Kraft tanken in der Kartause

Viele klösterliche Gemeinschaften bieten gestressten oder sinnsuchenden Menschen für kurze oder längere Zeit Auf - enthalte in ihren altehrwürdigen Mauern an. Auch in der Kartause Ittingen ist – initiiert vom tecum, Zentrum für Spiritualität, Bildung und Gemeindebau – eine solche wöchentliche Entspannung für Körper, Seele und Geist möglich. Ein Gespräch mit dem Kurs- und tecum-Leiter Thomas Bachofner.

Dieses Jahr führen Sie insgesamt neun Mal das 2018 lancierte Angebot «Auszeit im Kloster» durch. Wie entstand die Idee dazu?

Zusammen mit der Körper- und Trauma-Therapeutin Ina Lindauer biete ich schon über längere Zeit spirituelle Tageskurse und Wochenend-Seminare gemeinsam an, beispielsweise zum «inneren Kind» oder zu Hochsensibilität. Wir hatten beide den Eindruck, dass eine fünftägige klösterliche Auszeit es interessierten Menschen möglich mache, tiefer in ihren inneren Klärungsprozess einzutauchen. Dabei war uns ein ganzheitlicher Ansatz wichtig, also eine entspannende Begleitung für Körper, Seele und Geist. Das Angebot gibt es nun seit Januar letzten Jahres, und es wurde von Anfang an sehr gut aufgenommen. Eine Person hat sich bereits dreimal dazu angemeldet und die Auszeit weiterempfohlen, sodass sich auch durch Mund-zu-Mund-Propaganda weitere Teilnehmer angemeldet haben.

Andere Klöster bieten auch längere Aufenthalte an. Setzen Sie einen besonderen Schwerpunkt, der heraussticht?

Die Verbindung von geistlicher Begleitung sowie Körpertherapie und Gesprächen ist etwas, das nicht so viel angeboten wird und unser Programm auszeichnet. Entweder nimmt man anderswo aktiv am Klosterleben teil, begleitet vielleicht durch geistliche Gespräche, aber weitere Aspekte fallen weg. Wieder andere Einrichtungen bieten eher klinische Aufenthalte an, bei dem der psychologische Aspekt hervorgehoben wird.

Eine Besonderheit ist auch, dass Sie pro Auszeit-Woche nur jeweils ein bis drei Personen aufnehmen. Warum nur so wenige?

Maximal nehmen wir drei Personen auf, wir führen die Woche aber auch nur mit einer Person durch. Das Angebot ist sehr intensiv und bei mehreren Personen könnten wir ihnen nicht mehr individuell gerecht werden. Zudem würden wir uns als Begleitpersonen womöglich überfordern oder in eine berufliche Routine hineingeraten. Unser Angebot ist kein gruppentherapeutisches. Viele Teilnehmer melden sich nur deshalb an, weil sie die Ruhe suchen und ihre Problematiken nicht unbedingt im Plenum teilen möchten.

An wen richtet sich das Angebot?

Die Auszeit ist ausgerichtet auf Menschen, die ihre berufliche und persönliche Situation verbessern und ihr Leben aktiv gestalten wollen. Einige von ihnen stehen irgendwo im Leben an oder vor einer Entscheidung und spüren dies eher an ihrem körperlichen Befinden. Andere wiederum haben spirituelle Fragen, auf die sie eine Antwort suchen. Bei einem telefonischen Vorgespräch werden die Bedürfnisse der Interessierten abgeklärt.

Und was für Menschen melden sich an?

Das ist bunt gemischt, vor allem Frauen, jedoch auch schon zwei Männer. Einige der bisherigen Kursteilnehmer waren im Alter von 30 bis 35 Jahren. Bei den Männern stand mehr die berufliche Überlastung im Vordergrund, die sich durch persönliche Umbruchsituationen verstärkte. Viele der Frauen befanden sich in einer Phase der Stagnation und wollten überprüfen, wie es für sie weitergehen soll. Oder aber sie steckten in einer unbefriedigenden Beziehung fest und suchten einen Ausweg. Wir hatten aber auch schon viele ältere Teilnehmer, die mit Blick auf ihre künftige oder bereits erfolgte Pensionierung plötzlich merkten, dass sie sich ein Leben lang nur nach aussen orientiert haben und gar nicht wissen, wer sie eigentlich sind. Ich benutze oft das Bild eines römischen Brunnens. Dabei bildet die Spiritualität die oberste Schale und das Wasser fliesst, kraftvoll und sinnhaftig, von oben nach unten und füllt die einzelnen Schalen. Dieses einfache Bild ist hilfreich, um sich zu verorten und intuitiv ist ein Gefühl da, dass man der obersten Schale mehr Aufmerksamkeit widmen muss.

