Einblicke in die neue Kirchenverfassung

In zwei Sondersitzungen berieten die Synodalen der katholischen Landeskirche Thurgau neue Rechtsgrundlagen, die das bestehende Kirchenorganisationsgesetz (KOG) von 1968 ersetzen. Sie bewilligten eine neue Verfassung und je ein Gesetz für die Landeskirche und die Kirchgemeinden. Durch die Fortschreibung der Rechtsvorschriften erhielten wichtige gesellschaftliche Themen einen Platz und demokratischen Strukturen wurden gestärkt.

Für die Revision eines Kirchenorganisationsgesetzes braucht es einen langen Atem. Vor sieben Jahren begann eine kirchenrätliche Kommission mit den Vorarbeiten dazu. Deren Entwürfe entwickelte ab 2017 eine von der Synode eingesetzte Spezialkommission weiter, die in einem kritischen Dialog mit der Bistumsleitung und dem Kirchenrat auch deren Anliegen aufnahm. Aus dem alten KOG schuf sie Vorlagen für eine Verfassung und zwei Gesetze. «Das macht es in Zukunft leichter Änderungen vorzunehmen», erklärt Pater Gregor Brazerol, der Präsident der Spezialkommission, «denn über eine Verfassung muss der Grosse Rat befinden, Gesetzestexte kann die Synode ohne dessen Zustimmung anpassen.»

Gleichberechtigung

Für die breite Öffentlichkeit dürften vor allem die Grundsätze zur Gleichstellung von Frau und Mann und zum sorgsamen Umgang mit der Schöpfung, zu denen sich die Landeskirche in der Verfassung verpflichtet, interessant sein. Um das erste Thema wurde gleich in beiden Lesungen gerungen. Auch wenn den Synodalen klar war, dass sie die Priesterweihe von Frauen nicht gegen das Kirchenrecht durchsetzen können, wollten sie dennoch gewährleistet haben, dass «sich die Landeskirche für die Gleichstellung von Mann und Frau in allen Ämtern und Aufgaben einsetzt». Während der Kirchenrat sich für eine einfache Verpflichtung zur ökologischen Nachhaltigkeit ausgesprochen hatte, schlossen sich die Synodalen der Vorlage an, die diese Verpflichtung darüber hinaus in vier Unterpunkten konkretisiert.

Ebenso sprach sich die Synode für den Öffentlichkeitsgrundsatz aus, der unter anderem das Recht auf Akteneinsicht gewährt. Gegen dieses Recht hatte der Kirchenrat ebenfalls «erhebliche Bedenken» angemeldet. «Mit diesem Schritt passt die Landeskirche ihre Verfassung an die kantonale Entwicklung an», sagt Pater Gregor.

Stärkung der Synode

Für die Synode, das kirchliche Parlament, sieht die Verfassung in Zukunft Wahlkreisversammlungen vor. Diese sollen gegen - über den bisher abgehaltenen, fakultativen Vorsynoden verpflichtend sein und die Möglichkeit bieten, sich mit den Geschäften vorab auseinanderzusetzen. Jeder Wahlkreis soll eine*n Präsident*in wählen. Diese bilden miteinander das Synodenbüro. «Die Synodalen werden damit stärker in den demokratischen Prozess eingebunden und erhalten dadurch mehr Gewicht», so Gregor Brazerol. Mit der Einführung einer Rekurskommission wird darüber hinaus ein eigenständiges Organ für die Judikative geschaffen.

Mit der Revision des KOG wurde auch das Verhältnis von Landeskirche und Kirchgemeinden hinterfragt. «Es ging darum, ob wir ein starkes Zentralorgan oder eine möglichst grosse Autonomie der Kirchgemeinden wollen», so Pater Gregor. Mit der Möglichkeit, Kirchgemeindeverbände zu bilden, wurde die untere Ebene gestärkt. Die Verbände stellen ein Gegengewicht zur landeskirchlichen Verwaltung dar. In finanziellen Angelegenheiten sollen die Kirchbürger*innen allerdings weiterhin mitbestimmen können.

Pfarrei statt Pastoralraum 

Anliegen und Einwände der Bistumsleitung konnten schon vor den Lesungen diskutiert und in die Entwürfe eingearbeitet werden. So forderte das Bistum mit Verweis auf das Kirchenrecht, der untersten pastoralen Ebene den Begriff «Pfarrei» zuzuordnen und nicht, wie von der Kommission vorgesehen, den Begriff «Pastoralraum». «Das haben wir bedauert, weil die Pastoralräume im kirchlichen Alltag an Bedeutung gewonnen haben», sagt Gregor Brazerol.
Bezüglich der Besetzung des Kirchenrates mit «Personen, die in der Seelsorge tätig sind», forderte das Bistum als Voraussetzung, dass diese die bischöfliche Missio haben müssen. Diesen Zusatz übernahm die Spezialkommission nicht, weil sie angesichts des wachsenden Personalmangels den Kreis potentieller Kandidat*innen nicht zu sehr einschränken wollte.

Bei der zweiten Synodensitzung war die Regionalverantwortliche Brigitte Glur-Schüpfer als Vertreterin des Bistums anwesend. «Da von ihr keine Einwände vorgebracht wurden, gehen wir davon aus, dass das Bistum mit diesen Gesetzesentwürfen leben kann», sagt Gregor Brazerol. 

Grosse Kompetenz

Nachdem die Synodalen am 22. Oktober das dreiteilige Gesetzeswerk verabschiedeten, haben die Kirchbürger*innen im nächsten Jahr die Gelegenheit, darüber abzustimmen. Danach wird die neue Verfassung noch dem Grossen Rat vorgelegt, so dass die Gesetze 2022 in Kraft treten könnten. «Damit ist der Gesetzgebungsprozess noch nicht abgeschlossen», erklärt Gregor Brazerol, «es müssen dann noch Ausführungsbestimmungen erarbeitet werden.» Rückblickend ist er froh, dass in der Kommission die Entwürfe schon intensiv diskutiert worden waren: «Das hat dazu bei - getragen, dass man sich in der Synode nur noch über Details verständigen musste.» Die Debatten in der Synode hätten auch gezeigt, wie viel grosse, ganz unterschiedliche Kompetenzen dort versammelt gewesen seien. Den ganzen Prozess der KOG-Revision erlebte er als eine positive Erfahrung von Kirche: «Viele, denen Kirche wichtig ist, haben zusammengearbeitet, sich engagiert und mit Stil eingebracht.»

Detlef Kissner, forumKirche, 3.11.20
 

Pater Gregor Brazerol erläutert den Gesetzesentwurf auf der Sondersynode.
Quelle: Manuel Bilgeri
Pater Gregor Brazerol erläutert den Gesetzesentwurf auf der Sondersynode.

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