Über den täglichen Überlebenskampf in Beirut

Shadid Rachid Touma* und seine Mutter Georgette leben im Herzen Beiruts. Der Libanon steckt tief in der Krise: finanziell, wirtschaftlich und politisch. Seit der grossen Explosion im Sommer 2020 ist alles noch schlimmer geworden. Shadid, der gesundheitlich stark beeinträchtigt ist, bringt als Krankenpflegehelfer sich und seine Mutter kaum noch über die Runden.

Der Libanon steckt in einer der grössten wirtschaftlichen und politischen Krisen seiner Geschichte. Seit der Explosion in Beiruts Hafen im August 2020 hat sich die Lage weiter verschlimmert. Nun lässt auch noch der Ukraine-Krieg die Preise in die Höhe schiessen. Shadid (42), der mit seiner verwitweten Mutter (67) in Beirut lebt, kann nur knapp überleben. Im Durchschnitt kostet heute alles – vom Brot über Medikamente bis hin zum Benzin – etwa zehnmal so viel wie vor zwei Jahren. Unzählige Menschen können sich kein gesundes Essen mehr kaufen. Weil sich der Staat die Treibstoff-Importe für die Elektrizitätswerke nicht mehr leisten kann, gibt es täglich oft maximal zwei Stunden Strom vom öffentlichen Netz. Wer Geld hat, kauft Strom von privaten Anbietern hinzu – zu horrenden Preisen. Die Alternative: Das Duschen genau terminieren und wieder von Hand waschen. Viele werden vom Leben im Winter ohne jegliche Heizung krank.

Mit der Inflation schrumpft der Lohn
Shadid, der gesundheitlich stark beeinträchtigt ist, hat täglich Angst, seinen Job zu verlieren. Rund 40 Prozent der Menschen im Libanon sind arbeitslos. Shadid arbeitet als Krankenpflegehelfer in einem Spital. Diese Arbeit mag er gerne. Da er jedoch eine Niereninsuffizienz hat, ist seine Leistungsfähigkeit sehr eingeschränkt. «Dreimal pro Woche muss ich zur Dialyse in ein anderes Spital fahren», erklärt Shadid. Da er sich in der neunten Klasse bei einem Unfall die Hand schwer verletzt hatte, konnte er eine Zeit lang nicht mehr schreiben und brach die Schule ohne Abschluss ab. Als Freiwilliger bei einer Hilfsorganisation machte er einen Erste-Hilfe-Kurs und merkte, dass ihm diese Arbeit gefiel. Seit 14 Jahren arbeitet er nun auf derselben Stelle als Krankenpflegehelfer. Er empfängt neue Patient*innen, macht Routinechecks und unterstützt die Ärzte, wo er kann. 
Die hohe Inflation entwertet Shadids tiefen Lohn täglich weiter. «Das Geld reicht meist nicht für die Medikamente, die ich und meine Mutter nehmen müssen. Oft sind die Medikamente hier gar nicht mehr erhältlich.» Im libanesischen Gesundheitssystem herrscht akuter Notstand wegen des enormen Mangels an Treibstoff, Strom, Medikamenten und Personal. Die Menschen versuchen, lebensrettende Arzneimittel aus dem Ausland zu importieren. Spitäler müssen Operationen verschieben oder bisweilen ganz schliessen. Zum Teil werden sie von internationalen Geldgebern unterstützt, damit sie sich zum Beispiel den Strom rund um die Uhr leisten können. Manche müssen Kosten auf Patient*innen abwälzen. 

Die Angst vor einer Corona-Erkrankung
Shadids Leben hängt ganz direkt von seiner Gesundheitsversorgung ab. Solange er arbeitet, hat er wenigstens eine Sozialversicherung. Das beruhigt ihn etwas. Aber wie lange noch? Auch die Sozial- und Krankenversicherungen können zunehmend nicht mehr zahlen. Deshalb fürchtet Shadid, er könnte eines Tages seine Stelle und damit sein Einkommen verlieren. Georgette hat zudem Angst, dass ihr Sohn sich mit Corona anstecken könnte. «Das darf auf keinen Fall passieren. Er ist mit seiner Krankheit sehr gefährdet», sagt sie. «Ich hoffe immer noch, dass Shadid eines Tages eine Spenderniere erhält.»

Medikamente dank Caritas
Shadid und seine Mutter sind deshalb sehr froh um die 200 US-Dollar Bargeldzahlungen, die sie von der Caritas während dreier Monate erhalten. So können sie wenigstens die Medikamente kaufen, die sie brauchen und sich ab und zu ein Stück Fisch oder etwas zusätzlichen Strom leisten. Früher hatte Georgette als Schneiderin gearbeitet und konnte so etwas zum Einkommen beisteuern. Wegen des Lockdowns vor zwei Jahren musste sie aufhören zu arbeiten - das Geschäft brach ein. Seither ist sie im Ruhestand. Jetzt muss sie im Lebensmittelgeschäft auf Kredit einkaufen. Sie hat Skrupel, weil sie weiss: Zurückzahlen wird sie das Geld nie können. 
Bis heute leiden beide noch unter dem Trauma der grossen Explosion. Es regnete Steine und Geröll, überall lagen Verletzte. Es fühlte sich an wie Krieg. Georgette wurde durch Glassplitter am Rücken verletzt. «Noch heute erschrecke ich, wenn es donnert», sagt sie mit Schrecken in den Augen. 

*Namen geändert

Lisa Fry und Anna Haselbach, Caritas Schweiz/Red., 13.04.2022
 


Nähere Infos: www.caritas.ch

Zwei Menschen aus Beirut
Quelle: © Ghislaine Heger/Caritas Schweiz
Shadid* und seine Mutter Georgette können sich kaum Essen und Medikamente leisten.

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