Wie läuft eine solche Woche genau ab?

Am Montagvormittag, wenn die Teilnehmer in der Kartause angekommen sind, treffen wir uns mit ihnen im tecum-Seminarraum und geben ihnen einen Überblick. Ina Lindauer erklärt die Prozessarbeit mit dem «inneren Kind». Am Nachmittag folgen die ersten, psychologisch orientierten Therapiesitzungen, die aber auch körperliche Entspannung beinhalten. Daran arbeitet sie mit den Teilnehmenden noch am Mittwoch und Freitag weiter. Am Dienstag und Donnerstag stelle ich dann mehr das Spirituelle in den Vordergrund. Wir treffen uns im «Raum der Stille», einem Ort im Inneren des Klosters, in dem man innehalten und meditieren kann. Dort führe ich ins Thema Spiritualität ein und schaue, wer schon stark im Glauben verankert und wer suchend und fragend ist. Anschliessend haben wir Zeit für eine geleitete Meditation und Einzelgespräche über Spirituelles und Glaubensfragen.

Was bedeutet Prozessarbeit mit dem «inneren Kind»?

Das Modell des «inneren Kinds» ist eine Vorstellung, in der es darum geht, auf die verschiedenen inneren Bedürfnisse zu hören, die sich immer wieder einmal melden. Sie machen sich vielleicht durch eine Verkettung von Pleiten, Pech und Pannen bemerkbar, weil man nicht im Einklang mit sich selbst ist. Auch können schwierige, traumatische Erfahrungen plötzlich zutage treten, die einen Prozess auslösen. Dann ist man gezwungen, sich seiner innersten seelischen Bedürfnisse Gewahr zu werden, die bis anhin weggesperrt wurden, weil man funktionieren musste. Schenkt man ihnen keine Beachtung, kann dies im schlimmsten Fall auch zu einem Burnout führen, weil wir uns mit Leistung überfordern und uns nicht genug abgrenzen. Als Modell kann das «innere Kind» für viele hilfreich sein, um in einen inneren Dialog mit sich selbst zu kommen, damit ein Bewusstwerdungsprozess stattfinden kann.

Was macht die Kartause als Ort speziell, um zu sich selbst zu finden?

Das haben wir uns auch schon oft gefragt. Ich glaube, die Kartause ist einfach, allein schon durch ihre Aussenmauer, ein geschützter Kosmos für sich. Es ist so, als ob man in eine andere Welt eintritt – eine friedliche Atmosphäre, in der man Kraft tanken kann. Jahrhundertelang war dies ein Ort der Stille, was immer noch in den alten Mauern spürbar ist. Im Verlauf von fünf Tagen ist man Teil einer kleinen Gemeinschaft auf Zeit. Auch die Umgebung und die Infrastruktur tragen dazu bei, die schönen Gärten und spirituellen Orte, die es zu entdecken gibt. In den freien Zeiten der Auszeit-Woche kann man hier Spaziergänge unternehmen, das Thymian-Labyrinth oder den Themenpfad «Stille und Spiritualität» erkunden und sich mit einem Audioguide an verschiedenen Orten kurze Impulse geben lassen. Auch der Ittinger Ranft, oberhalb der Nordmauer des Klosters, lädt zum Verweilen ein. Hier am Wasser kann man mittels Tonspur in die Welt der Kartäuser eintauchen. Wir sagen aber unseren Teilnehmern auch klar, dass sie nicht zu viel unternehmen und sich nicht zu sehr ablenken lassen sollen. Das wäre eine verpasste Chance, wenn man alles sieht, was es zu sehen gibt, aber viel zu wenig bei sich selbst ist. Sie sollen auch lernen, darauf zu hören, was ihnen jetzt gut tun würde und sich besser wahrnehmen.

