Der Weg einer Theologin, die schliesslich aus der Kirche austrat

Maria Regli ist am 14. Juni aus der Kirche ausgetreten. Der Bruch fiel der Theologin nicht leicht. In den letzten Jahren sei der Handlungsspielraum immer kleiner geworden. Zuletzt sei ihr «schlicht der Atem ausgegangen». Mit ihrer Erfahrung ist Regli nicht alleine. 

Maria Regli (62) wächst in Andermatt (UR) auf. Ihre Kindheit ist katholisch und nicht frei von Konflikten. Ab ihrem 13. Lebensjahr besucht Regli das Gymnasium im Internat des Klosters Ingenbohl (SZ). Sie leidet unter der Härte der Nonnen und dem von ihnen gelebten Katholizismus. Gleichzeitig fasziniert sie deren religiöses Wissen. Regli entscheidet sich für ein Theologiestudium. «Ich wollte verstehen, was diese Klosterfrauen antreibt, der Gottesfrage näherkommen und mich mit dem Theologie- und Bibelverständnis kritisch auseinandersetzen», sagt sie. 
Es sind die 1980er – eine Zeit des Aufbruchs von unten. Die Befreiungstheologie ist en vogue. Und die feministische Theologie hält selbst im konservativen Freiburg Einzug. Dort gründet Regli mit Kolleginnen «das feministische Theologinnen-Forum». In diesen Jahren erkennt sie: Es gibt ein Bibelverständnis «jenseits einer patriarchalen klerikalen Interpretation». Es gibt Räume jenseits des Hochamtes, der Gebote und Verbote. In diesen Räumen fühlt sie sich wohl. Dort findet sie ihre spirituelle und ihre berufliche Heimat.

Arbeit für und in der Kirche
Aber es ist kein gradliniger Weg. Als Wolfgang Haas 1988 die Leitung des Bistums Chur übernimmt, droht dies die Schweizer Katholik*innen zu spalten. In einem Komitee mit Studierenden engagiert sich auch Regli für den Widerstand.
2003 tritt sie eine Stelle als Seelsorgerin in der Pfarrei St. Josef in Köniz (BE) an. Dort hat sie viel Freiraum. Regli schaut dabei auch über die konfessionellen und religiösen Grenzen hinaus. Sie absolviert einen Master-Studiengang in angewandter Spiritualität und erhält Einblicke in andere Formen gelebter Spiritualität. 

Konzentration auf das Kerngeschäft
Regli liebt die Seelsorge und die Projektarbeit. 2013 wechselt sie nach Biel (BE) als Leiterin der Bildungsstelle der katholischen Kirchgemeinde Biel und Umgebung. «Für mein kreatives Schaffen war es eine äusserst spannende Zeit!»
Die Kirche gerät immer mehr unter Druck. Die Missbrauchsskandale werden von einer massiven Welle an Austritten begleitet. Steuereinnahmen brechen weg und die Reputation der Kirche ist nachhaltig beschädigt. Weggefährten und feministische Theologinnen treten aus.
Die Pfarreien, denen weniger Geld zur Verfügung steht, beginnen sich vermehrt auf «das Kerngeschäft» zu konzentrieren. «Dieses», sagt Regli, «sind Gottesdienste und Spendung von Sakramenten.» Regli arrangiert sich. Die Kirchgänger*innen sind zunehmend ältere Menschen, die für neue spirituelle Angebote weniger offen sind. Ans Austreten denkt sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Der Wind hat gedreht
Als auch in Biel gespart werden muss, bietet Regli 2018 an, zu gehen. Sie wird Pastoralseelsorgerin in Bern. Ihre neue Pfarrei engagiert sich in einem Projekt zum «ökumenischen Dialog im Quartier». Es ist genau das, was Regli mag: Austausch über die konfessionellen Grenzen hinweg. Aber der Wind habe gedreht, sagt sie. Anstelle von Austausch ging es um Abgrenzung, «um Wahrung der katholischen DNA». «Eine lähmende Ängstlichkeit hat sich in der Kirche verbreitet», sagt sie.
Regli macht weiter. Sie engagiert sich im Frauenkirchenstreik 2019 und der Junia-Initiative, die das Frauenpriestertum fordert. In ihrer Pfarrei und darüber hinaus stösst beides auf wenig Verständnis. Mit ihrer ökofeministischen Spiritualität eckt Regli zunehmend an. 2020 muss sie gehen. Es ist ein Bruch mit Nachwirkung. Wegen der «zunehmenden liturgischen Enge» und der «starren klerikalen Strukturen» sieht Regli keine Zukunft mehr für sich in der Kirche. Sie entscheidet sich, als freischaffende Theologin zu arbeiten.

Austritt als feministische Konsequenz
Wenn Regli über die Jahre spricht, die zu ihrem Austritt führen, ringt sie sichtlich um Fassung. Sie hat ihr Leben in der Kirche verbracht, hat mit ihr um Grundsätzliches gerungen. Heute fühlt sich Regli wieder dort, wo sie am Anfang stand. «Die errungenen Räume werden geschlossen.» Und sie steht wieder vor der Wahl, den rigiden Klosterschul-Katholizismus zu akzeptieren oder einen spirituellen Weg ausserhalb der katholischen Kirche zu gehen. Sie zitiert Dorothee Sölle: «Theologisches Nachdenken ohne politische Konsequenzen ist Heuchelei.» Entsprechend sei der Austritt am Frauenstreik 2023 für sie konsequent und «der letzte Schritt zur Emanzipation».

Annalena Müller/Red., 05.07.2023
 

Maria Regli
Quelle: Annalena Müller
Maria Regli sah für sich keinen Raum mehr in der katholischen Kirche.

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