Über die Pflicht fachgerechter Aufbewahrung

Kirchgemeinden besitzen kostbare Kulturgüter. Diese müssen aber auch korrekt aufbewahrt werden, wie die katholische Kirchgemeinde Weinfelden kürzlich feststellen musste.

«Kirchgemeinden sind die Bewahrerinnen der kirchlichen Kunst», sagt Betty Sonnberger mit Nachdruck. Sie ist zuständig für die Abteilung Kirchliche Kunst der Denkmalpflege des Kantons Thurgau. «Die Verpflichtung für katholische Kirchgemeinden geht auf die Charta der Villa Vigoni zum Schutz der kirchlichen Kulturgüter aus dem Jahr 1994 zurück und ist der Mahnruf aus Rom, das kulturelle Erbe fachgerecht zu schützen», erklärt sie. Im Thurgau hat man diesen Ruf sehr ernst genommen. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil verschwanden die prunkvollen Messgewänder und Monstranzen aus dem Gottesdienst und wurden irgendwo aufbewahrt – im besten Fall. Umso wichtiger war es, diese Kirchenschätze in ein Inventar aufzunehmen. «Meines Wissens ist der Kanton Thurgau der einzige Kanton, der flächendeckend die kirchliche Kunst der evangelischen und katholischen Kirchgemeinden als ersten Schritt zur Bewahrung inventarisiert hat», erläutert Sonnberger. Sie muss es wissen, denn sie war fast von Anfang an dabei. Das Riesenprojekt startete im Frühling 1990 mit einem Projektleiter. Sonnberger wurde ab 1. März 1991 als studentische Hilfskraft eingestellt. Das Zweierteam besass als Ausrüstung einen damals raren Laptop sowie eine Digitalwaage. Alle liturgischen Geräte, Textilien, Altäre, Bilder, Statuen, das Mobiliar, die Glasmalerei sowie die Epitaphe – die Gedenktafeln für Verstorbene – wurden in Wort und Bild aufgenommen und beschrieben. Das Inventarisieren der Glocken und Orgeln wurde anderen Fachleuten überlassen. Im Juni 1999 wurde das Inventar den Kirchgemeinden im grossen Saal der Kartause Ittingen feierlich übergeben: je eine säurefreie Archivschachtel mit den Fotos und Dokumenten und das Inventar in Buchform, als Arbeitsinstrument in der Sakristei für den Mesmer. Dabei wurde farblich zwischen den Kirchgemeinden unterschieden: Das Inventarbuch für die reformierten Kirchgemeinden ist weinrot, dasjenige für die katholischen Kirchgemeinden blau.

Vertrag mit katholischer Landeskirche
Sonnbergers Auftrag war erfüllt, sie wurde entlassen – um kurz darauf wieder zurückgeholt zu werden, da ihr Know-how fehlte. Die Kirchgemeinden wollten Nachmeldungen ihres Inventars machen lassen. Am Ende resultierte aus diesem Bedürfnis heraus und der Weitsicht des damaligen Kirchenratspräsidenten Peter A. Plattner ein Vertrag über eine Zusammenarbeit zwischen der katholischen Landeskirche und dem Kanton. Nun konnte mit dem zweiten Schritt begonnen werden: der Aufbewahrung und Restaurierung. Betty Sonnberger kommt immer dann ins Spiel, wenn eine Kirche renoviert werden soll. «In diesem Fall ist es angebracht, unmittelbar davor das Inventar zu revidieren», erläutert sie. «Zu meinen Tätigkeiten gehört aber vor allem die Beratung. Durch Corona bin ich ziemlich in Rückstand geraten mit meinen Inspektionsbesuchen. Ich berate die Kirchgemeinden in allen Fragen der Aufbewahrung, Pflege, Konservierung und Restaurierung ihrer Kunst- und Kultgegenstände.» Sie sei wie ein Zahnrädchen, das in alles greife. Sie stelle die Verbindung her zwischen den Kirchgemeinden und Restaurierungsstätten, indem sie bei Bedarf Vorschläge mache, welche Firma in welchem Fall geeignet wäre. Oder sie gebe Auskunft beim Abschluss von Versicherungen, sei es für Hausrat oder Transport. 