Gibt es Teilnehmer, die Handy und Laptop mitnehmen und zwischendrin noch arbeiten?

Sicher. Es ist nicht Sinn und Zweck der Sache, aber wir sind keine Burnout-Klinik und man muss auch nichts bei uns abgeben. Menschen, die bereits mit einem Burnout zu kämpfen haben, sind bei uns sowieso nicht am richtigen Ort, weil sie eine intensivere Betreuung benötigen. Viele Teilnehmer wollen jedoch mit ihren Angehörigen in Kontakt stehen, das können und wollen wir natürlich nicht unterbinden. Denn plötzlich kann sich der eine oder andere vielleicht auch auf eine Art und Weise austauschen, die vorher nicht möglich war und an einem solchen Ort dann möglich wird.

Hatten Sie auch schon Skeptiker in der Runde, die sich erst im Laufe der Woche mehr geöffnet haben?

In Bezug auf Glaubensfragen durchaus. Ein Teilnehmer hatte in seiner Kindheit und Jugend ein sehr enges Verhältnis zur Kirche. Mit 20 brach das plötzlich ab, weil sich seine Lebenssituation veränderte. Nun, mit 40 Jahren, wollte er wieder dort anknüpfen. Andere Menschen erzählten, dass sie sich im Laufe ihres Lebens eine Art Patchwork-Glauben zusammengestellt hätten. Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, alle auf meinen Weg einzuschwören. Ich versuche, anderen Überzeugungen mit Respekt zu begegnen. Doch manchmal gibt es Anknüpfungspunkte, an denen man eine Brücke zu christlichen Inhalten schlagen kann, um alles neu zu verorten.

Worin liegt die Faszination der Auszeit im Kloster? Fühlt man sich heute anders gestresst als früher?

Das Leben beschleunigt sich, auch durch die Kommunikationsmittel, man ist immer im Dialog oder gefordert. Das Zur-Ruhe-Kommen wird dann verstärkt als Sehnsucht wahrnehmbar. Es ist ein Urbedürfnis des Menschen, in der Verbundenheit mit sich selbst oder dem Schöpfer zu sein. Ausleben lässt sich das ganz unterschiedlich, indem man in der Natur ist, wandert, mit dem Hund spazieren geht oder vielleicht Yoga macht. Es gibt viele Arten, sich aus dem Strom auszuklinken und etwas für die Seelenhygiene zu tun.

Was nehmen die Kursteilnehmer nach dieser Woche wieder mit nach Hause?

Nach der Woche erfolgt nochmal ein Anruf und wir fragen nach, wie derjenige die Auszeit erlebt hat und was er davon wie in den Alltag integriert. Einige der bisherigen Teilnehmer haben sich eine meditative Gruppe in ihrer Nähe gesucht oder verschiedene Projekte angeregt. Manche Teilnehmer melden sich zu einem späteren Zeitpunkt nochmals und erzählen, was sie daraus gezogen haben, andere nicht. Bei manchen sind die Strukturen derart gefestigt, das fünf Tage nicht reichen, um wirklich in die Tiefe zu kommen. Es braucht viel, vor allem viel Zeit, um wirklich Veränderungen einzuleiten und Entscheidungen zu fällen. Wir können nur erste Schritte aufzeigen und das Bewusstsein dafür fördern, neue Wege zu beschreiten. Wie viel jeder Einzelne letztendlich davon für sich umsetzt, wissen wir nicht.

Interview: Sarah Stutte (16.07.19)


Nächste Daten

• 12. bis 16. August
• 9. bis 13. September
• 11. bis 15. November

Mehr Infos unter: www.tecum.ch

Weitere Möglichkeiten zu einer Auszeit in einem Kloster:
• Kloster Fischingen
• Kloster Hegne
• Kloster Fahr
• Kloster Rapperswil
• Kloster Mariazell-Wurmsbach


 

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Der ev. Pfarrer Thomas Bachofner leitet das tecum in der Kartause und, zusammen mit Ina Lindauer, die «Auszeit im Kloster».

Bild: Sarah Stutte

 
 
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In der Stille der Kartause Ittingen können die Menschen zur Ruhe kommen und zu sich selbst finden.

Bild: zVg

 
 
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Im sogenannten «Raum der Stille» trifft man sich zur Meditation und Besinnung.

Bild: zVg

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