nicht bei jedem Menschen aktiviert ist. Vom lateinischen Ursprung her (religare) ist Religion das, was mich anbindet, was mir Halt gibt. Wir spüren: Ich muss nicht alles allein schaffen, es gibt jemanden, der mich unterstützt. Dieses Gefühl wird in den ersten Jahren über Beziehungspersonen vermittelt und später in einer eigenen Beziehung zu dieser grösseren Kraft, die wir Christ*innen Gott nennen, erfahren. 
Biblische Geschichten liefern Beispiele dafür. Sarah und Abraham müssen aufbrechen und sich auf etwas einlassen, das sie nicht kennen. Wenn ein Kind das erste Mal bei seinen Grosseltern übernachten soll, kann ihm diese Geschichte Mut machen, weil sie ihm vermittelt: Du bist nicht allein, es gibt jemanden, der mit dir geht. Sie stärkt sein Vertrauen in sich selbst, in sein Umfeld, in das Leben und fördert damit seine Resilienz. Religion möchte dazu beitragen, dass ich mit dem, was mir widerfährt, gut klarkomme. Insofern kann es die Persönlichkeit stärken. 

Religion kann aber auch das Gegenteil bewirken.
Ja, mit Religion kann man Menschen auch klein machen. Sie wurde jahrhundertelang dazu missbraucht, Angst auszuüben. Es kommt eben auf die Form der Vermittlung an.

Glauben lernt man vor allem durch Menschen, die einem nahe sind. Wer hat Sie in Ihrem Glauben geprägt?
Ich habe ein Elternhaus, in dem man über Gott und die Welt reden konnte. Mein Vater hat mir immer nach dem Kindergottesdienst aus einer Kinderbibel vorgelesen. Diese Kinderbibel lehne ich heute ab, weil sie Jesus heroisiert und Menschen dagegen als grundsätzlich unzulänglich darstellt. Und trotzdem hat mich die Beschäftigung damit geprägt, mich angeregt, mir meine eigenen Gedanken zu machen, und so etwas wie Vertrauen und Beziehung zu lernen. Mein Engagement in der Jugendarbeit hat mir dann geholfen, die Kinderfragen nochmals zu verifizieren und eigene Antworten zu finden. 

Nicht alle Eltern und Erzieher*innen fühlen sich in ihrem Glauben gefestigt. Wie können sie unter diesen Umständen die ihnen anvertrauten Kinder in ihrer religiösen Entwicklung begleiten?
Mitarbeitenden einer christlichen Kindertagesstätte versuche ich einen Dreischritt nahezulegen. Erstens sollte man den Mut haben, zum eigenen Glauben zu stehen, und dafür die geeignete Sprache finden. Eine Aus- oder Weiterbildung, die eine religionspädagogische Qualifizierung ermöglicht, ist dafür hilfreich. Wichtig ist, dass die eigene Glaubensüberzeugung auch als persönliche Perspektive dargestellt wird, also in Form von «Ich glaube» und nicht «Es ist so».
Älteren Kindern kann man zweitens die christliche Tradition zur Verfügung stellen: «Wir als Christ*innen glauben …». Sie ist wie ein Teppich, auf dem wir uns gemeinsam bewegen. Und drittens ist es wichtig, das Kind in seiner eigenen Perspektive zu stärken, indem man es fragt: «Was bedeutet es für dich? Was glaubst du denn?» Protestantisch zu sein, heisst für mich: Es gibt eine Tradition, aber ich muss selbst für mich entdecken, was sie für mich bedeutet.

Sie heben die Versprachlichung religiöser Erfahrungen hervor. Warum ist diese so wichtig?
Für mich ist Religion Weltdeutung. Das, was ich erlebe, kann ich so oder anders sehen. Die Religion bietet Verstehenshilfen an. Das geschieht sowohl über das Gefühl - da reichen Symbole und Erlebnisse - als auch über Reflexion. Dafür brauche ich die Sprache, damit ich die Welt verstehe.
Es gibt vier grundlegende menschliche Bedürfnisse, auf die biblische Geschichten eingehen: Sicherheit und Geborgenheit, Resonanz und Gesehenwerden, Sinn und Orientierung, Freiheit und Selbstwirksamkeit. Für die ganz Kleinen ist das Gefühl wichtig, dass alles gut ist – ein «Heimatgefühl» wie es Fulbert Steffensky ausdrückt. Um dem dritten Grundbedürfnis nach Sinn und Orientierung begegnen zu können, braucht es Nachdenken und Sprache in Kombination mit Erlebnissen und Gefühlen. 

