Wenn Krisen den Glauben ins Wanken bringen – oder stärken

Giada Alberighi ist 15 Jahre alt und besucht die 2. Klasse des naturwissenschaftlichen Profils der Kantonsschule Schaffhausen. In ihrer Freizeit spielt sie gerne Klavier. Im Interview mit Kirche ohne Grenzen erzählt sie, wie aus ihrer Perspektive das Thema Religion und Glaube in Krisenzeiten sichtbar wird. 

Warum suchen viele Menschen erst in Krisen­zeiten den Glauben  ?
In Krisen fühlen sich viele Menschen hilflos. Wenn Krankheit, Verlust oder Krieg das Leben erschüttern, merkt man schnell, dass man nicht alles selbst in der Hand hat. Genau dann wächst das Bedürfnis nach etwas Grösserem, das Halt gibt. Der Glaube wird für viele zu einem Anker. Er schenkt Hoffnung, wenn man selbst keine Lösung mehr sieht. Auch das Gefühl, nicht allein zu sein, sondern getragen zu werden, ist wichtig. Manche sagen sogar, sie hätten Gott erst gespürt, als sie am Boden zerstört gewesen seien. In normalen Zeiten denkt man weniger darüber nach, aber sobald eine Krise kommt, zeigt sich, wie zerbrechlich das Leben ist, und dann suchen viele nach dem Glauben.

Welche Rolle spielt die Kirche heute noch als Ort der Hoffnung  ?
Die Kirche kann ein Zufluchtsort sein, das ist einerseits ganz praktisch. Kirchen sind Orte der Stille, wo man einfach sitzen, nach­denken oder eine Kerze anzünden kann. Viele spüren dort Ruhe, auch wenn sie selten hingehen. Andererseits ist da die Gemein­schaft. In Gottesdiensten, bei Beerdigungen oder Hilfsaktionen erleben Menschen, dass sie nicht allein sind. Auch Rituale wie Gebete oder Lieder geben Struktur und Trost. Dazu kommt die konkrete Hilfe in Form von Seelsorge, Kranken­haus­besuchen oder Unter­stützung für Bedürftige. All das macht die Kirche für viele zu einem Ort der Hoffnung, auch wenn die Kirche im Alltag kaum eine Rolle spielt.

Verändert eine Krise den Glauben lang­fristig oder nur kurzfristig  ?
Das ist unterschiedlich. Manche erleben in einer Krise einen Wendepunkt, durch den ihr Glaube dauerhaft gestärkt wird. Andere wenden sich nur vorüber­gehend an Gott und gehen danach wieder auf Abstand, behalten aber oft eine Art Dank­barkeit zurück. Es gibt aber auch die andere Seite : Manche zweifeln mehr als je zuvor und fragen sich, warum Gott Leid zulässt. Krisen verstärken dort also das bereits bestehende Leid. Sie können den Glauben vertiefen oder ins Wanken bringen, doch es kommt immer zu Veränderungen.

Wie könnte die Kirche Menschen besser auffangen  ?
Viele fühlen sich von der Kirche abgehängt, weil sie zu streng oder unnahbar wirkt. Um Menschen wirklich zu erreichen, müsste sie mehr zuhören und offene Räume schaffen, wo man ohne Druck reden darf. Auch digitale Angebote wären wichtig, da viele Jüngere eher online nach Hilfe suchen. Vor allem aber sollte die Kirche nicht nur reden, sondern handeln und für Arme, Geflüchtete, Kranke oder Trauernde da sein. Wenn die Kirche Nähe, Wärme und konkrete Hilfe verbindet, kann sie auch heute ein sicherer Hafen sein.

Gibt es Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Menschen in Bezug zur Kirche  ?
Ja, ältere Personen sind oft religiöser geprägt, da Kirche früher eine Selbst­ver­ständ­lichkeit war. Sie finden Trost in vertrauten Ritualen wie Gebeten oder Messen. Jüngere Menschen sind dagegen weniger mit der Kirche verbunden, suchen aber ebenfalls nach Sinn, beispiels­weise in Meditation, Musik, der Natur oder Gemein­schafts­projekten. Letztendlich wollen beide Gruppen Halt finden, nur auf unterschiedliche Weise.

Werden Krisen wie Krieg, Klimawandel oder Wirt­schaftskrise den Glauben wichtiger machen  ?
Das kann gut sein. Je unsicherer die Welt wird, desto stärker wird der Wunsch nach Orien­tierung. Im Krieg wenden sich viele Menschen an Gott, in der Klima­krise suchen sie Hoffnung und Mut und in wirtschaft­licher Not Sinn, der über Geld hinausgeht. Doch nicht alle kehren zur Kirche zurück. Viele suchen neue Formen von Spiritualität oder entwickeln ihren eigenen Glauben. Eines ist klar : Je schwieriger die Zeiten, desto grösser die Sehnsucht nach Hoffnung und nach etwas, das Menschen bewegt.

Interview & Übersetzung : Filmon Kidane, 22.09.2025


Tigrinischer Text
Quelle: zVg
Tigrinische Übersetzung
Kerzen in der Kirche
Quelle: freepik
Inmitten einer Krise kann der Glaube Hoffnung vermitteln.

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