Zwinglis Entwicklung zum «Veränderer»

Als Huldrych Zwingli am 1. Januar 1519 sein Amt als Priester in Zürich antrat und zum ersten Mal im Grossmünster predigte, tat er dies gleich mit einem Paukenschlag. Er brach mit der herkömmlichen Predigttradition, die sich auf liturgische Bibeltexte und auf die Heiligen des jeweiligen Sonntags konzentrierte und begann, das Matthäusevangelium fortlaufend auszulegen. Der Bruch mit Traditionen blieb Programm: In den zwölf Jahren von Zwinglis Tätigkeit in Zürich blieb kaum ein Stein auf dem anderen.

HISTORIE

Ein Bauernsohn aus dem Toggenburg predigt gegen den Solddienst.

Ulrich Zwingli (er selber nannte sich später Huldrych), 1484 geboren in Wildhaus, genoss eine gute Schulbildung und wurde nach dem Studium in Wien und Basel zum Priester geweiht. Seine erste Stelle trat er im Alter von 23 Jahren in Glarus an und amtete dort als romtreuer Volkspriester. 1515 begleitete er als Feldprediger der Glarner das päpstliche Heer, das bei Marignano eine blutige Niederlage erlitt. Die Erfahrungen, die Zwingli im Krieg gemacht hatte, liessen ihn zum entschiedenen Gegner jeglichen Solddienstes werden und er verliess den Ort Richtung Einsiedeln. In den gut zwei Jahren, in denen Zwingli im Kloster- und Wallfahrtsort arbeitete, trat der politische Charakter seiner Tätigkeit, der vorher stark bestimmend war, zurück und stattdessen stand die kirchliche Tätigkeit und auch persönliche und wissenschaftliche Studien im Vordergrund. Er lernte Griechisch und stand in geistigem Austausch mit dem berühmten Humanisten Erasmus von Rotterdam. Neben seiner Gelehrsamkeit war es sein Ruf als Solddienstgegner, der die Zürcher auf Zwingli aufmerksam machen liess und ihm die frei werdende Leutpriesterstelle im Grossmünster bescherte.

THEOLOGIE

Zwingli stellt die Bibel wieder in den Mittelpunkt des christlichen Lebens.

Zwingli wurde durch die Lektüre von Schriften des Erasmus nachhaltig beeinflusst. Dessen Betonung der stark ethisch geprägten, persönlichen Christusnachfolge beeindruckte Zwingli. Als Humanist wandte der Toggenburger sich auch den Quellen zu, lernte neben Griechisch auch noch Hebräisch und las die Bibel in den Ursprachen. Wann er zum Reformator wurde, wird in der Forschung viel diskutiert. In späteren Zeugnissen sagte Zwingli von sich selber, dass er schon ab 1516 das «Evangelium» gepredigt habe. Damit meinte er eine eindeutige Hinwendung zur Bibel, zum «sola scriptura» (allein die Schrift). Deshalb war es konsequent, dass Zwingli sich später vehement gegen den Ablass und die Heiligenverehrung einsetzte, also gegen Bräuche, die aus seiner Sicht keine biblische Grundlage hatten. Zwinglis Ziel: Das Angesicht Christi, welches das reine Angesicht des gütigen und gnädigen Gottes ist, soll wieder sichtbar werden, indem es von menschlich-religiösen Verunstaltungen gereinigt wird. Zwinglis Leitspruch stand deshalb passend in Matthäus 11,28: Kommt alle her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe geben.

WIRKUNGSGESCHICHTE

Zwingli ist ein Pionier des Protestantismus.

Zwinglis Ausstrahlung auf Europa und den weltweiten Protestantismus ist erheblich, obwohl seine theologische Nachwirkung im Vergleich mit denjenigen Luthers oder Calvins gering erscheint. Viele Zeitgenossen haben ihn als theologischen Vater und Lehrer bezeichnet. Dazu gehören unter anderen der Basler Reformator Johannes Oekolampad, Wolfgang Capito und Martin Bucer aus Strassburg und nicht zuletzt Heinrich Bullinger, der als Zwinglis Nachfolger die Geschicke der Zürcher Kirche über 40 Jahre leitete und mit seiner umfangreichen Korrespondenz die Zwinglische Reformation in ganz Europa verbreitete. Die Impulse der Zwinglischen Reformation auf das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben der protestantischen Schweiz sind so zahlreich, dass ihre vollständige Erwähnung den vorliegenden Rahmen sprengen würde. Die reformierte Landeskirche des Kantons Zürich beruft sich beispielsweise direkt auf das Erbe Zwinglis und Bullingers und auch die evangelische Landeskirche Thurgau weiss sich in ihrer Kirchenordnung der Reformation verbunden.

Judith Engler/Red. (14.5.19)


Hier und heute: Zwinglis Anliegen ist heute noch essenziell, schreibt Peter Opitz, Professor für Kirchengeschichte:
«Sie werden lachen – die Bibel», hat einst der Schriftsteller Bertolt Brecht auf die Frage geantwortet, welches in seinen Augen das wichtigste Buch der Weltliteratur sei. Genau dieses wichtigste Buch der Weltliteratur bildet den Ausgangspunkt der Reformation Zwinglis. Nicht, als ob dieses Buch vor Zwingli völlig unbekannt gewesen wäre. Im späten Mittelalter war es allerdings von der Kirche und ihren Bischöfen gleichsam in Schutzhaft genommen worden: Bibeltexte wurden im Gottesdienst gelesen und gesungen, aber auf Latein, das niemand verstand. Schon 1516 hat Zwingli dieses Bibelbuch ganz neu entdeckt, nicht als Textbuch der Kirche, und auch nicht als Zeugnis einer fremden Religionsgeschichte, sondern als Medium, durch das Gott selber ihn anredete, ja mit allen Menschen zu ihrem Besten ins Gespräch kommen wollte. Diese Einsicht wollte er teilen, mit allen Menschen in der Eidgenossenschaft. Die Frage, ob Reformation noch aktuell ist, ist die Frage, ob ein redender Gott noch aktuell ist, und damit auch, ob es so etwas wie «christliche Kirche» überhaupt gibt.


Serie zum Zwingli-Jahr
In dieser und den nächsten beiden Ausgaben erscheinen drei Beiträge zum Zwingli-Jahr, die im Rahmen eines Jahresschwerpunktes bereits im Kirchenboten der evangelischen Landeskirche Thurgau erschienen sind (siehe auch www.kirchenbote-tg.ch/themen/zuercher-reformation/) und forumKirche zur Verfügung gestellt wurden. Dem Team des Kirchenboten sei dafür herzlich gedankt.


 

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Illustration: Vida Sprenger
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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