Dogmen und ihr Einfluss auf Reformen

Ist die katholische Kirche wandlungsfähig? Dieser Frage geht Michael Seewald, Professor für Dogmatik an der Universität Münster (D), in seinem Vortrag am 10. Februar in Frauenfeld nach. forumKirche sprach mit ihm über die Aufgabe von Dogmen und wie sie Veränderungen in der Kirche beeinflussen.

An welchem Punkt steht die katholische Kirche Europas gerade?

Die Entfremdung zwischen dem, was kirchlich als erstrebenswert angesehen wird, und dem Lebensstil liberaler Gesellschaften wird immer grösser. Es stellt sich die Frage, wie die Kirche darauf sinnvoll reagieren kann.

Welche Reformschritte bräuchte es?

Der synodale Weg in Deutschland zum Beispiel befasst sich mit vier Hauptthemen. Er beschäftigt sich mit der Frage nach Macht und Mitbestimmung in der Kirche, mit Geschlechterrollen innerhalb der Kirche, mit der kirchlichen Beziehungsethik und Sexualmoral sowie schliesslich mit der Suche nach einer zukunftsförmigen Gestalt des priesterlichen Dienstes. Das scheinen mir die vier Themen zu sein, um die gegenwärtig hart gerungen wird.

In Bezug auf eine Veränderung in der Kirche?

Es geht nicht bloss um Veränderung um ihrer selbst willen. Die Kirche muss aber selbstkritisch darüber nachdenken, wo der Anstoss, den sie erregt, mit dem Evangelium verbunden ist, und wo er das Evangelium unnötig verdunkelt. Dort, wo die Kirche Zweitrangiges zu wichtig nimmt oder drängende Anliegen unserer Zeit ignoriert, muss sie sich verändern.

Sind solche Reformen in der Kirche angesichts ihrer Verfasstheit überhaupt möglich?  Hindern sie nicht ihre Bindung an Dogmen und Tradition daran?

Dogma und Tradition sind keine prinzipiellen Hindernisse. Die diskutierten Themen sind dogmatisch ganz unterschiedlich einzuschätzen. Der Zölibat etwa hat überhaupt keine dogmatische Wertigkeit. Bei der Frage nach der Frauenordination gibt es einflussreiche Kreise in der Kirche, die behaupten, dass es sich bei dem Nein von Johannes Paul II. um ein Dogma handle. Das macht Diskussionen schwieriger.

Und ist es ein Dogma?

Legt man den neuen Dogmenbegriff des Katechismus von 1992 zugrunde, ist es ein Dogma. Nimmt man hingegen am Dogmenverständnis des Ersten und des Zweiten Vatikanischen Konzils Mass, kann es sich nicht um ein Dogma handeln. Es scheint mir zwingend, einem Konzil den Vorzug gegenüber einem Katechismus zu geben.

Berühren die anderen Themen auch Dogmen?

Der Streit um die Frauenordination zeigt, dass lehramtlich gar nicht so klar definiert ist, was ein Dogma überhaupt sein soll. Beim Thema Macht stellt sich die Frage: Verknüpft die Kirche ihre Struktur dauerhaft mit einem autoritären, ständischen Verständnis von Gesellschaft? Oder versteht die Kirche sich eher als Gemeinschaft, in der verschiedene Dienste und Ämter – auch bei Leitungsaufgaben – zusammenwirken und sich dadurch wechselseitig bereichern, aber auch wechselseitig korrigieren und kontrollieren.

Welche Funktion haben Dogmen?

Die Grundaufgabe des Dogmas ist es, das Evangelium verständlich zur Sprache zu bringen. Es geht um eine Antwort auf die Frage: Woran glaubt ihr eigentlich, wenn ihr an das Evangelium glaubt? Das Dogma ist eine Grösse, die vom Evangelium unterschieden werden muss. Das Dogma ist nicht der Zweck kirchlichen Daseins, sondern ein Hilfsmittel, dessen Wert sich daran bemisst, wie hilfreich es ist, das Evangelium zeitgenössisch zur Sprache zu bringen.

Dann ist es möglich, ein Dogma weiterzuentwickeln?

Ja, natürlich. Dogmen sind entwicklungsoffene Festlegungen. Diese Entwicklung ist nicht einfach als linearer, kontinuierlicher Fortschritt zu verstehen, sondern kann auch autokorrektive Momente beinhalten.

An welchem Punkt wäre es am einfachsten, Reformen einzuleiten?

In dem Bereich, in dem sich am wenigsten Behauptungen tummeln, dass etwas dogmatisch unveränderlich sei. Etwa bei der Frage des Zölibats. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Widerstände gäbe. Denken Sie nur an den Wirbel um das Buch von Kardinal Sarah und dem emeritierten Papst Benedikt, der sich eigentlich vorgenommen hatte, zu schweigen. Beim Zölibat geht es um nichts Dogmatisches, aber die Beharrungskräfte sind enorm. Hier könnte sich dogmatisch jedoch problemlos etwas tun.

Welche Konsequenzen hätte der Beginn eines Reformprozesses?

Das kommt darauf an, wie dieser Prozess strukturiert ist, wer dabei mitreden kann und wie seine Verbindlichkeit geregelt wird. Wenn nur ein paar kleinere Reförmchen vonseiten der Bischöfe kommen, wäre der Sache nicht gedient. Reformen sollten in einem synodalen Verfahren angegangen werden, an dessen Ende für alle, auch für die Bischöfe, verbindliche Entscheidungen stehen. Unverbindliche Gesprächsgruppen hat es in der Kirche schon genug gegeben. Jetzt müssen konkrete Taten folgen.

Interview: Detlef Kissner (28.1.20) 

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Prof. Dr. Michael Seewald (32) wurde 2016 auf den Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte der Universität Münster berufen.

Bild: zVg

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