Paare und ihre Geschichten

Seit November 2022 ist die Website paargeschichten.ch aufgeschaltet. Das Projekt hat es sich zum Ziel gemacht, Menschen durch Paargeschichten anzuregen, über die eigenen Erfahrungen mit Liebesbeziehungen nachzudenken und sich über diese auszutauschen. 

Matthias Koller Filliger ist Leiter des Projektes paargeschichten.ch. Als Mitarbeiter der Fachstelle Partnerschaft-Ehe-Familie des Bistums St. Gallen ist er in der Erwachsenenbildung tätig. Die Fachstelle bietet Paaren und Familien Seminare und Workshops an und unterstützt Seelsorgende und Ehrenamtliche, die sich um Paar- und Familienseelsorge kümmern. Koller Filliger ist Mitglied der Interessengemeinschaft Partnerschaft-Ehe-Familien-Pastoral Deutschschweiz (IG PEF-Pastoral). Diese hat das Projekt paargeschichten.ch mithilfe weiterer Personen ins Leben gerufen. In der IG PEF-Pastoral vernetzen sich die Bistums- und Kantonalverantwortlichen für die Paar- und Familienseelsorge der katholischen Kirche in der Deutschschweiz. 

Selbsterfahrung
«Die IG PEF-Pastoral gibt es seit 12 Jahren. Vor acht Jahren haben wir ein Projekt für die Familie gemacht. Deshalb wollten wir im Anschluss ein Projekt für Partnerschaft/Ehe machen. Wir haben Ideen gesucht, aber wir kamen nicht weiter. Deshalb habe ich Mark Riklin gefragt. Mit ihm habe ich von der Fachstelle her schon mehrere Male zusammengearbeitet», erzählt Koller Filliger. Mark Riklin hat einen Master in Psychologie, Soziologie und Politologie und ist Lehrbeauftragter im Departement für Soziale Arbeit an der Ostschweizer Fachhochschule. Er ist aber auch freiberuflich tätig, als kreativer Kopf. So ist er beispielsweise Leiter der Meldestelle für Glücksmomente, einer Website, auf der Menschen ihre Glücksmomente festhalten können. «Ich habe ihn dazu animiert, in der Arbeitsgruppe von paargeschichten.ch mitzumachen, sagt Koller Filliger. «Er hat angeregt, Menschen nach ihren Erfahrungen mit Partnerschaft/Ehe zu fragen, Menschen also erzählen zu lassen. Gesammelt wurde zuerst in der Arbeitsgruppe selbst, danach in der IG PEF-Pastoral. Mark Riklin sagte, man müsse erst eigene Erfahrungen sammeln, damit man dafür Werbung machen könne.»

Öffnung des Projektes
Später entstanden weitere Geschichten in der Schreibwerkstatt von Ivo Knill, der auch Redaktionsmitglied des Kulturmagazins ERNST ist, das Gesellschafts- und Sinnfragen mit Geschlechterfragen kombiniert. Durch ihn kam die Zusammenarbeit mit dem Magazin zustande: Die vergangene Dezember-Ausgabe von ERNST widmete sich vollständig dem Thema Paargeschichten. Und so kamen weitere Texte dazu, denn die Redaktionsmitglieder steuerten ihre Erfahrungen bei. Zusätzlich schrieben sie Reportagen zum Thema, z.B. über einen Kellner, der schon zweihundert Hochzeitsfeste begleitet hat, oder über eine Scheidungsanwältin. Diese Öffnung habe dem Projekt nur gutgetan. Es sei eine Win-win-Situation, findet der Projektleiter. «Wäre es rein kirchlich geblieben, wären die Geschichten nicht so vielfältig geworden. Sie sind nun breiter abgestützt, kompatibel mit unterschiedlichen Erfahrungen und Milieus, bunt und realistisch.»

