Einblick in die Psychiatrie-Seelsorge

Matthias Loretan ist an zwei Orten als Spezialseelsorger tätig: im Psychiatriezentrum Breitenau in Schaffhausen und im Kantonalgefängnis in Frauenfeld. 

Die Kräfte und Ressourcen eines Menschen mobilisieren und stärken. Diese Aufgabe war Matthias Loretan bereits als Gemeindeleiter ein Anliegen. Und mit diesem Anspruch wirkt er nun als Seelsorger in der Psychiatrie. Die Patient*innen dort wissen, dass sie mit dem Seelsorger über persönliche Angelegenheiten sprechen können, die nicht in ihren Akten festgehalten werden. «Dieser Schonraum der seelsorgerlichen Kommunikation schafft Vertrauen», sagt Loretan. Leute mit gebrochenen Kirchenerfahrungen meiden zuerst den Kontakt, fänden dann aber oft einen anderen Draht zum Seelsorger. 
Seit 2019 ist Matthias Loretan für zwei Tage im Psychiatriezentrum Breitenau als Seelsorger für eine Akutabteilung und für zwei Langzeitabteilungen zuständig. Während die Patient*innen in der Akutabteilung im Durchschnitt drei Wochen bleiben, sind jene in der Langzeitabteilung auf unabsehbare Zeit dort. «Jeweils am Montagmorgen werde ich in der Informationsrunde der Akutstation vorgestellt. So wissen die Leute, dass sie sich die nächsten zwei Tage bei Bedarf melden können», sagt Loretan. Während der Inforunde meldet sich in der Regel allerdings kaum jemand, da sich niemand exponieren will. Die Kontakte kommen vor allem durch die aufsuchende Seelsorge zustande und erstrecken sich dann über mehrere Begegnungen. 

Von der Leber weg reden

Bei den Gesprächen geht es selten um explizit religiöse Themen. Loretan sagt dazu: «Viele haben ein hautnahes Problem, etwas, das sie unmittelbar beschäftigt. Andere möchten ihre Erkrankung in einem grösseren biographischen oder existenziellen Zusammenhang besprechen.» Die Menschen schätzen die Gelegenheit, von der Leber weg zu reden. Von den Patient*innen weiss Loretan in der Regel nur das, was sie ihm mitteilen. «Ich habe keinen Einblick in ihre Dossiers, und das ist auch gut so», sagt er. Am Ende eines Gesprächs kann es dann zuweilen doch noch explizit religiös werden, etwa wenn Patient*innen ein Gebet oder einen Segen wünschen. Ein Ritual kann helfen, die religiösen Ressourcen zu stärken oder das Ergebnis eines Gesprächs zu festigen. Den Respekt gegenüber den Patient*innen fasst Loretan im Motto zusammen: «Im seelsorgerlichen Gespräch will ich das Gefäss tief halten, damit das Wasser fliessen kann. Die Seelsorge nimmt ihre professionelle Aufgabe dienend wahr. Sie unterstütz Patient*innen, eigene Lösungen für persönliche und existenzielle Fragen zu finden. 

Lücke für Seelsorge offenhalten

Für Loretan ist es wichtig, dass er als Seelsorger nicht missioniert. Er würde sonst die Not des Gegenübers für fremde Zwecke missbrauchen. Auch sollte sich Seelsorger*innen bewusst bleiben, dass sie eine professionelle Rolle einnehmen. Sie würden sich heillos überfordern, wenn sie zum Beispiel mit allen Patient*innen Freundschaften pflegen wollten. Sie können diese nur unterstützen, selbst ein tragfähiges Beziehungsnetz aufzubauen und zu pflegen. 
Auf die Frage, was wohl ohne Seelsorge in der Psychiatrie fehlen würde, antwortet Loretan überraschend: «Zuerst einmal gar nicht so viel.» Denn auch die Pflegenden greifen in Gesprächen mit Patient*innen existenzielle und religiöse Fragen auf. Durch den Stil der Körperpflege können sie zudem emphatisch und vertrauensbildend auf die Patient*innen wirken, also handfeste Spiritual Care leisten. Allerdings spürt gerade das Pflegepersonal den Kostendruck im Gesundheitswesen besonders stark. Seelsorgende leiden darunter weniger, weil sie ihre Dienste nicht abrechnen müssen. «Durch finanzielle Unterstützung leisten die Landeskirchen einen wichtigen Beitrag, dass Anliegen besprochen werden können, die sonst nicht zur Sprache kämen.» 

Claudia Koch, forumKirche, 22.6.21


Personal in der Spezialseelsorge

Im Thurgau sind derzeit fünf Theolog*innen in der Spitalseelsorge tätig. Die Seelsorge in den Kantonspitälern wird finanziell von der Spital Thurgau AG getragen. Die Kosten für die 120 Stellenprozente in den Privatkliniken Zihlschlacht und Littenheid teilen sich die Einrichtungen etwa zur Hälfte mit der Landeskirche Thurgau. Im Bereich Asylwesen wird in Kürze ein*e Seelsorger*in mit 50 Stellenprozenten beginnen. In der Seelsorge für Menschen mit Beeinträchtigung ist geplant, eine 40-Prozent-Stelle zu besetzen. Das Deputat für die Gefängnisseelsorge, das durch den Kanton finanziert wird, beträgt 10 Prozent.
Die katholische Landeskirche Schaffhausen hat derzeit zwei Seelsorger beauftragt, Kranke in Spitälern (120 Prozente) und Inhaftierte (10 Prozent) zu begleiten.

Matthias Loretan
Quelle: Claudia Koch
Auch für die Inhaftierten im Kantonalgefängnis in Frauenfeld hat Matthias Loretan als Seelsorger ein offenes Ohr.

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