Theologin Isabella Bruckner zum Sinn des Betens

Für ihre Doktorarbeit über das Gebet erhielt die junge Theologin Isabella Bruckner 2023 den renommierten «Karl-Rahner-Preis». Gleichzeitig erhielt sie ihre erste Professorenstelle in Rom. Im Interview erzählt sie von ihren Erkenntnissen.

Wie erleben Sie die Atmosphäre an der Benediktinerhochschule Sant'Anselmo?
Die Gemeinschaft hier ist sehr interkulturell. Klöster aus der ganzen Welt schicken ihre Nonnen und Mönche hierher. Laien hingegen gibt es nur wenige - das ist ein ganz wesentlicher Unterschied zur Schweiz. Hier in Sant'Anselmo kommen die Studierenden oft noch aus einer ungebrochen religiösen Umgebung. Ich hingegen bin es gewohnt, dass mein Gesprächspartner nicht mehr religiös geprägt ist. Für die Studierenden ist es daher manchmal überraschend, wie ich meine Fragen stelle.

Worin besteht Ihre konkrete Aufgabe hier in Rom?
Mir ist es ein Anliegen, traditionelle Begriffe in ihrer Bedeutung für den Menschen heute zu beleuchten. Der Begriff der Freundschaft spielt zum Beispiel im Mittelalter eine zentrale Rolle. Schon Thomas von Aquin verwendet ihn, um die Beziehung zwischen Gott und Mensch zu denken. Der Begriff ist auch in der Philosophie der Gegenwart wichtig, etwa bei Denkern wie Hannah Arendt oder Jacques Derrida. Unsere christliche Tradition bietet da ein grosses Potenzial, das wir auch anderen wieder anbieten können. Und ich möchte schauen, wo sich da Gesprächsmöglichkeiten mit zeitgenössischen Vorstellungen bieten.

Wie hat das Christentum den antiken Begriff der Freundschaft übernommen?
In der Antike wurde Freundschaft in einer Gruppe von Gleichrangigen gepflegt. Im Christentum aber konnte man plötzlich mit jedem und jeder befreundet sein, man musste weder derselben Gruppe noch demselben Geschlecht angehören. In Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeigt sich eine unerhörte Freiheit: Für uns ist das Verhalten des Samariters heute selbstverständlich, aber damals widersprach das allen Regeln! Der Samariter hält inne, weil es ihn «im Innersten traf». Das Erbarmen hat ja biblisch mit dem innerlich Angerührt-Werden zu tun. Dieses Sich-berühren-Lassen ist auch eine Art Geschenk.

In Ihrer Dissertation haben Sie sich auch intensiv mit dem Gebet beschäftigt.
Gebet und Stille können eben Momente sein, in denen ich innehalte und dieser Berührbarkeit Raum gebe. Wir fragen ja oft: «Hilft das Gebet oder hilft es nicht?» Aber vielleicht ist das schon die falsche Frage. Das Gebet ist zu nichts nütze. Es geht nicht so sehr darum, was man erreicht, sondern um die Tätigkeit des Betens selbst. Es geht darum, anzuerkennen, dass wir nicht alles aus uns selbst haben. Unabhängig davon, ob wir das Ersehnte auch bekommen: Schon das Versprachlichen unserer Wünsche hilft! Das Sprechen, aber auch Gesten wie das Anzünden von Kerzen, das sind Prozesse, in denen wir lernen, besser mit unseren Gefühlen umzugehen, sie fassbar zu machen. Gebet und Liturgie öffnen Räume, wo der Mensch von sich selbst wegkommt und so offen wird für das Andere oder den Anderen.

So, dass das Gebet uns hilft, uns aus unseren Abhängigkeiten zu befreien?
Das Element des Glaubens verlangt immer eine gewisse Öffnung. Wenn es mir schlecht geht und ich einen Lobpsalm bete, dann komme ich vielleicht zu einer anderen Sicht der Dinge, die mich von meinen eigenen Vorstellungen befreit. Letztlich geht es um das Zulassen eines Anderen, den ich nie ganz durchschauen kann. Das ist ja auch in jeder menschlichen Beziehung so: Man versucht, dem Anderen Platz zu machen. Erst durch das Eingestehen unserer Schwäche schenkt sich das grosse Glück der Liebe: erfahren zu dürfen, dass mich ein Anderer gerade in dieser Schwäche annimmt und bejaht. Im Gebet können wir unsere Ohnmacht zum Ausdruck bringen. Und das ist in gewisser Weise schon eine Befreiung, wenn man nicht mehr stumm leidet oder gar die eigenen Gefühle verdrängt.

Interview: Klaus Gasperi, forumKirche, 24.01.2024


Benediktinerhochschule Sant'Anselmo
Auf dem Aventin in Rom befindet sich die Hochschule Sant'Anselmo, an der Benediktiner*innen aus der ganzen Welt studieren. Die Hochschule widmet sich vor allem den Themen Liturgie, Spiritualität und Ordensgeschichte. Die Hochschule wird von der in Luzern beheimateten Stiftung Foundation Benedict in der Finanzierung der Lehre und bei der Erhaltung der Gebäude unterstützt. Im Jahr 2023 förderte die katholische Landeskirche Thurgau Sant'Anselmo mit einem Betrag von CHF 20'000 für den Einbau barrierefreier sanitärer Anlagen.
 

Theologin Isabella Bruckner
Quelle: Klaus Gasperi
«Wenn man seine Gefühle im Gebet ausdrückt, ist das eine Art Befreiung», meint die Theologin Isabella Bruckner (31).

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