Lohnenswerte Rundwanderung im Thurgau
Die letzte Wanderung unserer Sommerserie führt uns nach Abstechern ins Schaffhausische, dem Solothurner und Baselbieter Jura und der Urschweiz durch den Thurgau. Für das forumKirche ein Heimspiel, wenn denn der Chronist nicht aus dem Nachbarkanton käme, was die geplante Wanderroute um ein paar Kilometer verlängert.
Wer sich auf einen im Internet recherchierten, unbekannten Weg macht, sollte die Route vielleicht besser nicht schon auf den ersten Metern eigenmächtig ändern. Man muss vorausschicken, dass der Wanderer und seine Begleiterin in der Stadt St. Gallen zu Hause sind. Üblicherweise zieht es einen von dort nicht in den flachen Thurgau. Es liegt näher, die Waden im Alpstein zu formen, wo es nur zwei Richtungen gibt : aufwärts oder abwärts. Zumindest verspricht die Steigstrasse ab dem Bahnhof Bischofszell Stadt, die vorausgesagten 180 Höhenmeter der Wanderung gleich zu Beginn zu bewältigen. Ziel ist die mittelalterliche Sakralkapelle St. Nikolaus und St. Magdalena in Degenau.
« Grüezi »
Weil der Name hält, was er verspricht, gehen wir in Richtung Steig und lassen die stark befahrene Strasse weg. Vor uns liegt ein steiler Weg, und die alpsteingestählten Waden erweisen sich als durchaus nützlich. Gleichzeitig erinnern sie daran, in den vergangenen Monaten sträflich vernachlässigt worden zu sein. Die meisten Wanderungen versanken im Sumpf des Konjunktivs. Man hätte wandern gehen können, wenn es nicht so viele Ausreden gegeben hätte. Die Waden sind mehr Pudding als Stahlbeton. Die Bremsen oder Brämen, wie der Ostschweizer zu sagen pflegt, hindert das nicht am Frühstücken. Die Hufgeräusche im Rücken kommen gerade recht. Die Ausrede, ungern zwei Pferde hinter sich zu haben, bietet die Gelegenheit, am Wegrand zu pausieren. « Grüezi ! » In der Ostschweiz grüsst man sich und gönnt sich einen kurzen Schwatz mit der Pferdepflegerin. Danach steigt das Gefühl auf, irgendwie in die falsche, wolkenverhangene Himmelsrichtung zu wandern.
Der Notfall – Ziel war es, auf eine GPS-gesteuerten Navigation zu verzichten – tritt bereits ein. Tatsächlich weicht die Standortanzeige erheblich von der geplanten, blauen Route ab. Darauf zurückzukehren bedeutete, die erarbeiteten Höhenmeter wieder preiszugeben, und kommt somit nicht infrage. Wir entscheiden uns für einen launigen Waldweg, der zumindest in die richtige Richtung führt. Letztlich gelangen wir zurück auf die Steigstrasse, wo wir mit der hässlichen Fratze der Zivilisationsverwahrlosung konfrontiert werden : achtlos aus dem Auto geschmissene Getränkedosen und Fastfood-Verpackungen. Während wir uns von der Hauptstrasse auf den nächsten Wanderweg flüchten, fluchen wir über die Ignoranz der Konsumgesellschaft.
Der Thurgauer Panoramaweg beruhigt unsere Gemüter rasch. Er führt uns an für die Region bekannten Riegelbauten vorbei mit Gärten, in denen die Biodiversität explodiert. Nur das Panorama geizt mit dem Ausblick auf den Alpstein, für den sich weder weidende Kühe noch ein paar Pfadfinder interessieren, die dabei sind, ein Zeltlager aufzubauen. Begleitet werden sie von wummernden Bässen aus einer Boom-Box, was meine Begleiterin zur lakonischen Bemerkung bringt : « Früher haben sie ins Pfadilager eine Gitarre mitgenommen. » Während wir genüsslich weiterwandern, unterhalten wir uns über den Bundesrat und das Bundesamt für Sport, die sich erdreisten, auf das kommende Jahr hin die Fördergelder für Jugend und Sport um 20 Prozent zu kürzen und nehmen uns vor, sollten wir je wieder zu Hause ankommen, die entsprechende Petition zu unterschreiben. Wenn schon wir auf den richtigen Weg zurückgefunden haben, sollte dies auch dem Parlament möglich sein.