Was ist im Gespräch mit Kindern über religiöse Fragen zu beachten?
Man muss sich auf das Tempo der Kinder einstellen und versuchen zu verstehen, was sie wirklich wollen. Manchmal sind sie schon mit einem Satz zufrieden und spielen dann weiter, manchmal brauchen sie mehr. Ich ermutige auch, darauf zu vertrauen, dass die Kinder wiederkommen und die nächste Frage stellen. Man muss nicht alles mit einem Mal sagen. Ausserdem sollte man versuchen, die Kinderperspektive einzunehmen und die Altersentwicklung im Blick zu haben. Ebenso wichtig ist es, als erwachsener Mensch im Gespräch ehrlich und authentisch zu bleiben. 

Ab welchem Alter ist es sinnvoll, Kindern biblische Geschichten nahezubringen?
Das hängt von der Form ab. Das Vorlesen kommt viel später, Erzählen ist besser. Noch schöner ist es, biblische Geschichten anschaulich zu gestalten.
Für die Allerkleinsten ist es angebracht, sie auf dem Arm zu halten und ein Lied zu singen, das von Gott handelt. Über das deutlich wird: Gott liebt das Kind. Dies ist eine Minimalreduzierung biblischer Geschichten, so etwas wie ein Brühwürfel. Es sind auch Kniereitergeschichten möglich, bei denen die Kinder Angenommensein und Geborgenheit körperlich spüren können. Ab einem Dreivierteljahr kann es für Kinder auch spannend sein, im Kreis mit älteren Kindern biblische Geschichten gestaltet mitzuerleben. 

Wie können biblische Geschichten kindgerecht vermittelt werden?
Die Vorbereitung beginnt bei den Erwachsenen. Sie sollten sich auf die Geschichte einlassen und sich fragen, was für sie an der Geschichte so spannend ist, dass sie diese erzählen möchten. Und dann gilt es zu entdecken, welche verschiedenen Erfahrungen in der Geschichte stecken. Diese Erfahrungen haben für uns heute noch Bedeutung. Sarah und Abraham erleben, dass sie aufbrechen, sich auf etwas Neues einlassen müssen. Man kann sich fragen, wo man selbst herausgefordert ist und ob man dem ängstlich oder mit Neugier begegnet.

Und nach dieser Vorbereitung?
Dann kommen die Kinder in den Blick: Was beschäftigt sie? Man sucht nach einer Schnittmenge zwischen den biblischen Geschichten und den Themen der Kinder und entscheidet sich dann, die Geschichte auf eines dieser Themen hin zu erzählen. Ich erzähle biblische Geschichten, indem ich sie reduziere. 
Wenn man sie ganzheitlich vermitteln möchte, muss man sich überlegen, ob man Tücher, Naturgegenstände oder Holzkegelfiguren einsetzt. Zudem sollte man versuchen, die Kinder beim Erzählen mit einzubeziehen, indem man sie einlädt, selbst etwas dazuzulegen. Bei der Weihnachtsgeschichte können sie z. B. eine Figur für sich selbst in die Szene stellen – an die Krippe, zu den Hirten oder zu den Engeln. Dorthin, wo die Kinder sich selbst sehen würden.

Wie können Kinder darüber hinaus zum christlichen Glauben hingeführt werden?
Ich glaube, dass das Vorbildlernen die wichtigste Funktion hat. Kinder lesen an den Erwachsenen ab, wie Glauben im Alltag vorkommt. Wenn sie z. B. eine tote Amsel auf dem Spielplatz finden und fragen, ob es einen Vogelhimmel gibt, ist es wichtig, sich dieser Frage nicht zu entziehen, sondern es auszuhalten, dass sie offenbleibt, und mit den Kindern ins Gespräch darüber zu kommen. Wenn Kinder nach einer Deutung suchen, sollte man ihnen ein Angebot machen. 

