Die Armee auf dem Weg zu einer multireligiösen Seelsorge

Die Armee will, dass sich die Armeeseelsorge künftig anderen Konfessionen öffnet. Dazu hat sie die Grundlagen geschaffen, dass neben katholischen, reformierten, christkatholischen und freikirchlichen Seelsorger*innen neu auch Armeeseelsorger*innen mit muslimischem und jüdischem Hintergrund ihren Dienst leisten können. 

«Unsere Gesellschaft wird immer diverser und die Armee ist in gewisser Hinsicht ein Spiegelbild davon. Obwohl sich nicht alle Bevölkerungsgruppen im Militärdienst wiederfinden, ist er trotzdem ein bunter Schmelztiegel von Menschen», sagt Stefan Junger, der seit 2014 Chef der Armeeseelsorge ist. Diese Entwicklung zu mehr Vielfalt sollte deshalb seiner Meinung nach auch in der seelsorglichen Betreuung der Armeeangehörigen zum Ausdruck kommen, weshalb die Armee will, dass sich die Armeeseelsorge auch für nichtchristliche Religionsgemeinschaften öffnet. Aus diesem Grund ist sie nun zwei weitere Partnerschaften eingegangen. Zum einen mit dem grössten muslimischen Verband des Landes, der Föderation Islamischer Dachorganisationen (FIDS) sowie dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG), der eine Mehrheit der jüdischen Gemeinden in der Schweiz repräsentiert. «Wir sehen darin die Chance, dass uns die Organisationen geeignete Kandidat*innen vorschlagen, die wir nach einem standardisierten Prüfverfahren aufnehmen, ausbilden und danach als Offiziere bei den Truppen einsetzen können», erklärt Stefan Junger. 

Bedürfnissen gerecht werden

Wie schnell dies realisiert werden könne, hänge von der FIDS und dem SIG ab, sagt der oberste Armeeseelsorger. Er kann sich vorstellen, dass muslimische oder jüdische Seelsorger*innen schon den Ausbildungslehrgang im nächsten Jahr besuchen könnten. Das gemeinsame Seelsorgeverständnis wird durch die Grundanforderungen gewährleistet und in der dreiwöchigen Ausbildung gefestigt. Der freiwillige Dienst in der Armeeseelsorge setzt voraus, dass die Anwärter*innen einen seelsorglichen und theologischen Hintergrund mitbringen, über Selbst- und Sozialkompetenz verfügen und die Prinzipien sowie die Arbeitsweise der Armeeseelsorge akzeptieren. Zudem bringen sie bereits militärische Erfahrung mit oder sind bereit, sich diese anzueignen. In den Wochen der Ausbildung werden sie in verschiedenen Modulen beispielsweise in der Gesprächsführung geschult und ihnen wird vermittelt, was im speziellen Setting Militär seelsorgliche Begleitung überhaupt bedeutet. «Im Spital oder im Gefängnis gehen die Seelsorger*innen primär zu Einzelpersonen, die Armeeseelsorgenden nehmen aber oft auch Aufgaben zugunsten des Kollektivs wahr, beispielsweise Ansprachen bei einer Beförderungsfeier oder einen Feldbesuch und suchen niederschwellige Begegnungsmöglichkeiten», führt Stefan Junger aus. Da man generell in der Armeeseelsorge immer auf Nachwuchssuche sei, ist das oberste Ziel, in erster Linie gute künftige Armeeseelsorger*innen zu finden, die einen breiten konfessionellen Hintergrund mit bringen und diesen bei Bedarf einsetzen können. «Die Anliegen der Armeeangehörigen an die Armeeseelsorge sind extrem vielfältig und mitunter auch religiöser Natur. Dass der Anteil muslimischer Angehöriger der Armee in den letzten Jahren zugenommen hat, provoziert auch vermehrt konkrete Fragestellungen, wie beispielsweise kürzlich zum Fastenmonat Ramadan und wie dieser mit dem militärischen Alltag in Einklang gebracht werden kann. Bisher haben wir bei solchen Anfragen einen externen Rat hinzugezogen. Das macht uns aber nicht sehr glaubwürdig», meint Junger. Auch aus diesem Grund sei es wichtig, die Armeeseelsorge so aufzustellen, dass sie der Breite der Bedürfnisse bestmöglich gerecht werde. 

