Ein Interview über Erfahrungen in der Flüchtlingshilfe

Der reformierte Pfarrer Max Heimgartner (83) engagiert sich seit 20 Jahren für Geflüchtete. Er kritisiert die hohen Hürden im Schweizer Asylgesetz. Die katholische und die reformierte Kirche seien «zunehmend mit sich selbst beschäftigt», sagt Heimgartner.

2004 wurden Sie pensioniert. Haben Sie dann sogleich das Netzwerk Asyl gegründet?
Nicht ganz. Nachdem 2006 das Asylgesetz weiter verschärft wurde, haben wir von unmenschlichen Unterkunftsbedingungen erfahren. Damals entschloss sich das Asylforum Aargau, den Asyltreff contact zu starten. Den gibt es bis heute hier im Offenen Pfarrhaus. Im Jahr danach wurde das Netzwerk Asyl Aargau gegründet. Dem haben wir uns angeschlossen. Mit dem Asyltreff contact wollten wir einen Ort schaffen, wo Asylsuchende Wärme in jeder Hinsicht spüren können und an dem Einheimische und Zugewanderte in Kontakt kommen.

Hat das funktioniert?
Nur halb. Leider waren und sind die einzigen Einheimischen das Team, das die vielen Gäste bewirtet. Und sonst halten sich die lieben Schweizerinnen und Schweizer eher zurück.

Warum ist das so?
Oh, wenn ich das wüsste. Vorurteile spielen wohl eine Rolle. Und auch die Scheu vor sprachlichen Problemen. Das ist ja auch verständlich. Auch in unserem Team gibt es einige, die lieber hinter der Theke arbeiten, als sich an einen Tisch mit Leuten zu setzen, die kaum Deutsch können. Viele Menschen haben Berührungsängste.

Wie erleben Sie die Flüchtlingsankünfte über die Jahre hinweg?
2015/16 war sicher ein Höhepunkt. Damals unterrichteten wir Freiwilligen bis zu 200 Asylsuchende in 20 Klassen an fünf verschiedenen Orten. Nach 2017 hat es zunächst deutlich abgenommen. Seit Ausbruch des Ukrainekrieges aber kommen wieder mehr. Das steht natürlich im medialen Fokus. Doch es kommen auch weiterhin Flüchtlinge aus anderen Ländern. Vorab aus Afghanistan, Burundi, Eritrea, Syrien und der Türkei.

Von denen hört man in den Medien weniger.
Das empfinde ich als ein Stück Rassismus. Als ob die anderen, die zu uns kommen, es vorher weniger schwer hatten. Auch dass die Zahlen getrennt kommuniziert werden, finde ich schlimm. So werden die Geflüchteten aus der Ukraine separat aufgeführt. Da wird klar bevorzugt.

Gibt es Unterschiede zwischen den ukrainischen Geflüchteten und denen aus anderen Regionen?
Die Ukrainer*innen haben die Hoffnung, dass sie in absehbarer Zeit zurückgehen können. Ich merke das auch daran, dass sie oftmals eher zögerlich Deutsch lernen. In Unterentfelden (AG) wohnen aktuell 40 oder 50 Ukrainer*innen in der kantonalen Unterkunft. Von ihnen macht nur rund ein Drittel vom Sprachkursangebot Gebrauch.

Flüchtlinge aus anderen Ländern wollen dauerhaft in der Schweiz Fuss fassen. Welche Chancen haben sie?
Das Schweizer Asylgesetz baut hohe Hürden. Man muss beweisen, dass man in der Heimat verfolgt wird. Und durch das gängige Verfahren wird dies erschwert.

Wie sieht das Verfahren aus?
Es werden mit den Ankommenden zwei Interviews geführt. Mit dem Ziel, Widersprüche herauszufinden. Die findet man schnell, denn die Menschen kommen erschöpft an und das erste Interview wird gleich bei der Ankunft geführt. Sobald es irgendwelche Widersprüche gibt, ist das Spiel quasi aus. Im Übrigen kenne ich unter allen Geflüchteten solche, die gerne hierbleiben wollen, und solche, die gerne sobald wie möglich zurückkehren wollen.

Sie haben sich in einem anderen Interview als religionsmüde bezeichnet. Was meinen Sie damit?
Nicht nur die katholische, auch die reformierte Kirche ist zunehmend mit sich selbst beschäftigt. Das erlebt auch das Netzwerk Asyl. Wir werden von der reformierten Kirche kaum wahrgenommen. Einfach, weil wir nicht kirchlich sind. Im katholischen Offenen Pfarrhaus erfahren wir immerhin grosses Gastrecht. 

Die katholische Kirche hier ist offener?
Ja. Aber es ist dennoch eine Gratwanderung. Denn es gibt natürlich auch hier genügend Leute, die gerne unter sich sind. Vor acht Jahren mussten wir aufhören, hier Deutschunterricht anzubieten, weil einige Pfarreimitglieder fanden, es sei «zu schwarz» hier. Manche fanden schwarze Menschen unheimlich. Seither haben wir im Offenen Pfarrhaus nur noch das Einschreiben für die Deutschkurse.

Was wünschen Sie sich von der Schweiz in Sachen Flüchtlingspolitik?
Eine neue innere Einstellung gegenüber Asylsuchenden. Indem wir dafür danken, dass wir es hier viel besser haben als die Geflüchteten in ihren Herkunftsländern. Danken nicht nur in Worten, sondern auch mit einer echten Gastfreundschaft. Abwehr hat wohl ihre Zeit. Aber Zuwendung hat auch ihre Zeit. Jetzt ist die Zeit für Zuwendung. Schliesslich hat sich Gott uns zuerst zugewendet.

Interview: Annalena Müller, kath.ch/Red., 12.04.2023
 

Max Heimgartner (83)
Quelle: © Annalena Müller, kath.ch
Max Heimgartner (83) leitete nach dem Theologiestudium die Pfarrämter Frauenfeld und Gelterkinden. Seit seiner Pensionierung 2004 engagiert er sich auf vielfältige Weise für Geflüchtete in Aarau.

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