Sterbende auf ihrem letzten Weg begleiten

«Das Leben zu Ende denken» – unter dieser Überschrift findet am 9. Juni in Amriswil der Ostschweizer Hospiz- und Palliativtag statt. Anlässlich dieser Fachtagung mit Begleitprogramm soll ein Einblick in das Begleitungsangebot des örtlichen Hospizdienstes gewährt werden. 

Carolin Schmid begleitet als freiwillige Mitarbeiterin des Hospizdienstes Thurgau Menschen auf ihrem letzten Lebensweg. Die Mutter von vier Kindern wohnt in Salenstein und ist als Betriebswirtin zurzeit in einer Auszeit. «Ich begleite seit 2018 betroffene Menschen, die in ihrem gewohnten Umfeld sterben möchten. Deren Bezugspersonen brauchen oft Entlastung in der Betreuung», berichtet sie. Häufig seien es betroffene Familien, Spitex- oder Rotkreuz-Mitarbeitende, die diese anfordern. Oft werde Unterstützung in der Nacht gewünscht, damit die Bezugspersonen neue Kraft für den nächsten Tag schöpfen können.  
Die 50-Jährige entdeckte dieses Engagement im Internet, als sie nach einem Freiwilligeneinsatz im Hospiz-/Palliativbereich suchte. Dafür braucht es keine pflegerische oder medizinische Ausbildung: Es geht darum, einfach für andere Menschen da zu sein. Sie selbst besuchte als Vorbereitung einen Kurs in Palliative-Care beim Roten Kreuz. Der Hospizdienst bietet ausserdem regelmässig Intervisionen an. Im Austausch mit anderen Begleiter*innen und der Einsatzleitung lernt man voneinander. Dazu kommen monatliche Weiterbildungstage sowie der jährliche überregionale Palliativtag mit Referaten und Workshops, den Carolin Schmid sehr schätzt. «Für mich entwickeln sich Praxiserfahrung und Aus- und Fortbildung parallel», sagt sie.

Da sein im Dunkeln
Die Einsatzleitung bespricht einen künftigen Einsatz mit der jeweiligen Person; diese kann ihn annehmen oder ablehnen. Vor Beginn erhalten die Freiwilligen von der Koordinationsstelle ein Datenblatt mit wichtigen Informationen zur Situation und den Ansprechpartnern vor Ort. 
Der Nachteinsatz beginnt in der Regel um 22 Uhr. Nach dem Eintreffen wird Carolin Schmid von den Bezugspersonen über das Wichtigste informiert. Diese gehen dann schlafen. Die Hospiz-Mitarbeitenden richten sich in der Nähe der betroffenen Person ein. Carolin Schmid versucht intuitiv zu erspüren, was die Situation von ihr verlangt. «Oft wird ein Gästebett oder eine Couch in der Nähe des Patienten gerichtet. Dann kann man ausruhen, wenn es die Situation erlaubt», sagt sie. Sterbenden Menschen in der Stille der Nacht nahe zu sein, habe eine fast «heilige» Qualität. Es bringe sie dem Gegenüber ganz nahe, aber auch sich selbst. 

Entlastung für Bezugspersonen
Die Begleiterin trägt in ein Protokoll wichtige Informationen für die Betreuenden am Morgen sowie die Spitex- oder Rotkreuz-Mitarbeitenden ein (z.B. Schlafverhalten, Medikamentengaben, Flüssigkeitszufuhr). Um 7 Uhr erfolgt der Wechsel, die Nacht wird danach reflektiert. Später erfolgt ein Einsatz-Feedback an die Leitung. 
Carolin Schmid freut sich über die Dankbarkeit der Menschen und die Erleichterung der Bezugspersonen, die nicht mehr die ganze Last allein tragen müssen. «Ihre Freude darüber, dass sie endlich wieder schlafen dürfen, berührt mich. Und dass unser Engagement als Geschenk von Mensch zu Mensch wahrgenommen wird. Sie schätzen das Mitgefühl, die Anteilnahme und Verbundenheit», meint sie nachdenklich. Dabei erlebt sich die Begleiterin oft selbst als Beschenkte. Sie habe viel gelernt, wage etwa heute eher eine Berührung. So habe sie die Hände einer sterbenden Frau eingecremt und massiert. «Sie hat vor Rührung geweint.» 

Innere Ganzheit
Regelmässige Meditation hilft Carolin Schmid, das Schwere mitzutragen. Dazu gebe es in jedem Menschen einen Ort, der auch in schwerer Krankheit heil und vollkommen ist. Diese innere Ganzheit spüre sie auch bei sich selbst. Die meisten Betroffenen würden nach Zeiten der Wut und Trauer ihre Situation annehmen und Frieden finden, sagt sie. 
Sie würde den Einsatz als Begleiterin allen Menschen empfehlen, die den Wunsch und die Möglichkeit haben, Zeit zu verschenken. Sie sollten jedoch keine Berührungsängste mit dem Sterben haben, dazu die Freude, sich auf unbekannte Situationen und Menschen einzulassen. Carolin Schmid hat die Gewissheit, dass Sterben eine Verwandlung ist, kein Ende. «Ich wünsche mir, dass Menschen, die zu Hause sterben möchten, dies tun können. Ich wünsche mir, dass Angehörige sich ohne schlechtes Gewissen frühzeitig Unterstützung holen und diese erhalten.»

Christiane Faschon/Red., 24.05.2022


■ Nähere Infos zum Hospizdienst und zum Begleitprogramm des Ostschweizer Hospiz- und Palliativtages auf www.hospizdienst-thurgau.ch

Carolin Schmid
Quelle: zVg
Carolin Schmid erlebt es als bereichernd, für todkranke Menschen da zu sein.

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