Fachgerechte Aufbewahrung
Roger Häfner-Neubauer hat als Präsident der katholischen Kirchgemeinde Weinfelden erst kürzlich eine Revision des Inventars erlebt. Die Kirche St. Johannes wurde renoviert, ebenso die Sakristei (siehe forumKirche 18/2022, S. 6). «Während der Abklärungen rund um die Sakristei hat sich herausgestellt, dass die Wertsachen bis anhin nicht ganz fachgerecht gelagert worden waren. Beispielsweise müssen die kostbarsten Messgewänder aus der Anfangszeit unserer Kirche kurz nach 1900 in Schubladen liegend aufbewahrt werden. Eines dieser Gewänder ist sogar noch älter. Es stammt aus der Zeit um 1870, als es in Weinfelden eine paritätische Kirche gab», erzählt Häfner-Neubauer. «Leider haben die Gewänder bereits gelitten. Sie wurden auf Bügeln aufbewahrt und weisen deshalb Knicke auf.» 
Fachgerechte Aufbewahrung bedeutet in diesem Fall, dass es einen Schrank braucht mit Schubladen von 3,25 Metern Breite und 1,9 Metern Tiefe. Diese Schubladen bestehen aus einem Leichtmetallrahmen und sind mit Stoff bespannt. Sie stammen aus dem Museumsbereich und sind säure- und schadstofffrei. Für Weinfelden sind 15 solcher Schubladen nötig. Weitere Gewänder können weiterhin hängend aufbewahrt werden – allerdings auf gepolsterten Bügeln und mit einem Platzbedarf von 20 Zentimetern pro Gewand. Doch nicht nur der ausreichende Platz ist wichtig, sondern auch die klimatischen Verhältnisse: Ein geeigneter Aufbewahrungsraum benötigt eine durchschnittliche Temperatur von 17 Grad (+/- 5 Grad) sowie eine konstante Luftfeuchtigkeit von durchschnittlich 55 Prozent (+/- 5 Prozent). Auch die alten Kelche und Monstranzen bedürfen der fachgerechten Aufbewahrung: eines Tresors, der mit säurefreiem Stoff ausgestattet ist. Glücklicherweise kann die katholische Kirche Weinfelden auf einen solchen Tresor einer Thurgauer Bank zurückgreifen. 
Das kulturelle Erbe zu schützen, ist eine kostenintensive Aufgabe. Häfner-Neubauer zählt auf: «Die kantonale Denkmalpflege unterstützt die Unterbringung der kirchlichen Kunst im Untergeschoss der Sakristei mit 11'000 Franken. Dennoch sind weitere knapp 40'000 Franken erforderlich: Der Schrank allein kostet 30'000 Franken. Darüber hinaus benötigen wir ein Klimagerät, das die konstante Luftfeuchtigkeit und Raumtemperatur gewährleistet.» Deshalb habe der Kirchgemeinderat einen Spendenaufruf gemacht. Er habe den Stimmbürger*innen der Kirchgemeinde neben der Renovation der Kirche und der Sakristei nicht auch noch die Kosten für die fachgerechte Aufbewahrung der kirchlichen Kunst aufbürden wollen. Zu dessen grosser Freude sei das Geld bereits beisammen. – Bis Ende Jahr soll auch dieses Projekt abgeschlossen sein. Der Raum wird Interessierten auf Anfrage zugänglich gemacht.  