Magisches Erzählen
Matthias Koller Filliger ist dankbar für die Erfahrungen, die er bis jetzt im Zusammenhang mit dem Projekt gemacht hat. «Wir haben mit der Zeit gemerkt, dass das Sammeln an sich das Zentrale ist, das offene Ohr, das es dazu braucht. Das Projekt ist gewissermassen die Lizenz, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Dann ergibt sich ein magisches Erzählen. Ich nenne es deshalb auch das Momo-Projekt.» Momo-Projekt in Anlehnung an das Buch «Momo» von Michael Ende. Darin geht es um das kleine Mädchen Momo, das sehr gut zuhören kann und deshalb seinem Umfeld zu Ideen verhilft, die Fantasie anregt und zur Freude beiträgt. Genau solche Erlebnisse hat Koller Filliger selbst gemacht: «Ich kam mit einer Nachbarin ins Gespräch und durfte während eineinhalb Stunden ihre Geschichte anhören. Danach habe ich fünf Episoden aufgeschrieben und ihr diese am nächsten Tag erneut erzählt. Dabei passierte sehr viel. Es geht um Wertschätzung, um das Interesse für den anderen Menschen. Ich erfahre sein Vertrauen, und er ist berührt, wenn ich ihm seine Geschichte erzähle. Ausserdem erlebe ich ein weiteres Geheimnis von Storytelling: Vielfach klingen eigene Geschichten an, wenn man Geschichten von anderen hört.»

Heiliger Boden
Matthias Koller Filliger verweist im Zusammenhang mit dem magischen Erzählen auf die Broschüre «Paare und Familien: Kirche und Pastoral betreten <Heiligen Boden> – Pastorale Orientierung», herausgegeben vom Bistum Basel und Bistum St. Gallen im Jahr 2020. Darin schreiben Markus Büchel, Bischof von St. Gallen, und Felix Gmür, Bischof von Basel: «Das biblische Bild des <heiligen Bodens> erachten wir für einen eigentlichen Neuansatz pastoralen Denkens: nicht die Kirche definiert die Familie, nicht die Familie wird heiliggesprochen. Vielmehr werden Seelsorgerinnen und Seelsorger den ureigensten Raum von Paaren und Familien als Boden betrachten, auf dem Heiliges und Heilendes möglich werden kann. Wir setzen uns dafür ein, dass in unseren Bistümern diese pastorale Haltung eingeübt wird.» Koller Filliger ergänzt: «Jede*r hat ihren*seinen eigenen Weg gemacht. Menschen erzählen gerne, wenn man offen ist für sie. Es geht nicht darum, eine Erzählung zu bewerten, sondern zuzuhören. Es geht um den achtsamen Umgang miteinander. Das ist sehr seelsorgerlich.» 

Anleitungen
Die Website paargeschichten.ch wurde Ende November 2022 aufgeschaltet. Zurzeit sind rund 70 Erzählungen darauf zu finden (ein Beispiel dazu siehe unten). Sie werden laufend ergänzt. Es sind nicht nur positive Texte, sondern auch solche, die von schmerzlichen Erfahrungen erzählen. Darüber hinaus finden sich Anleitungen, wie Seelsorgende Paargeschichten einfliessen lassen können in ihre Arbeit. Beispielsweise im Trauercafé, in einer Diskussionsgruppe, in der Seniorenarbeit, in einer Ehepaar-Gruppe, in der Ehevorbereitung oder auch im Pfarreirat. Ganz neu kann Material heruntergeladen werden als Einstieg. Dazu sind aus den Paargeschichten zwölf Rubriken abgeleitet worden, die mit einem Textanfang versehen sind. Letzterer soll zum Schreiben oder Erzählen animieren. 