Eigene Verwurzelung wichtig

Obwohl sich die Armeeseelsorger*innen um alle Soldaten kümmern, unabhängig von deren Konfession und Glauben, findet Stefan Junger es nach wie vor essenziell, dass die Seelsorger*innen selbst sich einer Religion zugehörig fühlen und persönlich sowie institutionell verwurzelt sind. «Es ist wichtig, eine eigene Verwurzelung zu haben. Nur so kann man seinem Gegenüber ehrlich vermitteln, dass man die Hoffnung und Zuversicht aus diesen Wurzeln zieht und ihm dadurch Kraft schenken», ist der Chef der Armeeseelsorge überzeugt. Die persönliche Ansicht dürfe man dem*der Armeeangehörigen aber im vertraulichen Gespräch nicht überstülpen. Im Fokus stehe immer die Person, die ein Bedürfnis habe, völlig unabhängig davon, was der*die Armeeseelsorger*in selbst für richtig und wahr empfinde. «Die Kunst besteht darin, dem Anliegen Raum zu geben und gemeinsam nach der besten Lösung zu suchen», erklärt Stefan Junger. Das sieht auch der Horgener Seelsorger und Diakon Josef Bernadic so, der seit 2001 als Armeeseelsorger mit katholischem Hintergrund bei der Luftwaffenausbildungs- und -trainingsbrigade tätig ist. «Missionieren geht nicht. Das ist nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, dem Menschen, der mir mit einem Anliegen entgegentritt, gegenüber offen zu sein», sagt der Jakobsoffizier Bernadic (forumKirche 18/2019). Für ihn ist die Armeeseelsorge eine Art ‹Geh-Hin-Kirche›. «Wir kommen zu den Berufs- und Milizsoldaten, weshalb die Begegnungen und Gespräche oft auch an ungewöhnlichen Orten stattfinden, beispielsweise im Speisesaal oder am Schiessstand. Armeeseelsorger*innen werden aber auch im Ausland eingesetzt und begleiten etwa die Swisscoy im Kosovo. Der grosse Unterschied zur Pfarreiseelsorge ist auch der, dass sich das militärische Umfeld ständig wandelt und neue Rekruten, Unteroffiziere und Offiziere hinzukommen», erzählt Bernadic. Seine Arbeit beschreibt er mit den Worten «Begleitung» und «Vertrauen». Das grosse Plus eines Armeeseelsorgers sei zudem, dass er Zeit habe. Zeit zum Zuhören, zum Reden, aber auch zum Mitlachen, wenn die Soldaten in einer geselligen Runde zusammensitzen würden. «Man ist einfach für sie da. An den guten Tagen, wenn sie Erfolgserlebnisse teilen wollen, aber natürlich auch dann, wenn sie Probleme und Sorgen haben», berichtet Josef Bernadic. Oftmals, meint der Armeeseelsorger, würden die Soldaten ganz spontan erzählen, was sie beschäftigt. Von individuell empfundenen Leerläufen bei militärischen Übungen über den grossen Erwartungs- und Leistungsdruck, den sie spüren, bis zum persönlichen Familien- und Berufsleben, das sie nicht einfach vor der Kasernentüre ablegen können. 

Die Trauer annehmen

«Die Soldaten sind Teil einer Schicksalsgemeinschaft und der Armeeseelsorger muss sensibel genug sein, um ihr Anliegen aufzunehmen und zu analysieren». Als solcher hat Josef Bernadic selbst schon schwierige Momente durchlebt. «Während eines Wiederholungskurses im Kanton Uri starb ein höherer Offizier. Am Abend zuvor hatte er mir noch strahlend von seinen zwei kleinen Kindern erzählt, die sich immer freuen würden, wenn er nach Hause komme. Am nächsten Morgen haben wir ihn dann in der Zivilschutzanlage tot aufgefunden», erzählt er. Die Überbringung dieser Nachricht an die Frau und die Kinder sei keine einfache Aufgabe gewesen. Das bewege einen. Auch müsse man akzeptieren, dass die Familie vielleicht keine militärische Trauerfeier möchte, weil der geliebte Mensch genau hier zu Tode kam. Solche belastenden Erfahrungen versuche er aufzufangen, das Gebet sei wichtig, dass man sich zurückziehe und die Sorgen auch in andere Hände lege. «Hilfreich ist für mich ebenso das Gespräch mit den Kameraden und die Frage danach, wie sie in bestimmten Situationen reagiert haben oder hätten», sagt Josef Bernadic. Und was gibt ein*eine Armeeseelsorger*in jungen Soldaten mit auf den Weg, die in Ausübung ihres Militärdienstes mit herausfordernden Situationen konfrontiert werden? «Als Armeeseelsorger musste ich im Falle des verstorbenen höheren Offiziers auch mit der Trauer der ganzen Einheit umgehen, die diesem unterstand. Der Tod gehört zum Leben und sollte kein Tabuthema sein. Doch für einen jungen Menschen ist das natürlich schwierig, weil er sein ganzes Leben noch vor sich hat und dann diese Bilder in seinem Kopf irgendwie verarbeiten muss. Als Seelsorger muss man die Trauer der betroffenen Soldaten in jenen Augenblicken annehmen», erzählt Bernadic. 

Den interreligiösen Dialog pflegen

Josef Bernadic unterstützt die Öffnung der Armeeseelsorge für andere Konfessionen, da «sich die religiöse Landschaft gewandelt hat und wir heute eine Vielzahl von Konfessionen haben, die man in den Blick nehmen muss». Es sei wichtig, dass sowohl der ökumenische wie auch der interreligiöse Dialog gepflegt werde. Nach seiner Einschätzung bleibe jedoch abzuwarten, wie viele muslimische und jüdische Anwärter*innen tatsächlich in den Armeeseelsorge-Dienst eintreten würden. Stefan Junger meint auf die Frage, ob die Armee mit einer multireligiösen Seelsorge auch eine Vorreiterrolle in Bezug auf Diversität im öffentlichen Leben insgesamt einnehme: «Das wäre sicher schön, ist aber nicht die Motivation. Darüber hinaus gibt es, bezogen auf die Spital- oder Gefängnisseelsorge ähnliche Überlegungen. Die Armee muss am Schluss für ihre eigenen Rahmenbedingungen die besten Lösungen finden.» 

Sarah Stutte, forumKirche, 21.5.21
 

Stefan Junger, Chef der Armeeseelsorge seit 2014.
Quelle: ©zVg
Stefan Junger, Chef der Armeeseelsorge seit 2014.

 

Josef Bernadic, Armeeseelsorger mit katholischem Hintergrund bei der  Luftwaffenausbildungs- und -trainingsbrigade seit 2001.
Quelle: ©zVg
Josef Bernadic, Armeeseelsorger mit katholischem Hintergrund bei der Luftwaffenausbildungs- und
-trainingsbrigade seit 2001.

 

Ausbildung auf dem Waffenplatz Bülach
Quelle: ©zVg
Ausbildung auf dem Waffenplatz Bülach

 

Armeeseelsorger begleiten eine Marschgruppe im Thurgau
Quelle: ©zVg
Armeeseelsorger begleiten eine Marschgruppe im Thurgau

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