Fährfahrt
Wir mäandern weiter westwärts, geniessen den Ausblick über üppige Wiesen, Felder und das « Chrotteloch » vor dem malerischen Hauptwiler Weiher. Unser erstes Tagesziel, der Hof Gertau an der Sitter, ist nicht mehr allzu weit. Wir erreichen unser Etappenziel kurz vor 11 Uhr. Jene Zeit, für die eine Überfahrt mit der letzten handbetriebenen Sitterfähre reserviert wurde. In Gertau angekommen, einem äusserst gepflegten Pferdehof mit Eventlokal und der Gelegenheit, sich im « Stübli » selbst zu bedienen, weiss niemand etwas von einer Online-Reservierung. Eine solche ist an Werktagen nötig. An Wochenenden verkehrt die Fähre zu jeder vollen Stunde. Doch eine fleissig Unkraut jätende Frau sagt, es sei kein Problem, sie bringe uns jederzeit auf die andere Seite und damit unserem eigentlichen Ziel schon sehr nahe, der Kapelle in Degenau.
Pilgerweg
Erbaut wurde sie im 12. Jahrhundert am alten Pilgerweg von Konstanz nach St. Gallen und ist ein bemerkenswertes Zeugnis frühmittelalterlicher Sakralarchitektur. Ihre Ursprünge reichen gar bis ins 9. Jahrhundert zurück. Über die Zeit wurde die Kapelle verschiedentlich umgebaut und diente dem Schlossherrn zu Blidegg als persönliche Andachtsstätte. Wiederholt wechselte sie die Konfession. Im 16. Jahrhundert wechselten die katholischen Einwohner der Region zum reformierten Glauben, später wurden sie wieder katholisiert. 1833 ging das Bauwerk definitiv an die katholische Pfarrei Sitterdorf über. Im Inneren beherbergt es Wandmalereien, welche Mitte des vergangenen Jahrhunderts bei Renovationsarbeiten wiederentdeckt wurden.
Wer diese und die abenteuerliche hölzerne Westempore sehen will, muss sich zuerst den Schlüssel zur Kirche besorgen. Dieser liegt beim Bauern des Weilers Degenau, wie auf einer Info-Tafel unter dem Titel « Fritz » zu lesen ist : «Seit über 50 Jahren hüten Erna und Fritz Buri den Schlüssel der katholischen Kapelle Degenau – seit mindestens zwei Generationen ist der Schlüssel bereits bei der reformierten Familie Buri. Als der katholische Nachbar wegzog, wurde die Familie für diese Aufgabe angefragt, da der nächste Katholik zu weit weg wohnte.» Der Besuch in der über 1'000 Jahre alten Kapelle lohnt sich. Sie ist ein stiller und schlichter Ort der inneren Einkehr. Nach einer solchen wird der riesige Schlüssel mit Anhänger ganz einfach wieder im Milchkasten der Familie Buri deponiert.
Bei einem kurzen Besuch im Stall werden wir darüber aufgeklärt, weshalb die Kühe im schattigen Laufstall sind. Nach den heissen Tagen Anfang Juli wurde auf kühlere Nachtweide umgestellt, zudem seien die Tiere so eher sicher vor den lästigen Bremsen. Ich überlege mir, meine nächste Wanderung ebenfalls nachts zu machen, was allerdings die Orientierung eher noch erschweren würde.
Zwischen erntefertigen Feldern und Sitter geht es zu einer Holzbrücke, erneut über den Bach. Von hier könnten wir verschiedene Wege nehmen, aber der Hunger treibt uns zur kürzesten Verbindung via Eberswil. Unsere Schritte werden träger und das Rotmilan-Paar, bekanntlich Aas-Fresser, kreist bedenklich nahe über uns. Glücklich erreichen wir das malerische Städtchen Bischofszell und erfreuen uns bei einem Bier an einer ebenso spannenden wie unterhaltsamen Rundwanderung.
Ralph Weibel, forumKirche, 12.08.2025
Rundwanderung von Bischofszell nach Degenau und zurück
Dauer : 3 Stunden 30 Minuten
Länge : 12 km
Körperliche Anstrengung : mittel
Höhendifferenz : aufwärts 180 m /abwärts 180 m
Ganzjährig begehbar (Fährbetrieb April–Oktober)
Verkehrsmittel : Mit dem Zug bis Bischofszell Stadt, von dort zu Fuss bis zur Fähre in Gertau über die Sitter
Erweiterungen : Die Rundwanderung, vorbei an der Kapelle St. Nikolaus und St. Magdalena in Degenau, verläuft teilweise auf der Pilgerstrecke von Konstanz nach St. Gallen. Sie kann nach Lust und Laune erweitert werden. Empfehlenswert ist auch ein Besuch der Kleinstadt Bischofszell, die für ihre prächtigen Rosengärten bekannt ist.
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