Über Bestattungen in Friedwäldern

Gut 20 Jahre ist es her, seit die erste Friedwaldbestattung – damals in Mammern am Untersee – stattfand. Während in Deutschland der Wald für viele zunehmend eine Alternative zum herkömmlichen Friedhof darstellt, wächst in der Schweiz das Interesse an dieser Beisetzungsform eher moderat. Ueli Sauter, «Vater» der Friedwaldidee, beschreibt die Entwicklungen und erzählt, was Menschen dazu bewegt, sich unter einem Baum bestatten zu lassen.

Auf dem Streifzug durch das kleine Waldstück oberhalb von Ermatingen fällt einem kaum auf, dass man sich an einem besonderen Ort befindet. Erst beim genauen Hinschauen entdeckt man die zweistelligen Buchstabencodes, die auf den grösseren Bäumen aufgemalt sind und sich daneben auf Schildchen an kleinen Pflöcken befinden. Eine Tafel am Rand des Wäldchens klärt einen darüber auf, dass es sich hier um einen Friedwald handelt.

Jeder dieser Bäume ist eine Art Grabmal für einen oder mehrere Menschen – oder soll es irgendeinmal werden. «Die Asche eines Verstorbenen wird an einer geöffneten Stelle an die Wurzeln eines Baumes gebracht. Der Baum nimmt die Asche als Nährstoff auf und wird damit zum Sinnbild für den Fortgang des Lebens und zu einer persönlichen Erinnerung an den Verstorbenen », erklärt Ueli Sauter die Grundidee. Blumenschmuck, Steinmale, Kreuze oder Namenstafeln sind an dieser Grabstätte ausdrücklich nicht vorgesehen. «Der Wald muss herkömmlich bleiben. Er wird ganz sich selbst überlassen», ergänzt Sabine Weber, Leiterin des Friedwald-Sekretariats in Mammern. Deshalb gibt es hier auch keine gemähten Wege, einen besonderen Andachtsort oder eine Toilette.

Eine packende Idee

Auf die Idee der neuen Bestattungsform kam Ueli Sauter bereits 1993 anlässlich des Todes eines langjährigen Freundes, der in London lebte: «Er wollte, dass seine Asche in der Schweiz beigesetzt wird. Ich überlegte mir, wie ich das machen könnte.» Ihm gefiel der Gedanke, die Asche an die Wurzeln eines Baumes zu streuen. Die sterblichen Überreste seines Freundes konnte er so nicht beisetzen, weil diese nicht überführt werden konnten. Seine Idee hingegen liess ihn nicht mehr los.

Schon bald begann er damit, den ersten Friedwald zu planen, der auch anderen Menschen eine Baumbestattung ermöglichen sollte. «Am Anfang ist es ein Kampf gewesen», so Sauter. Es mussten zunächst Genehmigungen eingeholt und rechtliche Grundlagen geschaffen werden. Schliesslich gab der Thurgauer Regierungsrat grünes Licht für das Projekt Friedwald. 1998 wurde der erste in Mammern eröffnet. Es folgten die Standorte in Buch (bei Frauenfeld) und Ermatingen. Heute gibt es in der Schweiz 75 solcher Anlagen, die von drei Mitarbeitenden verwaltet werden. In diesen Friedwäldern, die vor allem in der Ostschweiz und im Mittelland gelegen sind, werden jährlich zwischen 150 und 200 Personen beigesetzt.

Grosses Interesse

Weitaus rasanter verlief die Entwicklung in Deutschland. Nachdem dort in Absprache mit Ueli Sauter im Jahr 2000 eine eigene Friedwald-Organisation ins Leben gerufen wurde, betreut diese inzwischen 67 Standorte in Deutschland und Österreich. Dort haben seither – laut Information auf www.friedwald.de – fast 120‘000 Bestattungen stattgefunden. Über 289‘000 Menschen hätten sich bereits für einen Baum oder einen Platz in einem Friedwald entschieden. Das Unternehmen beschäftigt 270 Mitarbeitende in der zentralen Verwaltung und an den einzelnen Standorten. Anders als in der Schweiz ist es Angehörigen nach deutschem Recht nicht möglich, selbst über die sterblichen Überreste des Verstorbenen zu verfügen. Dies ist verbunden mit verschiedenen Regelungen, z. B. dass eine Urne nur an einen Bestatter übergeben werden darf. «Durch diese Regelungen sind Friedwald-Bestattungen in Deutschland öffentlicher und haben damit eine höhere Bekanntheit erreicht. Bei uns werden sie dagegen eher im engen Familienkreis vollzogen», erklärt Sabine Weber.