Letztes Jahr haben Sie ein zweites Buch herausgegeben. Es trägt den Titel «Mit den Kleinsten durch das Kirchenjahr». Was ist daran neu?
Anlass für dieses Buch waren Anfragen nach weiteren Praxisbeispielen. Diese habe ich auf das Kirchenjahr ausgerichtet - einen Rhythmus, der sowieso da ist und unser Leben prägt. Ich habe auch Kirchenfeste wie Himmelfahrt oder Pfingsten aufgenommen, die auf den ersten Blick nicht mit Kindern in Verbindung gebracht werden. Ich glaube nämlich, dass darin viele Kinderthemen stecken. Die Praxismodelle habe ich in Zusammenarbeit mit Fachkräften erstellt, die mit meinem ersten Buch Erfahrungen gesammelt haben. Im ersten Teil des Buches habe ich weitere Erkenntnisse der Gehirnforschung aufgenommen im Hinblick auf die Frage, wie der Glaube die Entwicklung der Persönlichkeit fördern kann. 

Interview: Detlef Kissner, forumKirche, 12.01.2023

1 Maike Lauther-Pohl ist Studienleiterin der Evangelischen Akademie der Evangelisch Lutherischen Kirche im Norden (D). Bis Anfang 2022 war sie als Theologische Referentin für Religionspädagogik im Verband Evangelischer Kindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein e.V. tätig.


Die Kleinen zum Glauben hinführen

Lehrplan für Vorschulkinder fertiggestellt

Der Lehrplan für Religionsunterricht (RU) der beiden Landeskirchen im Thurgau wurde durch den Zyklus 0, der Kinder im Vorschulalter im Blick hat, erweitert. 

Seit August 2021 ist der Lehrplan RU der katholischen und der evangelischen Landeskirche Thurgau in Kraft (s. www.tg.lehrplan-ru.ch). Er umfasste zunächst die Zyklen 1 bis 3, in denen - aufgegliedert in sieben Bereiche - Kompetenzen für Schüler*innen des Kindergartens bis zur neunten Klasse mit entsprechenden Umsetzungshilfen aufgeführt wurden. Offen war bisher die Adaption der Zyklen 0 und 4. Die Ausgestaltung des Zyklus 0 (Vorschulkinder) wurde letzten Herbst nun abgeschlossen.
«Dem Lehrplan liegt ein Gesamtkonzept zugrunde, in dem religiöse Kompetenzen von Kindesbeinen an bis ins Erwachsenenalter dargestellt werden», sagt Rolf Meierhöfer, Mitarbeiter der katholischen Fachstelle Religionspädagogik. Er hat zusammen mit einer kleinen Gruppe von katechetisch Tätigen den neuen Teil des Lehrplanes weiterentwickelt.

Theorie und Praxis
Als Grundlage diente der Gruppe der Lehrplan für die Katholische Kirche in der Deutschschweiz (LeRUKa). «Die Teilkompetenzen der einzelnen Bereiche wurden jeweils durch ein Praxisbeispiel ergänzt, das eine Vorstellung davon vermittelt, wie eine Umsetzung aussehen könnte», so Rolf Meierhöfer. Zudem werden weitere Praxisbeispiele und verschiedene Medien zur Umsetzung angeboten. 
In den Pfarreien besteht das Angebot für Vorschulkinder vor allem aus liturgischen Feiern. Die anderen Kompetenzbereiche, die der neue Teil des Lehrplanes beschreibt, werden in der Pfarreiarbeit bisher kaum berücksichtigt. Das soll sich mit dieser Grundlagenarbeit nun ändern. «Wir hoffen, dass die Verantwortlichen in den Pfarreien auch andere Formen religiöser Bildung für Vorschulkinder anbieten», sagt Rolf Meierhöfer. Zur Unterstützung der Gemeinden bei dieser Aufgabe soll bei der Fachstelle Religionspädagogik eine neue Fachkraft mit dem Schwerpunkt Vorschulkatechese und Kinderliturgie (s. S. 13) eingestellt werden. 

Detlef Kissner, forumKirche, 12.01.2023
 

Maike Lauther-Pohl
Quelle: zVg
Maike Lauther-Pohl empfiehlt, Kinder nach ihrer Meinung zu fragen: «Wie stellst du dir das vor?»

 

 

Kinder hören gern zu, wenn man ihnen biblische Geschichten erzählt.
Quelle: Kath. Landeskirche Thurgau
Kinder hören gern zu, wenn man ihnen biblische Geschichten erzählt.

 

 

Kinder erleben, was Glauben ist, am Vorbild von Erwachsenen wie z. B. der Eltern.
Quelle: Surprising_Shots/pixabay.com
Kinder erleben, was Glauben ist, am Vorbild von Erwachsenen wie z. B. der Eltern.

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