Impulse zur Kirchenentwicklung

Der Freiburger Moraltheologe Daniel Bogner (50) fordert in der Fachzeitschrift Herder Korrespondenz «kalkulierte Grenzverletzungen». Der Würzburger Fundamentaltheologe Matthias Reményi (52) prophezeit in Kirche und Leben, dass Regelbrüche für Reformen unvermeidbar sind. Er ruft Kirchenreformer*innen auf, sich an Klima-Klebern zu orientieren.

Laut Daniel Bogner stellt «die monarchistische Kirchenverfassung» ein strukturelles Dilemma dar. Aus der bischöflichen Souveränität – dem königsähnlichen Status der Bischöfe innerhalb der Kirchenordnung – ergibt sich, dass Synodalität vor allem «Haltung und Einstellung sei, ohne dass damit institutionelle Konsequenzen verbunden wären». Die monarchistische Kirchenstruktur führt laut Bogner dazu, dass institutionelle Konsequenzen von Reformvorhaben meist ausblieben. Der Abschluss des deutschen Synodalen Weges sei ein Beispiel hierfür. Dieser «gleicht einer Tragödie mit Ansage». Das Problem: Jede institutionelle Reform benötigt die Zustimmung des höchsten Bischofs. Und Rom antwortet den deutschen Reformern konsequent abschlägig. Ein römisches Nein kam zur Laienpredigt, zur Segnung homosexueller Paare und zum Frauendiakonat. Letzteres war schon ein Anliegen der Würzburger Synode (1971–75) und ihrem Schweizer Pendant, der Synode 72

Zurück auf Los
Die römischen Neins führen dazu, dass die Spielfiguren der Reformbefürworter*innen wieder zurück auf Los geschickt werden. Also dorthin, wo sie angefangen haben. Angefangen haben sie aber nicht erst 2021. Viele der Themen des deutschen Synodalen Weges und des Schweizer synodalen Prozesses werden bereits seit dem Zweiten Vatikanum diskutiert. Sie sind ein halbes Jahrhundert alt. Entsprechend attestiert Bogner den Reform-Bischöfen lediglich einen «Mut mit angezogener Handbremse». Und er findet es wenig verwunderlich, dass die deutschen Reformvorschläge «ausserhalb der katholischen Binnenwelt nicht als Schritt nach vorne wahrgenommen» werden. Damit die Reform der Kirche nicht ein unendliches «Eile mit Weile»-Spiel wird, in dem sich am Ende alle im immer gleichen Kreis drehen, sieht Bogner nur einen Weg zur echten Erneuerung: Die Bischöfe müssen kalkulierte Grenzverletzungen begehen. Man könnte auch sagen: Sie müssen die Handbremse lösen und einfach machen.

Segensreiche Regelbrüche
Auch der Würzburger Fundamentaltheologe Matthias Reményi glaubt, dass Veränderung nur mittels kalkulierter, wohl platzierter Regelbrüche erreicht werden kann. In einem Gastkommentar für das Online-Portal Kirche und Leben schreibt er: «Wir brauchen Regelbrüche, damit Neues in der Kirche entstehen kann. Aktionen wie «#OutInChurch» oder «Liebe gewinnt», aber auch Laien- und vor allem Frauenpredigten sowie ökumenische Mahlfeiern sind solche Regelbrüche, aus denen Segen erwächst.»
Reményi ist überzeugt, dass veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu einer Veränderung der kirchlichen Praxis führen. Der Theologe spricht vom Theorie-Praxis-Zirkel. Damit meint Reményi, dass eine «amtskirchliche Normsetzung» erst formuliert wird, nachdem die gesellschaftliche Praxis bereits etabliert ist. Beide Theologen fordern von Kirchenreformer*innen – auf unterschiedliche Art –, neue Praxen zu etablieren. Dies in der Hoffnung, dass die Amtskirche dann nachziehen wird. Wo Bogner abstrakt von «kalkulierter Grenzverletzung» spricht, verweist Reményi auf konkrete Vorbilder.

Von Klima- zu Kirchen-Klebern?
Für Reményi hat der zivile Ungehorsam der Klima-Aktivisten Vorbildcharakter. Diese begingen punktuelle, kalkulierte Regelbrüche. Ihre Motivation sei aber nicht die Zerstörung von Recht, sondern gerade dessen Wiederherstellung angesichts grosser Missstände. Genau das brauche es auch in der Kirche, findet Reményi. Die Aufsätze der beiden Theologen sind zeitnah, aber unabhängig voneinander erschienen. Gerade deshalb ist ihr Konsens interessant. Bogner und Reményi sind überzeugt: ohne kalkulierte Regelbrüche keine Veränderung. Personell zugespitzt, könnte man sagen: ohne Monika Schmids überall nur Georg Gänsweins. Auf Fotos von Felix Gmür und Georg Bätzing, die sich aus Protest gegen Rom vor ihre Kathedralen in Solothurn und Limburg kleben, wird man wohl vergebens warten. Aber vielleicht funktioniert der Theorie-Praxis-Zirkel ja auch umgekehrt: Theologen ermutigen schriftlich und Bischöfe wagen den kalkulierten Regelbruch.

Annalena Müller/kath.ch, 07.06.2023
 

Freiburger Moraltheologe Daniel Bogner
Quelle: Walter Ludin
Fordert «kalkulierte Grenzverletzungen» für Reformen: der Freiburger Moraltheologe Daniel Bogner

Kommentare

+

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.