Anonymität gewährleistet
Die Geschichten werden unterschiedlich aufnotiert: Entweder schreibt eine Person ihre Geschichte selbst auf und signiert sie so, wie es für sie stimmt. Das kann mit Vornamen und dem ersten Buchstaben des Nachnamens sein. Da die Geschichten aus der ganzen Deutschschweiz stammen, bleibt so Anonymität gewährleistet, wenn das gewünscht ist. Geschichten werden aber auch von Zuhörenden aufgeschrieben. Dann steht jeweils «aufgezeichnet» und der Name oder das Kürzel der Person. Ganz wichtig ist, dass die aufgezeichneten Geschichten den Menschen, die sie erzählt haben, wieder zugestellt werden, damit sie noch Änderungen anbringen können. 

Weitersammeln
«Die nächsten fünf Jahre werde ich mit den Paargeschichten unterwegs sein, auch in meiner Tätigkeit für die Fachstelle», sagt Matthias Koller Filliger. Diese werde immer wieder einmal gebeten, eine Erwachsenenbildungsveranstaltung in einer Pfarrei zu machen, beispielsweise ein Referat über gelingende Partnerschaft, aber auch, wenn es darum gehe, eine Trennung oder Scheidung zu verarbeiten. Dabei könne man mit den Paargeschichten arbeiten. Er selbst hat das Projekt sogar in einer Kommissionssitzung genutzt. «Alle haben zum Einstieg eine Paargeschichte gezogen. Wer wollte, konnte seine Geschichte vorlesen und erzählen, was sie ausgelöst hat. Dabei entstand ein Gespräch, das wir so vorher noch nie geführt hatten. Es hat einen ganz anderen Boden gelegt für die anschliessende Sitzung mit Traktanden und allem», erzählt er. Die Paargeschichten können auch Menschen zusammenführen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. So hat ein Mitglied der IG PEF-Pastoral eine Abendveranstaltung mit dem Ziehen von Paargeschichten begonnen und mit der Frage, ob die Geschichte etwas auslöse. Es stellte sich heraus, dass zwei Frauen ähnliche Erfahrungen gemacht hatten mit ihren dementen Ehemännern. Nach der Veranstaltung wollten sie sich wieder treffen. Ein solcher Austausch ist ganz im Sinne des Projektes, weshalb sich Koller Filliger auf weitere Geschichten freut. 

Béatrice Eigenmann, forumKirche, 26.01.2023


www.paargeschichten.ch; für Unterstützung zum Einsatz der Paargeschichten in Ihrer Kirchgemeindearbeit wenden Sie sich an die Kirchliche Erwachsenenbildung: www.keb.kath-tg.ch


«Ich war auf dem Holzweg»
Immer stehen sie im Eingangsbereich parat, unsere Trekkingschuhe, sogar mehr als ein Paar. Wir machen uns gerne zusammen auf den Weg, sei es auf einen sonntäglichen Spaziergang oder auch mal auf eine längere Fernwanderung. Das gemeinsame Wandern begleitet uns durch unsere Beziehung, schon über drei Jahrzehnte. Manchmal hatten wir Meinungsverschiedenheiten, waren uns uneinig, wo es weitergehen solle. Am stärksten bleibt mir dabei eine Szene aus unserer mehrtägigen Wanderung nach der Hochzeit in Erinnerung: Wir stritten uns über den richtigen Weg, konnten uns nicht einigen – und gingen getrennt weiter. Beschämt musste ich mir nach einiger Zeit eingestehen, dass ich auf dem Holzweg war. Ich ging zurück. Und wir fanden uns zum Glück wieder.

Autor: Matthias Koller Filliger
 

Matthias Koller Filliger
Quelle: zVg
Matthias Koller Filliger, Projektverantwortlicher von paargeschichten.ch

 

 

Älteres Paar in vertrautem Gespräch
Quelle: Claudia Peters/Pixabay
Älteres Paar in vertrautem Gespräch

 

 

Paar um die 40 geniesst den Sonnenuntergang am Meer
Quelle: Luca/Pixabay
Paar um die 40 geniesst den Sonnenuntergang am Meer

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