Museum als Möglichkeit
Einen Schritt weiter ist die katholische Pfarrei St. Stefan in Amriswil gegangen. Sie hat ihre kirchliche Kunst in den musealen Zusammenhang gestellt. Betty Sonnberger musste dem Kirchgemeinderat aufgrund ihres Inspektionsbesuchs einen Schaden melden: Der Holzwurm nagte an Statuen. Deshalb musste gehandelt werden. «Der Vizepräsident der Kirchgemeinde, Urs Hungerbühler, der zuständig ist für das Ressort Bauwesen, trug schon lange die Idee eines Museums mit sich herum mit all den Dingen, die in Nebenräumen der Kirche herumstanden oder im Turmzimmer verstaut waren», erzählt Sonnberger. Hungerbühler, der damalige Mesmer Giuseppe Palmisano und das Ehepaar Haubrich – Organist und Sekretärin der Kirchgemeinde – bildeten das Organisationskomitee Turmmuseum. Sonnberger sah sich deshalb mit folgenden Fragen konfrontiert: Was haben die Sachen überhaupt für eine Funktion? Was können wir machen, damit diese Gegenstände präsentiert werden können? Nur der geschlossene Raum im ersten Stock des Kirchturms stellte sich als geeignet heraus. Entsprechend wurde er renoviert und mit einer passenden Beleuchtung versehen (siehe forumKirche 15/2020, S. 12). Das Museum selbst präsentiert sich auf drei Stockwerken: «Im zweiten Stock sind einige Fastentücher aus den 1980er-Jahren ausgestellt, und im 3. Stock bei der Turmuhr befinden sich alte Krippenfiguren. Zuoberst sind die Glocken, die an einer Führung ebenfalls besichtigt werden können – ein eindrückliches Erlebnis», erklärt Kerstin Haubrich. Um den Besucher*innen einen sicheren Aufgang zu bieten, wurde ein Treppengeländer angebracht. Coronabedingt wurde das Museum erst am 28. August dieses Jahres im Rahmen einer Festmesse eingeweiht. Der Hauptraum im ersten Stock kann nach jeder Sonntagsmesse besichtigt werden. Der Glockenturm wird an projektbezogenen Anlässen geöffnet. Dazu besteht eine Zusammenarbeit mit dem Amriswiler Ortsmuseum. Vreni Aepli, ehrenamtliche Mitarbeiterin des Ortsmuseums, wird künftig Führungen im Turmmuseum übernehmen. Hungerbühler ergänzt: «Wer das Museum ausserhalb dieser Zeiten anschauen will, kann sich im Sekretariat der katholischen Kirchgemeinde Amriswil melden.» Angesprochen auf die Zeit von der Idee bis zur Einweihung des Turmmuseums, stellt Hungerbühler fest: «Das blaue Inventarbuch war sehr hilfreich fürs Zusammenstellen der Ausstellungsstücke. Zudem haben wir auf seiner Grundlage festgestellt, dass uns drei Gegenstände fehlen. Zwei haben wir wiedergefunden.»
Solche Aussagen freuen Sonnberger. Nach all den Jahren ist sie noch immer Feuer und Flamme für ihre Tätigkeit. So ist sie auch Ansprechperson in Notfällen: beispielsweise, wenn einem Ministranten ein Messkännchen aus dem 17. Jahrhundert aus der Hand gefallen ist und eine Delle eingefangen hat oder der Auferstandene vom obersten Regal heruntergestürzt ist und dabei einen Arm verloren hat. «Ich bin froh, wenn die Leute anrufen in solchen Fällen, damit nicht ein Mesmer auf die Idee kommt, den Arm mit viel Araldit aus dem Baumarkt anzukleben», sagt Sonnberger und schmunzelt.

Béatrice Eigenmann, forumKirche, 20.10.2022
 

 

Messgewand aus dem Inventar der Kirche Weinfelden
Quelle: Roger Häfner-Neubauer
Das kostbare Messgewand aus dem Inventar der Kirche Weinfelden, entstanden um 1900, hat durch das Hängen Knicke erhalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Turmmuseum der Kirche St. Stefan in Amriswil
Quelle: Detlef Kissner
Blick ins Turmmuseum der Kirche St. Stefan in Amriswil

Kommentare

+

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.