Das ökumenische Projekt Notschlafstelle

In Weinfelden hat Gemeindeleiter Armin Ruf die erste offizielle Thurgauer Notschlafstelle ins Leben gerufen. Diese finanziert er momentan noch in Eigenregie, denn durch die Corona-Krise verzögert sich die Gründung eines tragenden kirchlichen Vereins. Doch die Krise zeigt auch etwas Anderes: Dass eine kantonale Notschlafstelle in diesen Zeiten mehr denn je vonnöten ist. 

«Ich fand es schlimm, Menschen abweisen zu müssen, die an die Pfarrtüre klopften und um eine Übernachtungsmöglichkeit baten. Deshalb wollte ich etwas tun». So erklärt Armin Ruf, Gemeindeleiter von Weinfelden, seine Motivation, die erste offizielle Notschlafstelle im Thurgau zu schaffen. Der Stein sei schon ein Jahr zuvor ins Rollen gekommen, als Caritas Thurgau einen runden Tisch organisierte und dazu kirchliche Vertreter einlud, die Idee einer kantonalen Notschlafstelle weiterzudenken. Armin Ruf machte sich daraufhin auf die Suche nach einem passenden Objekt in Weinfelden und wurde fündig. «Dass mir diese Wohnung an einer solch zentralen und gut vernetzten Lage angeboten wurde, war ein Glücksfall», sagt er. Sie liegt an der Pestalozzistrasse, direkt schräg gegenüber vom Bahnhofsgebäude und kann fünf Personen auf zwei Etagen beherbergen. Dabei sind im ersten Stock zwei möblierte Einzelzimmer für Menschen vorgesehen, die nur eine Nacht eine Bleibe benötigen und im Dachstock befinden sich drei Zimmer als Notwohnungen für längerfristige Aufenthalte zwischen drei Wochen und drei Monaten. Zudem bietet die Wohnung eine Waschküche, einen grossen Aufenthaltsraum und je eine Küche sowie ein Badezimmer auf jedem Geschoss. Eine Nacht in der Notunterkunft kostet 10 Franken, für die Wohnungen zahlt man inklusive Nebenkosten 400 Franken im Monat. 

Keine Betreuungseinrichtung 
Die Notschlafstelle soll denjenigen eine Brücke sein die – selbstverschuldet oder nicht – «durch alle Raster gefallen sind», wie Armin Ruf betont. Damit gemeint sind Wanderarbeiter und Obdachlose, aber auch Menschen, die eine Therapie hinter sich haben oder aus verschiedenen Gründen ihre Wohnung aufgeben mussten und noch nichts Neues finden konnten. «Fast alle wollen ihr Leben grundsätzlich neugestalten, benötigen dazu aber eine Übergangslösung», führt Armin Ruf aus. Die Voraussetzung, um an der Pestalozzistrasse übernachten zu können, sei deshalb, dass man alleine zurechtkomme. «Wir nehmen niemanden mit psychischen Erkrankungen oder einem aktuellen Suchtproblem auf, denn wir bieten nur eine Wohnung an und sind keine Betreuungseinrichtung», erklärt der Gemeindeleiter. Bisher seien die Rückmeldungen nur positiv gewesen. Der Vermieter unterstütze das Projekt, es gebe keine Klagen der Nachbarn und auch unter den Mitbewohnern keinerlei Stresssituationen. 

Rege Beteiligung gefordert 
Trotz der guten Resonanz stehe man derzeit vor grossen Herausforderungen. Einerseits aufgrund der Finanzierung der Miete und der wöchentlichen Reinigungskosten der beiden kurzfristigen Unterkünfte. Denn im Moment ist das Projekt immer noch Armin Rufs private Initiative und wird von den Pfarreien in Weinfelden und Bischofszell finanziell mitgetragen und von den Sozialdiakonen aus Frauenfeld, Romanshorn und Sirnach inhaltlich begleitet. «Die ursprüngliche Idee war, bis Ostern einen ökumenischen Verein zu gründen, der das Ganze finanziell stemmt. Dazu sollten alle Pfarrämter im Thurgau angefragt werden, ob sie beitreten und sich mit einem Jahresbeitrag beteiligen wollen. Durch die Corona-Krise verzögert sich nun jedoch alles», erklärt Armin Ruf. Zwar würden schon alle fünf Weinfelder Kirchen hinter dem Konzept stehen, damit dieses tatsächlich funktioniere, müssten aber möglichst viele Thurgauer Kirchgemeinden mitmachen. Der Bedarf sei bei allen ähnlich und unbestritten, weshalb auch schon vorher einige Pfarreien über einzelne Zimmer verfügt hätten, so wie Romanshorn, Sirnach oder Frauenfeld. Gerade dort wie auch in Arbon, Kreuzlingen und Amriswil gebe es sicher noch mehr solcher Objekte wie dasjenige in Weinfelden, ist Armin Ruf überzeugt. Doch im Normalfall würde das Haus in Weinfelden als zentrale Einrichtung genügen, um den gesamten Kanton abzudecken. 

Lösungen suchen 
Der Normalfall ist aber momentan ausser Kraft gesetzt. Denn gerade jetzt in dieser schwierigen Phase, in der noch keine Struktur geschaffen wurde, sei die Nachfrage immens gestiegen. Die aktuelle Lage hat die kommunale Unterbringungssituation im Kanton verschärft, was direkte Auswirkungen auf die Notschlafstelle hat. «Ich bekomme täglich mindestens zwei Anfragen von behördlichen Einrichtungen, die ihre Klient*innen privat nicht mehr unterbringen können. Momentan sind sämtliche Zimmer belegt – ausnahmslos mit Männern, was aber nur ein Zufall und nicht gewollt ist. Alle sind gesund und manche auch schon vorher auf Covid-19 getestet worden», sagt Armin Ruf. Dass er niemanden mehr aufnehmen könne, beunruhige ihn, denn gerade jetzt gebe es viele, die Unterstützung benötigten. Zusammen mit den Stadtverwaltungen im Kanton will er nach neuen Lösungen suchen. Auf die Frage, warum er sich so engagiere, lächelt er. «Als Kirche müssen wir für Menschen da sein, die unkompliziert und unbürokratisch Hilfe benötigen. Das ist der Sinn der Diakonie. Ich halte nichts davon, dass wir das Evangelium nur in der Liturgie und der Verkündigung predigen und nicht praktisch umsetzen. Am Ende sind wir immer nur so glaubwürdig, wie die Worte in unserem Alltag Widerhall finden.» 

Sarah Stutte (14.4.20)
 

Armin Ruf im Aufenthaltsraum der Notschlafstelle
Armin Ruf im Aufenthaltsraum der Notschlafstelle in Weinfelden, die helfen soll, die kommunalen Einrichtungen zu entlasten.
Zimmer
Das Zimmer eines derzeitigen Bewohners. 
Selbst das Ersatzzimmer hinter dem Aufenthaltsraum musste nun zum Notzimmer umfunktioniert werden. 
Küche
Die Küche im 1. Stock. 

Bilder: Sarah Stutte

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