Unterschiedliche Beweggründe

50 Prozent aller Friedwald-Kunden erwerben bereits zu Lebzeiten das Recht, sich bei einem bestimmten Baum bestatten zu lassen. Tritt der Todesfall ein, findet zuvor meist eine Abschieds- oder Aussegnungsfeier statt. Nach der Kremation können die Angehörigen selbstständig oder in Begleitung eines Seelsorgenden bzw. Ritualleitenden die Asche des Verstorbenen in den geöffneten Boden geben. «Wir fragen nicht nach der Religionszugehörigkeit», betont Ueli Sauter.

Die Beweggründe für eine Bestattung unter Bäumen sind unterschiedlich. Vielen sei die freie Wahl und die Gestaltungsmöglichkeiten sehr wichtig, meint Sabine Weber: «Jahrhundertelang hatte man diese Wahl eben nicht.» Ausserdem verbinde man mit dem Wald im Gegensatz zum Friedhof gute Gefühle. Es ist ein Ort mitten in der Natur, an dem man spazieren geht, sich gerne aufhält.

Für manche ist auch die Grabpflege ein Thema. «Sie wollen ihren Angehörigen nach ihrem Tod nicht zur Last fallen», sagt Ueli Sauter. Oder sie leben alleine und wissen gar nicht, wer sich einmal um ihr Grab kümmern soll. Ausserdem wird die Vorstellung als trostreich erlebt, dass die sterblichen Reste eines Verstorbenen an einem Ort verbleiben können – im Unterschied zu Friedhöfen, wo sie nach gewissen Liegezeiten einem Gemeinschaftsgrab zugeführt werden – und alle Mitglieder einer Familie einmal unter einem Baum vereint sind. Denn die Friedwälder sind ab ihrer Eröffnung in der Regel 99 Jahre durch Nutzungs- und Dienstbarkeitsverträge geschützt.

Pastorale Einschätzungen

Anne Zorell Gross, Gemeindeleiterin der katholischen Pfarrei Romanshorn, hat erst eine Beisetzung in einem Friedwald begleitet. Sie steht dieser Praxis grundsätzlich offen gegenüber. Der St. Galler Klosterplan mache deutlich, dass Friedhöfe früher ja auch mit Bäumen bepflanzt gewesen seien. Mühe hat sie mit der rein naturalistischen Vorstellung, dass die Asche des Verstorbenen den Baum nährt: «Von meinem christlichen Verständnis her möchte ich bei der Beisetzung deutlich machen, dass im Tod der Mensch Gott zurückgegeben wird.»

Für Daniel Bachmann, Pfarrer von Aadorf und Tänikon, ist es ein starkes Zeichen, in der Osternacht mit der Osterkerze über den kirchennahen Friedhof zu gehen, um die Gräber mit dem Licht des Auferstandenen zu erfüllen. Dennoch versteht er Menschen gut, die ihre Angehörigen in einem Friedwald beisetzen lassen: «Diese Form hat etwas Friedliches, Schönes und Berührendes.» Schon vier Mal konnte er in einem Friedwald eine Abschiedsfeier gestalten und miterleben. Als Seelsorger ist es ihm grundsätzlich ein Anliegen, Menschen beim Abschied ihrer Angehörigen zu begleiten. Es ist ihm wichtig, dass sie einerseits eine würdevolle Bestattung erleben, und andererseits einen Ort haben, an dem sie des Verstorbenen gedenken können. Deshalb hat er auch Mühe mit dem Verstreuen der Asche. Dass in Friedwäldern keine Namensschilder angebracht sind, stört ihn nicht: «Ich respektiere ja auch die Bestattung in Gemeinschaftsgräbern.» Ausserdem könnten ja Angehörige denen, die ihnen wichtig sind, den genauen Ort des Grabes im Friedwald mitteilen.

Detlef Kissner (22.10.19)

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Ueli Sauter und Sabine Weber gewährleisten die Organisation der 75 Friedwälder, die es inzwischen in der Schweiz gibt.

 
 
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Friedwald-Bäume sind mit Buchstabencodes gekennzeichnet.


Bilder: Detlef Kissner

Kommentare

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03.05.2023, 18:34

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