Marschierend die Pensionierung verarbeiten

Der Dokumentarfilmer Hanspeter Bäni tat sich schwer, als er Ende 2021 ordentlich in Rente ging. Deshalb unternahm er eine Fernwanderung zum nördlichsten Punkt Deutschlands. Begleitet wurde er von einem Bekannten, der ebenfalls kurz zuvor pensioniert worden war. Aus dem Abenteuer entstand ein Dokumentarfilm.

«Führt meine Pensionierung in die erwünschte Freiheit oder in eine grosse Leere, weil mich die Gesellschaft nicht mehr braucht?» Diese Frage stellte sich Hanspeter Bäni (66) nach der Pensionierung. Vertraute Arbeitskolleg*innen verschwanden aus dem Alltag, der soziale Status brach weg und der Alterungsprozess löste Ängste aus. 

Ziel: Sylt
Bäni beschloss, zu Fuss an die Nordsee zu wandern, um den Ausstieg aus der Arbeitswelt zu verarbeiten. Er wollte in spontanen Begegnungen mit Menschen Fragen rund um den sogenannten Ruhestand klären. «Bei einem Essen mit einer Bekannten meiner Frau und deren Partner erzählte ich von meinen Plänen. Der Partner war von meinem Projekt sofort begeistert und wollte mitkommen. Er schlug als Ziel den nördlichsten Punkt Deutschlands auf Sylt vor», erzählt Bäni. 

Bewegtes Arbeitsleben
Hanspeter Bäni hatte mehrere Jahre in Lateinamerika verbracht und war in den 1980er-Jahren Tourenleiter und Reiseorganisator. Ab 1990 arbeitete er als Moderator verschiedener Privatradios, danach fürs deutsche Fernsehen. Im Jahr 2000 wechselte er zum Schweizer Fernsehen (SRF), wo er für die «Rundschau» Reportagen realisierte – teilweise in Krisengebieten unter aussergewöhnlichen Bedingungen. 2005 stiess er zum Team der Abteilung «Dokumentarfilme und Reportagen» von SRF. Für seine Filme hat er etliche Auszeichnungen erhalten. Kurz vor seiner Pensionierung wurde er zum «Video-Journalisten des Jahres 2021» gewählt. 

Auszeit voneinander
Mit Rucksack und einem Zelt auf Rädern zogen die beiden unterschiedlichen Charaktere am 28. April 2022 los. Statt des Wunsches, einen besseren Umgang mit dem Verlust der Arbeit zu finden, rückten bald körperliche Strapazen, unangenehme Überraschungen und Auseinandersetzungen in den Vordergrund. So kam es sogar zu einer Auszeit der beiden von einer Woche. «Bei mir ist in dieser Woche sehr viel passiert. Ich war auf mich zurückgeworfen und konnte mein Leben sortieren, da ich weniger abgelenkt war. Von diesem Moment an war ich in einer inneren Ruhe. Nachher marschierten wir wieder gemeinsam weiter und waren uns viel bewusster, was wir aneinander hatten», stellt Bäni fest. Nach 1'300 Kilometern erreichten sie am 9. Juli ihr Ziel: die Holztafel bei Ellenbogen auf der Insel Sylt, den nördlichsten Punkt Deutschlands. Vor lauter Erschöpfung war ihnen nicht zum Jubeln zumute. Aber aufzugeben, kam nicht infrage. 

Dokumentarfilm als Resultat
Hanspeter Bäni gilt beim SRF als Meister des Wechselspiels von Nähe und journalistischer Distanz. Er erzähle Geschichten von Menschen, in denen es um die grossen Fragen des Lebens gehe. Als Autor, Kameramann und Tontechniker setze er auf höchstem Niveau alle Vorteile des Videojournalismus ein. Was lag da näher, als die eigene Reise dokumentarisch festzuhalten? So entstand der Dokumentarfilm «Ihr könnt jetzt gehen». «Nie wieder werde ich einen Film über mich drehen!», sagt Bäni im Rückblick. «Ich verhielt mich persönlichkeitsgespalten, da ich als Regisseur mich selbst als Figur anschauen musste. Und weil ich Menschen zum Teil 20 Jahre lang begleitet habe, wollte ich authentisch und ehrlich rüberkommen. Deshalb sieht man mich im Film auch weinen.» 

Gottvertrauen
Bänis Wägelchen wog 40 Kilogramm, denn es enthielt nicht nur das Zelt, sondern die ganze Filmausrüstung. Regie zu führen neben acht bis neun Stunden Marsch am Tag, ging an die Substanz. Hanspeter Bäni hat aber bereits das nächste Fernwanderziel vor Augen. Er will sich solche Auszeiten gönnen und weiterhin gestalterisch tätig sein, solange er vital ist und ihm das Wohnzimmer Natur, wie er es nennt, Ideen und Gestaltungsdrang liefert. «Die Seele kommt mit», beschreibt er das Unterwegssein zu Fuss. «Dadurch haben sich ein paar gute Gespräche ergeben rund um das Thema Pensionierung. Ich habe ein gewisses Gottvertrauen, dass es schon gut kommt», sagt Bäni. Er ist den elf Leuten, die ihn für einen symbolischen Beitrag bei der Produktion des Filmes unterstützt haben, sehr dankbar. Ohne sie wäre die Dokumentation nicht zustande gekommen.


Béatrice Eigenmann, forumKirche, 13.09.2023


Filmvorführung in SH und im TG
Mi, 20.9., Schaffhausen, Kiwi Scala, 20.15 Uhr
So, 24.9., Weinfelden, Liberty Cinema, 11 Uhr
Filmpremiere mit Anwesenheit des Regisseurs und Mitprotagonisten Hanspeter Bäni
 

Hanspeter Bäni
Quelle: Hanspeter Bäni
Hanspeter Bäni unterwegs mit seinem Gepäck

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